Kammerberg:"Er gehört jetzt dazu"

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Der 17-jährige Silwan, ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Syrien, lebt jetzt bei der Familie Fetsch

Von Birgit Grundner, Kammerberg

Das neueste Mitglied von Familie Fetsch ist eigentlich ein ganz normaler Teenager: Er geht täglich zur Schule, möchte Computerprogrammierer werden, spielt in seiner Freizeit am liebsten Fußball bei der Spielvereinigung Kammerberg und führt schon mal Grundsatzdiskussionen über den Sinn eines Radlhelms. Doch der 17-jährige Silwan hat schon viel mehr hinter sich als seine deutschen Alterskameraden und ist zudem eine echte Besonderheit im Landkreis Freising: Er lebt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in einer Pflegefamilie, die das Jugendamt Freising für ihn ausgewählt hat. Es ist ein Modell, das angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstroms durchaus Schule machen soll.

Die leiblichen Kinder von Pierrette und Eugen Fetsch sind längst ausgezogen. In ihrem großen Haus ist viel Platz. 29 Pflegekinder haben die beiden im Laufe der Jahre schon aufgenommen. Mehr sollten es eigentlich nicht mehr werden. "Ich wollte eigentlich aufhören", sagt Pierrette Fetsch. Doch wenn man dann die Nachrichten sehe und höre, was in den Krisengebieten wie Syrien los sei, dann sei man doch "gezwungen zu helfen", findet sie: "Das Leben dort kann keiner ertragen." - "Es tut in der Seele weh", bekräftigt ihr Mann. Für beide steht fest: "Wer Hilfe braucht, kann bei uns immer anklopfen." Und das Jugendamt hat angeklopft.

Silwan ist syrischer Kurde, gehört also einer Minderheit an. Auf der Flucht vor dem Militärdienst ist der zierliche Jugendliche über die Türkei nach Deutschland gekommen und hat nun seit einem guten Vierteljahr bei den Fetschs ein neues Zuhause gefunden. Familienanschluss und ein eigenes Zimmer, das er stolz vorführt: Bett, Schrank, Schreibstisch und sogar ein eigenes Bad. Alles ist ordentlich aufgeräumt - das mache Silwan immer unaufgefordert, lobt seine Pflegemutter. Die gebürtige Französin ist eine resolute Frau, die genau weiß, was jetzt für ihren Pflegesohn wichtig ist. An erster Stelle steht die Sprache. Regelmäßig üben sie und ihr Mann mit Silwan. "Wir sprechen viel deutsch mit ihm", sagt Eugen Fetsch: "Wir sprechen langsam, dann versteht er es auch." "Und wenn er etwas nicht versteht, dann suchen wir im Lexikon danach", ergänzt seine Frau. Dass sie die nötige Geduld aufbringt, ist für sie eine Selbstverständlichkeit: "Er gehört jetzt doch dazu."

Inzwischen besucht Silwan eine Integrationsklasse in der Berufsschule Freising. In seiner Freizeit schreibt er regelmäßig E-Mails nach Syrien. Was er hier ganz besonders vermisst? "Meine Familie und meine Freundin", sagt er, "und dass ich meine Sprache nicht sprechen kann." Vor kurzem war aber einmal eine Dolmetscherin da, um Fragen zu klären, die Silwan selbst auf Deutsch noch nicht beantworten kann.

Mit einem öffentlichen Aufruf hatte das zuständige Landratsamt Freising Familien gesucht, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bei sich aufnehmen. 70 Interessenten sind darauf zum Infoabend gekommen. Viele hätten danach wieder einen Rückzieher gemacht, erzählt Jugendamtsleiterin Arabella Gittler-Reichel. Manche hätten wohl auch die sehr genaue Überprüfung durch die Behörde gescheut. Aber 13 Interessenten sind trotzdem übrig blieben: "Das freut uns, dass es so viele sind." Unterstützt werden die Pflegefamilien von Sozialarbeiter Johannes Schmidtner, der auch dabei hilft, Silwan die deutsche fremde Kultur zu vermitteln. In Syrien sei es zum Beispiel nicht so üblich, dass "die Mutter auf den Tisch haut", sagt Schmidtner. Silwan müsse aber verstehen, dass Pierrette Fetsch Regeln setze und auch auf die Einhaltung achte. Den ungeliebten, weil "uncoolen" Radlhelm zum Beispiel hat der 17-Jährige am Ende doch aufsetzen müssen, da kannte seine Pflegemutter kein Pardon. Bei ihren eigenen Kindern hätte sie es nicht anders gemacht.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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