Kommentar:Fragwürdige Einheitskultur

Immer wieder wird so getan, als sei die deutsche Gesellschaft eine Einheit. Doch Migranten sind nach wie vor Außenseiter

Von Walter Gierlich

Volkhard Knigge, der wissenschaftliche Leiter des 17. Dachauer Symposiums zur Zeitgeschichte, erzählte in seinem Eröffnungsvortrag von einer Demonstration in Berlin in der Euphorie des Wiedervereinigungsjahres 1990, bei der ein türkischer sogenannter Gastarbeiter auf einem Transparent den Spruch stehen hatte: "Auch wir sind das Volk". Eine Tatsache, die nicht nur damals in der Politik und der Mehrheitsgesellschaft weitgehend ignoriert wurde.

Auch heute noch, da Deutschland nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems und der EU-Osterweiterung noch um einige kräftige Farbstriche bunter geworden ist, wird vielfach so getan, als gebe es hierzulande eine nationale Einheitskultur und -geschichte, die für alle im Land lebenden Menschen verpflichtender Maßstab sein soll. Mehrere Referenten des Symposiums machten deutlich, dass Bürger - selbst wenn sie oft schon in dritter Generation hier leben - hier immer noch als Außenseiter angesehen werden, als Menschen, die nicht wirklich dazugehören, deren Geschichte niemand hören will.

Das zeigen allein schon die Namen, mit denen sie auch in der Politik und bei Behörden im Lauf der vergangenen Jahrzehnte belegt wurden. Sprach man zunächst von Gastarbeitern, hießen sie bald einfach Ausländer, später Nichtdeutsche. Heute werden sie, falls sie eingebürgert sind, nicht einfach als Deutsche, sondern als "Deutsche mit Migrationshintergrund" bezeichnet. Das Wort ist so sperrig, dass sich keiner der so bezeichneten wirklich als vollwertiges Mitglied der Mehrheitsgesellschaft fühlen dürfte.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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