KVD-Mitgliederausstellung:Schön den Lack zerkratzen

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Die Mitgliederausstellung der KVD zeigt wieder einen Querschnitt aus dem vielfältigen Schaffen der Dachauer Künstler. Im 99. Jahr ihres Bestehens sendet sie aber auch Signale, dass sie frecher, kontroverser und politischer werden könnte

Von Gregor Schiegl, Dachau

"AUSVERKAUF", brüllt es in großen gelben Lettern von den Plakaten, "neu, ohne Kratzer". Was klingt wie der Lagerräumungsverkauf eines Möbelhauses, ist der Titel der neuen Mitgliederausstellung der Künstlervereinigung Dachau, und natürlich geht es nicht darum, ein Jahr vor dem 100. Jubiläum des Vereins alles zu verramschen. Der auf schrill gebürstete Titel artikuliert vielmehr den Wunsch, nicht zum eigenen Denkmal zu werden, und er provoziert die alten Fragen: Was ist Kunst, was soll sie sein? Und wohin soll sie gehen?

Wer ein radikales, einstimmig vorgetragenes Statement dazu erwartet hat, wird sich enttäuscht sehen. Die Ausstellung präsentiert sich im Wesentlich als Querschnitt aus dem Schaffen der KVD-Künstler. Bildhauer Klaus Herbrich spielt kunstvoll mit der Materialität des Steins: Die helle Oberseite seines Objekts "wellig" türmt sich zu blassgrünen Wellenkämme, während die braunen, roten und grauen Schichten darunter wie Strömungen tieferer Ozeanschichten sichtbar werden. Florian Marschall hat sich mit seiner fotorealistischen Punktmalerei selbstporträtiert, wie er grantig über seine Nickelbrille funkelt. "Da hatte ich meinen ersten Kaffee noch nicht", lässt er wissen, während er den Wein für die Vernissage einlagert. Und bei Paul Havermanns Blumen in Acryl sieht man blühende Landschaften, farbmächtig komponiert. Irgendwie also alles wie immer.

Dieter Navratil karikiert den Menschen als rastlos getriebenes Wesen auf Rädern mit Plattfüßen: Bronze "to go". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Aber das ist nur die Oberfläche, und auch das Versprechen "ohne Kratzer" soll spektakulär gebrochen werden: Noch hängen die drei Bilder von Anna Dietze mit ihren harmonischen glatten Farbverläufen unversehrt an der Wand. Aber wenn die Ausstellung eröffnet ist, wird das Publikum eingeladen, die Bilder mit Schlüsseln zu zerkratzen. "Es ist quasi ein Aufruf zur Sabotage", sagt Simona De Fabritiis, die aus der Vielfalt der Arbeiten eine ästhetisch stimmige Gesamtausstellung geformt hat: Der Raum hat Rhythmus, ohne dass ein Werk unbotmäßig dominieren würden. Auch die schwarzen Stelen von Monika Siebmanns (mit Kratzern!) fügen sich harmonisch ein zwischen den auf Podesten gelagerten Skulpturen, darunter die sehr schöne Keramikarbeit "Quelle aus dem Schatten" von Claudia Flach. "Es ergibt fast so etwas wie einen Parcours."

Simona De Fabritiis selbst hat auch einige Arbeiten beigesteuert. Aus einem Abluftschlauch und einem pastellblau angemalten Styrodur-Element von der Baustelle hat sie ein technisch-funktional anmutendes Artefakt geschaffen, auf einem schmalen Pappvorsprung steht ihr von mehreren Stürzen angeknackstes Handy, aus dem runden Loch im Styrodur quillt Schafsfell, ein Fundstück vom Dachboden. "In meinen Arbeiten geht es um Wertigkeit", erklärt sie. "Wann funktioniert etwas? Wann hat etwas überhaupt eine Funktion?" Wie kann man Dinge, die als Müll aus dem Koordinatensystem des Anerkannten herausgeschmissen wurden, ihre Daseinsberechtigung zurückgeben?

Maria Detloff zeigt, wie schön "Blühendes Gestrüpp" sein kann. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Johannes Karl hat ein Pärchen in knalligen Farben porträtiert, eisschleckend, mit hochglanzpoliertem Lächeln beim Selfie-Schuss, sich gleichermaßen selbst verehrend. Im Schatten der titelgebenden "Goldenen Gans" lagern quietschbunte Totenschädel, Vanitas und Pop, ein bisschen Damien Hirst, ein bisschen Caravaggio, und wie ein Renaissance-Maler ersinnt auch Karl perspektivische Tricks, um einen Eindruck räumlicher Tiefe zu kreieren. Durch die sich wie in einer Flurflucht verschachtelten Marker-Striche rückt der Hintergrund weit hinter die Figuren zurück. Der KVD-Vorsitzende liefert damit auch eine Rezeptur, wie die nun fast schon 100 Jahre alte Künstlervereinigung Traditionslinien kreativ zur Innovation nutzen kann zur Auseinandersetzung mit den Themen des Hier und Jetzt. Es ist ein Spannungsverhältnis, das, wie man sieht noch großes kreatives Potenzial birgt.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die KVD nun politisch wieder aktiv wird, wenn auch nur im Kleinen und Lokalen. Mit neun Plakatmotiven rund ums Kaffeetrinken unterstützen die KVD-Künstler eine Kampagne des Landratsamts, dem Müllberg aus Einwegpappbechern beim Kaffee zum Mitnehmen Einhalt zu gebieten und an den Kaffeeabfüllstation im Landkreis Mehrwegbecher zu verwenden. Angestoßen wurde die Idee von Andreas Kreutzkam. Dazu wird es am Sonntag, 9. Dezember, um 14 Uhr noch eine eigene Präsentation in der KVD-Galerie geben. Ganz neu und ohne Pappe.

Farben und Formen sind das Thema von Inge Jakobsen (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mitgliederausstellung in der KVD-Galerie, Pfarrstraße 13, Dachauer Altstadt. Vernissage an diesem Donnerstag, 22. November, um 19.30 Uhr; Florian Ewald und Gitarrist Robert Friedl spielen zur Eröffnung Klezmer-Musik. Öffnungszeiten Donnerstag bis Sonntag, jeweils 16 bis 19 Uhr. Sonntag 12 bis 18 Uhr. Zu sehen bis 23. Dezember.

© SZ vom 22.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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