Der Klimawandel wird immer deutlicher spürbar: Monatelang brennt die Sonne vom Himmel und es fällt so gut wie kein Regen. Nicht nur die Bauern bekommen diese Auswirkungen zu spüren, sondern auch Barbara und Hans Hillreiner, 53 und 55 Jahre alt, aus dem Markt Indersdorfer Ortsteil Hirtlbach. Die beiden haben jahrelang an einer Yacht gebaut, der sie den Namen "Dream" gegeben haben. Mit dieser wollen sie sich eigentlich einen Traum erfüllen und aus ihrem bisherigen Leben aussteigen - und zwar komplett und möglicherweise für immer. Also machten sie sich in diesem Sommer vom Dachauer Hinterland auf den Weg, mit einem Tieflader und dem ehrgeizigen Ziel, die Weltmeere zu erreichen. Doch nun liegen sie erst einmal am Main-Donau-Kanal in Nürnberg fest. Der Grund für die Zwangspause ist die Trockenheit in diesem Jahr. Sie hat den Pegelstand der Donau so weit abgesenkt, dass die Hillreiners mit ihrem 17,60 Meter langen und 4,50 Meter breiten Boot, das einen Tiefgang von zwei Metern hat, den Strom nicht passieren können. Sie müssen nun im Hafen eines Nürnberger Yachtclubs überwintern. "Wir hoffen, dass wir im Wasser bleiben dürfen. Das entscheidet letztlich das Wasserwirtschaftsamt. Einen Antrag haben wir gestellt", erzählt Hans Hillreiner.
Beide nehmen das Problem erstaunlich gelassen. "Wir haben ja Zeit- und keinen Termindruck mehr", sagt Barbara Hillreiner. Den hatten sie jahrzehntelang im Übermaß, betrieben sie doch zwei Firmen auf einem ehemaligen Bauernhof in Hirtlbach: einen Betrieb für Präzisionskomponenten für den Maschinen- und Anlagenbau sowie einen anderen für technisch hochwertige Fahrradsattelfederungen. Daneben widmete sich vor allem der Metalltechniker Hans Hillreiner in jeder freien Minute der Yacht. Er hatte sich vor acht Jahren Pläne für einen Bootstyp aus den Siebzigerjahren besorgt. Ein besonders sicheres Gefährt sollte es sein, dank zweier Kiele unter dem Rumpf. Ans Aussteigen dachten die beiden damals noch nicht, nur an ein Boot für schöne Urlaube. Wie viele Stunden er dann in den vergangenen sieben Jahren daran gearbeitet hat, weiß Hans Hillreiner natürlich nicht mehr so genau. "Andere gehen samstags auf den Fußballplatz", sagt er, "ich bin halt hinter in den Garten zum Bootsbauen gegangen."
Den Rumpf aus Aluminium hat er fast ganz allein errichtet, beim Innenausbau hat dann im letzten Jahr Barbara Hillreiner neben der Vollzeitarbeit im Betrieb mitgeholfen. Letzter Arbeitsgang vor dem Transport zum Main-Donau-Kanal war die Lackierung des Rumpfes. Gleich zehn Lagen waren notwendig, sechsmal musste grundiert, viermal Lack drüber gestrichen werden. Ein Wassertank mit einem Fassungsvermögen von 2000 Litern ist im Boot, dazu ein Dieseltank mit 1500 Litern Volumen. Die Toilettenspülung ebenso wie die Motorkühlung werden später einmal mit Meerwasser funktionieren. Der Strom für Kühl- und Gefrierschrank sowie Herd und Backofen wird komplett von Solaranlagen erzeugt, wenn die Yacht erst einmal in südlichen Gewässern unterwegs ist. In Nürnberg hängen die Geräte erst einmal an der Steckdose des Hafens.
Von seinem früheren Leben hat sich das Ehepaar verabschiedet. Ihre beiden Unternehmen haben sie längst an ihre 23 und 24 Jahre alten Töchter Katharina und Barbara übergeben. Lachend erzählen die Hillreiners, dass die Töchter ohnehin verlangt hatten, dass sich die Eltern dann vollständig aus dem Geschäft raushalten. Es fällt ihnen offenbar auch nicht allzu schwer. "Man muss halt loslassen können", versichert Hans, und Barbara Hillreiner erklärt: "Mittlerweile bin ich froh, dass man kaum mehr heimkommt, die ganze Hektik . . ." Nun ist das Boot zu ihrem Heim geworden.
Für das Aussteigen aus der Normalwelt bedurfte es neben der Geschäftsübergabe an die Töchter und dem aufwendigen Bau des Schiffes einer Vielzahl weiterer intensiver Vorbereitungen, unter anderem der Registrierung der "Dream" beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg. Diese Behörde hat den Schiffseignern einen Schein ausgestellt, der ähnlich wie ein Kraftfahrzeugschein an Land mitzuführen und bei Kontrollen vorzuzeigen ist. Zudem sind neben den Schiffsführerscheinen beispielsweise Funksprechzeugnisse, Bescheinigungen über medizinische Kurse und ein Waffenschein für die Signalpistolen erforderlich. Sollte unterwegs auf hoher See ein medizinischer Notfall eintreten, müsste die Hamburger Schifffahrtsbehörde benachrichtigt werden, die das nächste größere Schiff mit einem Arzt an Bord alarmieren würde. Auch muss man über Zoll- und Visabestimmungen Bescheid wissen, um mit den Behörden in den Häfen kommunizieren zu können. Dafür hat Barbara Hillreiner nicht nur ihr Schulenglisch aufgefrischt, sondern auch Spanisch und Französisch gelernt - und das neben den Pflichten im Unternehmen.
Von Nürnberg aus wollten die beiden eigentlich im August, angetrieben von einem 75 PS starken Motor eines 190er-Mercedes, über Main, Rhein, Mosel, den Canal des Vosges, Saône und Rhone ins Mittelmeer schippern, wo dann im südfranzösischen Sète der Mast montiert und die Segel aufgezogen werden sollten. Pläne aus dem alten Leben. Doch am Nürnberger Liegeplatz, einem beliebten Treffpunkt für Weltenbummler, erfahren sie rasch, dass sie mit ihrem Riesenboot die Strecke in Frankreich nicht nehmen könnten. Die Kanäle dort sind zu schmal. "In den Büchern steht es anders, da heißt es, dass es kein Problem ist", sagt Hans Hillreiner. Also wird umgeplant: Nun soll es nach Süden zur Donau, dann durchs Schwarze Meer und den Bosporus ins Mittelmeer gehen, wo die beiden sich zunächst zwei Jahre aufhalten wollen. "Man will sich ja auch was anschauen", betont Barbara Hillreiner. Außerdem lassen sich in den mediterranen Gewässern Erfahrungen mit dem Boot sammeln, ehe es danach auf die große Reise über den Atlantik in Richtung Karibik geht. Zukunftsmusik. Die Gegenwart heißt Nürnberg.
Für den bevorstehenden Winter wird Hans Hillreiner eine Dieselheizung einbauen, die Warmluft produziert. Denn noch gilt es im heimischen Hafen, wo die Hillreiners schon viele Gleichgesinnte kennengelernt und eine Menge Adressen von Weltenbummlern gesammelt haben, auf 45 Quadratmeter Wohnfläche im Schiffsrumpf zu verharren. Gemütlich haben sie sich eingerichtet in ihrem entschleunigten Leben ohne Fernsehen und Alltagsstress. Oder wie Barbara Hillreiner sagt: "Es ist ein gutes Gefühl, wenn man etwas nicht braucht."