Heute: Weyhern, Folge 8:Kühe, Karpfen, Kunsthandwerk

Lesezeit: 6 min

Weyhern hat sich ziemlich verwandelt - das Dorf ist dennoch intakt geblieben

Von Viktoria Großmann

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Idylle in Weyhern: Der Weiler am Ortsrand ist ein begehrtes Ausflugsziel.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Fundstück: Die Teichmuschel gehört zu den Lebewesen, die von dem Biotop in Weyhern profitieren...

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(Foto: Niels P. Joergensen)

...ebenso wie die Seerosen.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Hans Seitz vom Seppnbauernhof ist der letzte Vollerwerbslandwirt im Ort. Er hat 65 Kühe.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Der Maibaum steht mittlerweile nicht mehr im Ort.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Sepp Mertl hat aus dem Lindinger-Anwesen den Hof Rosenrot gemacht.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Im Hof Rosenrot betreiben Kunsthandwerkerinnen wie Birgit Lehrl ein Café und organisieren Veranstaltungen.

Am besten kommt man in den Abendstunden nach Weyhern: Dann quaken die Frösche und vom nahen Wäldchen sind Vogelstimmen zu hören. In den blauen Stunden leuchten die weißen Blüten der Teichrosen besonders intensiv. Als Bub hat sich Sepp Mertl aus den Blumen vielleicht noch nicht so viel gemacht. Da saß er abends auf den sonnenwarmen Stufen vorm Haus und hörte dem Gequake zu. Das damals viel lauter war, sagt er. "Das war unser Radio." Der 74-Jährige hat noch immer ein äußerst feines Gehör, daran liegt es also nicht. Eher daran, dass alles ein wenig eintöniger geworden ist, seit damals. Mehr Monokultur, mehr Pestizide, weniger Insekten und damit auch weniger Frösche. Von den fünf oder sechs Höfen, die den kleinen Ort früher ausmachten, ist ein großer übrig geblieben. Das Dorf hat sich verwandelt. Dass es dennoch intakt erscheint und der Zusammenhalt noch immer da ist, das können sich die alteingesessenen Familien gemeinsam zugute halten.

Sepp Mertl hat zu der behutsamen Verwandlung des Dorfes beigetragen. Er hat aus einem geerbten Bauernhof einen Kunsthandwerkerhof gemacht, den Hof Rosenrot, und er ist Chronist des Dorfes. Als er durch den Ort führt, in dem er aufgewachsen ist, schwärmt er von seiner Kindheit. Die Kinder heute, sagt er, wachsen fast noch genauso auf. "Die sind immer draußen und die raufen auch mal."

Die Weiher von Weyhern sind eigentlich eher Sumpflöcher. In einem, im größten, der als Badesee genutzt wird und an dem sogar eine Rutsche angebracht wurde, ziehen vom Ufer aus gut sichtbar riesige Karpfen ihre Bahnen. "Die kann man nicht mehr essen", sagt Mertl nur. Er führt zu zwei anderen kleinen Teichen, in denen Fische leben, die noch um ihr Leben fürchten müssen. Eine verwunschene, von Efeu eingewachsene Laube steht hier, eine Silberweide spendet Schatten, Mertl heftet den Blick auf den Boden. Im Gras liegen sie: Teichmuscheln. Braune Schalen in der Form einer Jakobsmuschel, Handtellergroß. Bleibt zu hoffen, dass es im Gewässer noch ein paar lebendige Exemplare gibt. Um nach Weyhern zu gelangen, muss man von der Staatsstraße 2050 aus Niederroth kommend, einmal ziemlich scharf links abbiegen. Freundlicherweise sind die weiß-blau geringelten Schranken am Eingang zum Dorf offen. Ein Scherz der Dorfgemeinschaft, die sich ungefähr alle zwei Jahre auch einen eigenen Maibaum leistet. Im Moment ist keiner da. Irgendwer hat sich vor einiger Zeit einen gefährlichen Spaß erlaubt und die Schrauben entfernt. Bevor der Baum jemanden auf den Kopf fallen konnte, wurde er herunter geholt. Sonst ist Weyhern eher kein Ort für Straftaten. Von ein paar falsch parkenden Touristen, die ihre Autos den Bulldogs in den Weg stellen, mal abgesehen.

