Poetischer Herbst:Eigene Vergänglichkeit vor Augen

Lesezeit: 2 min

Grazer Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Mischa von Perger erklärt den Hohenzeller Totentanz. (Foto: Jørgensen)

Beim "Poetischen Herbst" erläuterte Mischa von Perger die Details des Totentanz-Gemäldes von Hohenzell

Von Tamara Wenger, Hohenzell

Wer kennt sie nicht, die Erzählung vom Brandner Kaspar? Plötzlich steht der personifizierte Tod vor Kaspar und dieser bemerkt, dass seine Tage auf Erden wohl gezählt sind. Mit einer List gelingt es ihm, dem Sensenmann noch ein paar zusätzliche Lebensjahre abzuringen. Die Konfrontation mit dem Tod beschäftigt die Menschen seit jeher. Heute oft tabuisiert, wird die Gegenwart des Todes für den Besucher der Hohenzeller Pfarrkirche Sankt Stephan ganz offensichtlich. Ein unbekannter Künstler hat Mitte des 18. Jahrhunderts ein zur Gattung "Totentanz" gehörendes Gemälde kreiert, das an der Rückwand des Gotteshauses, links neben dem Eingang hängt.

In der vom Landkreis organisierten Veranstaltungsreihe Poetischer Herbst zum Thema Tanz erläuterte der Grazer Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Mischa von Perger am Sonntagabend Details und Hintergründe dieser nahezu unbekannten Rarität. Musikalisch untermalte der Cellist Jost H. Hecker die Ausführungen des Experten.

Bereits Mitte des 15. Jahrhunderts kam diese Ausdrucksform des Memento mori, der Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit auf. Totentanz-Darstellungen wollten dem Betrachter vor Augen führen, dass er sein Leben so zu gestalten habe, dass er jeden Tag bereit sein müsse für den jüngsten Tag, erklärt von Perger. Der Begriff "Tanz" mag zunächst irritieren. Zum einen seien die Skelette in anderen Zyklen teils mit Musikinstrumenten ausgestattet. Zum anderen dienten die Momentaufnahmen älterer Darstellungen, wo sich der Tod und die Individuen an den Händen haltend zu einer langen Reihe, zu einem Reigen, verbunden haben, als Namensgeber für das Genre.

Sechs Szenen - jede in einem für die Rokokozeit typischen schnörkeligen Goldrahmen eingefasst - veranschaulichen in der Pfarrkirche die Begegnung mit dem Tod. Im Vergleich zum berühmten Prager Totentanz sind es hier nicht die höchsten Würdenträger, denen der Tod gegenübersteht. Nicht der Papst oder der König schauen ihm in die Augen, die Individuen sind vielmehr dem gesellschaftlichen Umfeld der damaligen Kirchenbesucher entnommen.

Trotzdem gebe es hier "einen gewissen hierarchischen Abfall" zu erkennen, so von Perger. Im oberen Teil des Gemäldes treten wohlhabende Männer in Erscheinung, darunter ein Reicher, ein Priester oder ein Leser im schwarzen Talar. Im Kontrast dazu zeigt der untere Teil eine bäuerliche Szenerie, in die der Tod plötzlich einfällt. So erwischt er einen Bauern auf dem Feld und einen Pilger auf der Reise.

Die Hilfsmittel, denen sich der Tod bedient, sind vielfältig: Nicht immer ist es die berühmte Sense, die er in Händen hält - hier dient sie nur im Fall des Gelehrten als Mordwerkzeug. Den Wucherer trifft ein speerartiger Pfeil, ein andermal tritt der Tod als "Schnitter" auf oder übernimmt sinnbildlich die Arbeit des Totengräbers mit einem Spaten in der Hand.

Der Hohenzeller Totentanz weist einige Besonderheiten auf: Eine Szenerie zeigt zwei Personen in dem "ganz ungewöhnlichen Raum einer Kirche", erklärt von Perger. Ein Priester und ein Beter begegnen hier dem Tod, der Priester wird gar vor dem Altar geholt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich inmitten eines fröhlichen Gelages, das in der Mitte des Gemäldes inszeniert ist, vermutlich eine Frau befindet - ein wahre Rarität.

Was auf dem Hohenzeller Exemplar fehlt, ist der meist mittels einzelner Phrasen ausgedrückte Dialog zwischen Sterblichem und personifiziertem Tod. Grotesk wirkt ein auf dem "solche Eleganz und Fantasie ausstrahlenden Rokoko-Rahmen" aufgesetzter Totenkopf. Nach den biblischen Inschriften zu urteilen, ist es der Totenkopf, der den lebendigen Betrachter anspricht und an dessen Wachsamkeit appelliert.

Weiter geht es im Poetischen Herbst an diesem Dienstagabend im Dachauer Adolf-Hölzel-Haus (Ernst-Reuter-Platz 1) um 20 Uhr mit Su Turhan, der aus seinem Roman "Kruzitürken" liest, und orientalischen Bauchtanzeinlagen. Karten: Dachauer Forum, Telefon 08131/99 68 80.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: