Jubiläum:Klassenloser Gesangsverein

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Die Liedertafel Dachau, der einst auch Ludwig Thoma angehörte, feiert 140-jähriges Bestehen

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Vor 140 Jahren haben einige Honorationen des damaligen Marktes Dachau mindestens ebenso viel Spaß am Männergesang gehabt wie an den Freuden einer wohlgedeckten Tafel: Sie luden per Anzeige im Amperboten "behufs Gründung einer Liedertafel dahier" in den Hörhammerbräu ein. 31 aktive Sänger und sieben passive Mitglieder gründeten am 3. Oktober 1879 die Liedertafel Dachau. Heute singen 43 Sängerinnen und Sänger in diesem Chor. Sie geben an diesem Sonntag, 17. März, im Schloss ihr Jubiläumskonzert mit einem für Dachauer Hörgewohnheiten ausgefallenen Programm: Igor Strawinskys Cantata für Sopran-und Tenorsolo, Frauenchor und kleines Ensemble, dessen Psalmensymphonie für Chor und Orchester sowie die Serenade in Es-Dur KV 375 von Wolfgang Amadeus Mozart. Begleitet werden Chor und Solisten (Sopranistin Judith Spiesser und Tenor Bernhard Schneider) von Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Die Leitung hat Tobias Hermanutz.

Da hätte vermutlich Lehrer Fromberger, Dirigent und Vorstand der gerade gegründeten Liedertafel, zumindest verwundert den Kopf geschüttelt. Pflegten er und seine Mitsänger doch vorzugsweise das seinerzeit populäre volksliedhafte Repertoire. Zu den Gründern der Liedertafel gehörte übrigens auch Alois Fleischmann, der Vater des erst vor 15 Jahren wiederentdecken Dachauer Komponisten Aloys Fleischmann (1880-1964). Dieser hat als junger Mann mit seinen Weihnachtsspielen und seiner Chor-Kompositionen das Dachauer Kulturleben - und damit auch die Liedertafel - entscheidend geprägt, bis er 1906 nach Irland auswanderte.

Der Liedertafel selbst schlossen sich bald "Vertreter aller sozialen Schichten und der verschiedensten Berufsgruppen" an, wie in einer alten Chronik der Liedertafel zu ihrem hundertjährigen Bestehen zu lesen ist. Ein wenig spöttisch heißt es da: "Insbesondere Juristen scheint es die Liedertafel angetan zu haben." Darunter waren der Schriftsteller Ludwig Thoma sowie der Dachauer Politiker und spätere bayerische Kultusminister Josef Schwalber, einer der Väter des Grundgesetzes.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es für die Granden der damals blühenden Künstlerkolonie selbstverständlich, in der Liedertafel die Stimme mehr oder weniger gekonnt zu erheben, wie alte Mitgliederlisten zeigen. Andererseits könnte womöglich das rege gesellschaftliche Treiben, bei dem Tafeln und Trinken im Vordergrund standen, so manchen Kunstschaffenden mindestens ebenso motiviert haben wie die Sangeskunst.

Eindeutig ins Reich der Fama gehört dagegen, dass Frauen von der Liedertafel ausgeschlossen waren. Bereits in der ersten Satzung war nämlich die Aufführung gemischter Chorwerke vorgesehen, das wurde aber kaum realisiert. Frauen durften in den ersten Liedertafel-Jahrzehnten selbstredend nicht an den sogenannten Herrenkneipen teilnehmen, glänzten aber immer wieder mit Solo-Auftritten, auch an der Seite ihre Ehemänner.

Als junger Mann setzte der Komponist Aloys Fleischmann (hier eine Aufnahme von 1904) bei der Liedertafel Akzente. (Foto: privat)

Mit Beginn der Naziherrschaft war Schluss mit dem schönen Liedertafel-Leben. Aus dem Vereinsvorstand wurde ein Vereinsführer. In der Chronik ist zu lesen: "Nach vereinzelt gewollten oder erzwungenen Sympathiekundgebungen gegenüber dem Dritten Reich drückte sich die Liedertafel beharrlich vor dessen Segnungen" und einer Mitgliedschaft im KdF-Vereinsring. Im Gegenteil, die Sänger nahmen bereits 1934 ihre drangsalierten Kollegen vom Arbeitergesangsverein in die Liedertafel auf. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Liedertafel Teil des Dachauer Volkschors, des heutigen PopCHORn, machte sich aber 1951 wieder selbständig - und erfand sich neu. Die Dirigenten P.P. Winkler und Martin Gerer gründeten beispielsweise eigene Ensembles innerhalb der Liedertafel - und zogen so jüngere Sängerinnen und Sänger an.

1987 übernahm Peter Frank den Chor - und blieb 27 Jahre lang dessen Dirigent. Endlich waren auch in Dachau die anspruchsvollen Meisterwerke des Barock, der Klassik und der Romantik zu hören. Unvergesslich bleiben Felix Mendelssohn Bartholdys "Elias" aus dem Jahr 2004 oder Carl Orffs "Carmina Burana" im Hofgarten im darauffolgenden Jahr - eine Gemeinschaftsaufführung aller Dachauer Chöre zum Stadtjubiläum, die "Irische Woche" zu Ehren von Aloys Fleischmann 2010 und nicht zuletzt Georg Friedrich Händels Messiah, Franks Abschiedskonzert vor fünf Jahren, um nur einige Konzerte zu nennen.

Sängerfest am 2. August 1954. (Foto: Sessner)

Mit dem jetzigen Chorleiter, Tobias Hermanutz, hat wieder eine neue Liedertafel-Ära begonnen. Sein erstes Konzert zeigte schon 2015, wohin die Reise geht: Statt Jauchzen und Frohlocken der vertrauten Art stand Artur Honeggers "König David" auf dem Programm. Bis es soweit war, sei allerdings "eine gewisse Überzeugungsarbeit bei den Sängerinnen und Sängerinnen notwendig gewesen", sagte Liedertafel-Vorsitzender Kurt Benedini der SZ Dachau. Doch der "Reiz des Neuen und ein junger Dirigent, der mit der Chormusik des 20. Jahrhunderts genauso perfekt umgehen kann wie mit Bach, hat den Chor überzeugt und beflügelt ihn". So sehr, dass nach der großartigen Bach'schen Matthäuspassion 2018 - zusammen mit der Chorgemeinschaft und dem Kinderchor von Sankt Peter - beim Jubiläumskonzert am Sonntag die zwei genannten Werke von Igor Strawinsky (1882-1971) im Mittelpunkt stehen. "Geistliche Musik aus der Feder eines Bürgerschrecks" wie der Musikwissenschaftler und SZ-Autor Andreas Pernpeintner im Programmheft schreibt. "Etwas zu singen, das nicht so leicht ins Ohr geht, ist eine Herausforderung. Da müssen alle Stimmen absolut sicher sein. Aber bei den Proben hat sich gezeigt, dass der Chor auch daran wächst." Übrigens nicht nur stimmlich, sondern auch durchaus real. Denn das Konzept von Tobias Hermanutz geht auf: Die Liedertafel hat neue Sängerinnen und Sänger gewinnen können - und Projektsänger sowieso. Denn schließlich steht die Liedertafel seit Jahrzehnten für Chormusik auf höchstem Niveau.

140 Jahre Liedertafel Dachau. Konzert am Sonntag, 17. März, um 17 Uhr im Renaissance-Festsaal des Dachauer Schlosses. Restkarten an der Abendkasse.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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