Weyhern hat ja nicht nur Frösche und Karpfen. Sondern auch Kunsthandwerk. Als Hof Rosenrot zieht das frühere Lindinger-Anwesen, das der Familie Sepp Mertls gehörte, bereits seit Ende der Neunzigerjahre regelmäßig Besuch von außerhalb in die kleine Dorfgemeinschaft. In dem niedrigen Wohnhaus mit den hellblauen Fensterläden schneidert die Münchnerin Doris Gibson wildromantische Kleidung für Menschen, die im Herzen Hippies sind, dazu liefert Sabine Hinz kunstvoll Gestricktes und Gehäkeltes, Birgit Lehrl verkauft ihren handgemachten Glasschmuck und Petra Reichel hat sich unterm Dach eine Malstube eingerichtet. Dazu kommen wechselnde Ausstellungen anderer Kunsthandwerker, derzeit etwa des Drechslers Rudi Schöllner. Im Hof, und bei unangenehmerem Wetter in der gemütlichen alten Bauernküche, betreiben die Frauen ein Café. Backen können sie auch. Gemeinsam pflegen sie den angrenzenden Bauerngarten. Unterm Dach gibt es noch einen größeren Raum, in dem Mal- und Handarbeitskurse stattfinden.

Sepp Mertl sitzt vor dem Haus und schmunzelt. Die Rosenstöcke hat er gepflanzt, die Frauen haben den Namen mitgebracht. Er hat ihnen den Hof verpachtet, nachdem er schon Jahre leer gestanden hatte. Die Landwirtschaft hatte sein Onkel schon Ende der Siebzigerjahre aufgegeben. Als Mertl als Bub zu Onkel und Tante kam, weil die Mutter im Kindbett gestorben und der Vater im Krieg geblieben war, da hatte es auf dem Lindinger-Hof noch Schweine, Kühe, Kälber und Zugochsen gegeben. Mit den zwei Zugochsen fuhr man in der Erntezeit zur Klosterbrauerei in Indersdorf. "Morgens um acht Uhr sind wir los", erinnert sich Mertl. "Gegen vier Uhr nachmittags kamen wir mit 100 Liter Sommerbier für die Erntehelfer zurück." So ein Zugochse hat nicht nur sein eigenes Tempo, sondern auch seinen eigenen Willen, erklärt Mertl.

Heute, da nicht mehr das ganze Dorf bei der Ernte zusammen kommt, treffen sich mindestens einmal im Jahr alle zu einem großen Fest auf dem Hof von Sepp Mertl. Ende Mai gibt es eine Maiandacht und danach ein großes Fest. "Ich spendiere den Wein und dann feiern wir bis 2 oder 3 in der Früh", sagt Sepp Mertl. Zum Maibaumfest kommen auch mal Gäste von außerhalb. Dann gibt es ein paar Einnahmen von Speis und Trank - davon wird das nächste Fest gefeiert.

Mertl war zunächst ratlos, was er mit seinem Erbe anfangen sollte. Vielleicht doch das alte Haus einfach abreißen? Seine Frau und die Erinnerung an den Onkel bewahren ihn davor. Er beginnt, das Haus zu renovieren und zu verschönern, hier ein bisschen, da ein bisschen. Über Jahre. "Das hat viel Zeit, Geld und Schweiß gekostet. Wirtschaftlich war das nicht." Dafür sieht es heute viel romantischer und anheimelnder aus als auf den alten Fotos, die Mertl für seine Ortschronik gesammelt hat. Die Fensterläden sind nicht original, sie passen nur gut.

