Kita-Leiterin Dagmar Böhme:Anwältin der Kleinen

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Die beliebte Kita-Leiterin Dagmar Böhme weiß schon jetzt, dass ihr die Kinder im Ruhestand fehlen werden. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie Dagmar Böhme mit viel Durchsetzungskraft aus dem klassischen Kindergarten Sankt Hildegard ein integratives Kinderhaus geschaffen hat. Am Freitag wird die Pädagogin in den Ruhestand verabschiedet

Von Petra Schafflik

Bunte Zeichnungen liegen auf dem Schreibtisch. "Schon seit Tagen bekomme ich viele Bilder von den Kindern", erzählt Dagmar Böhme. Mit ihren kleinen Kunstwerken wollen die Mädchen und Buben vom Kindergarten Sankt Hildegard in Dachau-Ost der beliebten Kita-Leiterin ein Abschiedsgeschenk machen, denn am Freitag, 14. Dezember, verabschieden Kollegen, Eltern und Kirchengemeinde jetzt die langjährige Kindergartenleiterin mit Festgottesdienst und anschließendem Empfang in den Ruhestand. Mit Dagmar Böhme verlässt eine Pädagogin die Einrichtung, die mit viel Engagement und Durchsetzungskraft den Weg begleitet hat vom klassischen Kindergarten Sankt Hildegard hin zum integrativen Kinderhaus. Damit ist Alltag geworden, was sich Böhme schon zu Beginn ihrer Berufslaufbahn gewünscht hatte: "Alle Kinder und ihre Familien so annehmen wie sie sind." Und ihnen in Sankt Hildegard einen Ort der Begegnung anbieten, "an dem sich alle wohl und zu Hause fühlen."

Die Motivation, den Pfarrkindergarten mit langer Tradition zu öffnen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, entwickelte sich im Kita-Alltag. Dort erlebte Dagmar Böhme immer wieder einzelne Kinder, "die trotz aller Bemühungen bei uns nicht richtig waren." Doch diese Erkenntnis, "dass jemand wegen eins Handicaps nicht teilhaben kann, war mir von Anfang an ein Gräuel". Zumal immer klar war: Unter anderen Bedingungen, besseren Voraussetzungen, hätte dieses Mädchen oder dieser Bub bleiben und sich gut entwickeln können. Also setzte Dagmar Böhme alle Hebel in Bewegung, um Team, Eltern und damals Pfarrer Wögerbauer als Vorsitzenden der Kirchenstiftung zu überzeugen. Mit Erfolg. Los ging es 1997 mit einer Gruppe, seit 2013 arbeitet die viergruppige Einrichtung vollständig inklusiv, der angeschlossenen Hort setzt seit 2016 auf Integration. Ziel erreicht: "Es ist ganz normal geworden, dass alle teilhaben."

Doch natürlich gab es in den 34 Jahren, in denen Dagmar Böhme die Einrichtung leitete, noch andere Herausforderungen. Die Umsetzung des 2005 in Kraft getretenen Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes etwa, einer neuen rechtlichen Grundlage der Kinderbetreuung. Damit einher ging viel Bürokratie, aber auch wichtige Grundlagen wurden festgeschrieben, wie die Rechte der Kinder, betont Böhme. Auch die öffentliche Wahrnehmung des Berufsbilds der Erzieher hat sich mit dem im Gesetz gestärkten Bildungsauftrag gewandelt: "Von der Basteltante hin zu professionellen Pädagogen." Genau diese Professionalität war Böhme stets wichtig. Als sichtbares Zeichen hat sie ein Qualitätsmanagement, wie es allgemein in Wirtschaftsunternehmen üblich ist, schon früh auch im Kindergarten Sankt Hildegard implementiert. Enorme Auswirkungen auf die Kinderbetreuung hat auch der Wandel von Gesellschaft wie Familienstrukturen: "Familie - das ist nicht mehr nur Vater, Mutter, Kind, sondern auch Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Eltern und Patchwork-Familien. Allen wollen wir gerecht werden." Und mit fachlicher Unterstützung zur Seite stehen, denn Beratung ist mehr gefragt denn je. "Die Unsicherheit bei den Eltern ist groß."

Gleichzeitig hat sich auch die Rolle der Frau verändert und damit die Anforderungen an die Kinderbetreuung. Klassische Halbtagseinrichtungen, beim Start von Dagmar Böhme ins Berufsleben noch gang und gebe, existieren so gut wie nicht mehr. Üblich sind Öffnungszeiten, die sich am Betreuungsbedarf berufstätiger Eltern orientieren mit täglichen Buchungszeiten von bis zu zehn Stunden. Als "Anwältin der Kinder", wie sich Dagmar Böhme selbst nennt, beobachtet die Pädagogin diese Entwicklung aufmerksam, behält die Interessen und Bedürfnisse der Mädchen und Buben strikt im Blick. Mit der Folge, dass Sankt Hildegard als eine der wenigen Einrichtungen der Stadt Dachau im Sommer für vier Wochen schließt. Damit die engagierten Mitarbeiter eine längere Auszeit bekommen. Aber auch mit Rücksicht auf die Kleinen: "Auch Kinder haben ein Recht auf Jahresurlaub." Einmal abends länger aufbleiben, dafür in der Früh ausschlafen und nicht getrieben von einem Terminplan durch den Tag hetzen, das sollen echte Sommerferien den Kinder ermöglichen.

Kein Wunder also, dass die überzeugte Pädagogin neue Ideen wie Abend-Öffnungszeiten, Nacht- oder gar 24-Stunden-Kita enorm kritisch sieht. Nicht der Arbeitsmarkt sollte die Regeln diktieren, "wir müssen auf die Bedürfnisse der Kinder achten." Diese Haltung hat sie auch immer wieder mit öffentlichen Statements in die gesellschaftspolitische Diskussion im Landkreis eingebracht. Auch im Ruhestand wird Böhme die weitere Entwicklung der Kinderbetreuung aufmerksam verfolgen. Doch als Gewinn des neuen Lebensabschnitts möchte sie terminfreie Tage, Freiraum für eigene Pläne und die Zeit mit dem Enkel genießen. Schon jetzt ist sie sicher: "Die Kinder werden mir fehlen."

© SZ vom 13.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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