Kommentar:Ein notwendiges Zeichen

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Der Fall des Sozialrichters Jan-Robert von Renesse, der in Nordrhein-Westfalen für die Ghettorenten von Holocaust-Überlebenden stritt, macht deutlich, welche Probleme Behörden, Justiz und Politik noch heute im Umgang mit der Nazivergangenheit haben

Von Helmut Zeller

Wen sollte die Stadt mit dem Zivilcourage-Preis denn ehren, wenn einmal die Zeitzeugen nicht mehr sind? Diese bange Frage ging in Dachau um. Natürlich wird es immer schwieriger, Menschen wie Maria Seidenberger zu finden, die KZ-Häftlingen half, oder den Dachau-Überlebenden und Historiker Stanislav Zámečník, der das Grundlagenwerk zur Geschichte des Konzentrationslagers schuf. Aber der Zivilcourage-Preis hat eine Zukunft - denn auch mit der Ehrung etwa der Düsseldorfer Rechtsanwältin Gülsen Celebi im Jahr 2015, die sich gegen Ausländerhass und andere rechte Umtriebe engagiert, wird das Vermächtnis der KZ-Überlebenden lebendig gehalten. Die Verhältnisse sind - 70 Jahre nach dem Terrorregime der Nazis in Europa und sehr zur Sorge der Überlebenden - leider auch in Deutschland nicht so, dass Diskriminierung, Ausgrenzung bis hin zum Mord von Angehörigen von Minderheiten der Vergangenheit angehörten. Im Gegenteil: Der aktuelle Antisemitismusbericht der Bundesregierung zeigt, dass der Judenhass im Land der Täter wieder aufblüht.

Die Jury hat nun einen couragierten Bürger zur Auszeichnung vorgeschlagen, dessen Wirken erschreckend vor Augen führt, dass Politik und Behörden auch mit der Vergangenheit und der Verantwortung für die Naziverbrechen heute noch so ihre Probleme haben. Es ist ein Skandal, wie in dem bis zur Landtagswahl im Mai 2017 SPD-geführten Nordrhein-Westfalen Behörden, Justiz und Politik das Recht der Holocaust-Überlebenden auf eine Rente für ihre Arbeit in den Ghettos mit Füßen getreten haben. Die Geschichte ist bekannt - aber der große Aufschrei blieb aus; ebenso stand der aufrechte Sozialrichter Jan-Robert von Renesse ziemlich allein, als er sich diesem schamlosen Treiben gerade auch der Justiz widersetzte. Wie sein Ansehen zerstört werden sollte, das ist der zweite Skandal und erinnert an die Anfeindungen gegen andere wie den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der die Frankfurter Auschwitzprozesse initiierte und für einen demokratischen Aufbau der deutschen Justiz eintrat.

In kaum einem Bonner Ministerium waren nach 1949 mehr ehemalige Nazis beschäftigt als im Justizministerium, bis 1973 war mehr als die Hälfte der 170 leitenden Juristen ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen. Diese personelle Kontinuität hat bis heute fatale Folgen. Die Stadt Dachau hat mit dem Preis für Jan-Robert von Renesse auch dagegen ein notwendiges Zeichen gesetzt.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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