Sepp Mertl hat einen Beruf gelernt, den es heute nicht mehr gibt: Schriftsetzer. Und er hat einen Hof geerbt, für den es keine Verwendung mehr gab. Er ist der Zeit nicht böse für ihre Veränderungen. Er hat aus allen das Beste gemacht. Der Transfer vom Bauernhof zum Kunsthof ist Mertl gut gelungen. Auch wenn er von sich selbst behauptet, kein begnadeter Handwerker zu sein, als Gärtner und Gastgeber macht er sich hervorragend. Die Nachbarn hätten die Verwandlung auch gut aufgenommen. "Wir halten hier gut zusammen."

Eine Säge kreischt. Holzernte. Ein Traktor holpert den Dorfweg hinunter, hinterm Steuer ein Bub, sicher keine 14, daneben ein noch jüngerer. Sommer auf dem Land. Sepp Mertl führt hinauf zum Seppnbauer. Der Name bezieht sich auf die schon ewig ansässige Familie. Tatsächlich heißt der Landwirt Hans Seitz. "Der berühmteste Mann im Ort", stellt Mertl ihn vor. Seitz feixt. Seine Familie sei ja auch erst seit den 1870ern im Ort. Zugezogene könnte man sagen. Er hat 300 Tagwerk Land, 65 Kühe im Stall, die im Jahr 450 000 Liter Milch liefern. Dazu Kälbchen. Er beheizt fast den ganzen Ort mit seiner Hackschnitzelanlage. Der Sohn hat die Landwirtschaft bereits übernommen, die Enkel helfen mit. "Hier will man doch nicht weg", sagt er.

So ein Hof ist noch immer viel Arbeit - für viel weniger Leute. Die Computer erlauben es, dass heutzutage auch ein Bauer mal Urlaub macht. Die Milch rinnt, per Maschine gemolken, direkt in den sterilen Kühltank. Am Computer sieht Seitz genau, wie oft jede Kuh am Tag in der Melkmaschine war, wie viel Liter Milch sie gegeben hat oder ob sie nur das Lockfutter aus der Ablage genascht hat. Der Computer misst auch die Qualität der Milch und weiß, wann die Kuh wieder trächtig werden kann. Dann braucht es einen Zuchtbullen. Oder? Seitz grinst wieder und weist in eine Ecke im Kuhstallbüro: Da steht in einem Kanister gut gekühlt das Bullensperma. Landwirtschaft im 21. Jahrhundert.

Mal eben beim Bauern Milch holen, das geht nicht und ist auch gar nicht erlaubt. Zum Butterstampfen setzt sich auch keiner mehr hin. Auch Landwirte gehen heute in den Supermarkt oder tauschen sich untereinander aus. Die Tradition liegt im Erzählen. Seitz, Mitte 60, gibt den Kindern und Enkelkindern weiter, was er selbst immer und immer wieder von Eltern und Großeltern gehört hat. Wie die Familie damals aus Schwabhausen kam, wo die alten Grenzsteine im Wald liegen, die das eigene Gebiet markieren, wie der Vorfahr geschworen hat, eine Kapelle zu bauen, wenn seine bei einem Unfall gebrochenen Beine wieder heil werden. Die kleine Marienkapelle, fünf Meter lang, dreieinhalb Meter breit, steht wohl seit 1879 mitten im Feld. "Muss mal renoviert werden", sagt Seitz. In der Kapelle stand eine Zeit lang eine gotische Madonna. Sie ist heute gut verwahrt. Eine Kopie steht in der Sankt-Martins-Kirche im Dorf.

Eigentlich ist Sepp Mertl der Dorfälteste. "Aber ich bin nicht so richtig anerkannt. Ich wohne ja in Niederroth." Die Kinder sind in der Schweiz, gegen deren Ausblick auf den Genfer See kommen die Weiher von Weyhern nicht ganz an. Und auch Sepp Mertl will den nächsten halbrunden Geburtstag wohl nicht hier feiern. Doch Weyhern ist sein Leben. Man merkt es ihm an. "Zweimal in der Woche mindestens bin ich hier draußen." Ob Ältester oder nicht: Als Bewahrer kann der Chronist seines Heimatorts guten Gewissens anerkannt werden. Bewahren durch Verändern. Weyhern ist es gelungen.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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