Kommentar:Ein großer Schritt zurück

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Die Mehrheit der Stadträte weicht vom Konzept der dezentralen Unterbringung ab und will größere Unterkünfte für Obdachlose errichten - die Debatte ist von Vorurteilen gegenüber den betroffenen Bürgern geprägt

Von Helmut Zeller

Nun könnte man die Politik anklagen: Der Bund hat sich vor vielen Jahren komplett vom sozialen Wohnungsbau verabschiedet; und der Freistaat Bayern (mittlerweile gibt es wieder umfangreichere Wohnungsbauprogramme) vernachlässigte ihn. Altlandrat Hansjörg Christmann (CSU) hat bei seinem Abschied 2014 gemahnt, dass für den Landkreis und seine Kommunen die Schaffung bezahlbaren Wohnraums - gerade in der Boomregion München - die größte Herausforderung der kommenden Jahre sein wird. Die katastrophale Entwicklung hätte vermieden werden können. Aber diese Einsicht nutzt nichts. Die steigende Zahl von Obdachlosen geht zu Lasten ohnehin überlasteter Kommunen. Sie müssen per Gesetz obdachlos gewordene Bürger unterbringen. Dazu hatte der Stadtrat schon 2004 ein fortschrittliches, weil dezentrales Konzept verabschiedet.

Große Unterkünfte führen zur Bildung von Gettos und noch mehr Ausgrenzung der Betroffenen. Die Unterbringung in einzelne, auf das ganze Stadtgebiet verteilte Wohnungen weist dagegen in die Richtung sozialer Integration. 2015 räumte sich die Stadt folglich bei Wohnobjekten, die schon mal in ihrem Besitz waren, ein Vorkaufsrecht ein - nur wurde es nie angewendet. Das hätte schon stutzig machen und darauf vorbereiten müssen, was jetzt geschah. Eine Mehrheit der Stadträte will überhaupt keine dezentrale Unterbringung. Deshalb erfand die CSU-Fraktion das "teildezentrale Konzept" - was ungefähr so unsinnig ist wie ein "bisschen schwanger". Im Grunde will die CSU, und jetzt sagt sie es ja offen, zurück zu Großunterkünften - und das möglichst am Rande der Stadt, weil man doch diese Menschen nicht den Bewohnern gutbürgerlicher Wohnanlagen zumuten möchte.

Das ist niederschmetternd, aber so denken diese Stadträte unter dem Einfluss ihrer Vorurteile. Das verrät schon ihre Sprache, wenn einer von "Obdachlosen und Normalwohnern" spricht. Da wird ausgeblendet, um wen es eigentlich geht: "Normalwohner", etwa Alleinerziehende, die vielleicht ihre Arbeit und dann ihre Wohnung verlieren. Oder schwer und chronisch Erkrankte - alle eben für die die Partei mit dem "C" in ihrem Namen da zu sein vorgibt. Aber der Gipfel der Heuchelei: Die Ausgrenzung wird noch damit verbrämt, dass Großunterkünfte für die Betroffenen selbst doch besser sein sollen.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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