Helios-Kliniken:"Wir picken eben nicht Rosinen"

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Karin Gräppi, Personalchefin der Helios GmbH, über Gesundheit, Profit und die Kriterien guter Pflege. Die Zukunft der Dachauer Amper-Klinikum AG, die zum Konzern gehört, bereitet ihr keine Sorgen mehr, weil die Aktionäre endlich an einem Strang ziehen

Interview von Wolfgang Eitler

Als vor zwei Jahren bekannt wurde, dass die Helios-Kliniken GmbH aus Berlin die Dachauer Amperkliniken mit einem Anteil von 94,9 Prozent übernehmen würde, den bis dahin die bayerische Rhön Klinikum AG hielt, raunten Betriebsräte von Rhön und Dachau vielsagend: "Jetzt bekommen wir es mit der Gräppi zu tun." Will sagen, mit einer Expertin, die sich in Personalfragen und Pflegethemen extrem gut auskennt und die hart im Verhandeln ist. Das Interview mit Karin Gräppi, Personalchefin von Helios und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Helios Amper Klinikum AG in Dachau, verlief entspannt bis aufgeräumt. Ihre Stimmung entsprach wohl dem harmonischen Ergebnis der Aufsichtsratssitzung kurz zuvor. Karin Gräppi dürfte nach Landrat Löwl die wichtigste Entscheidungsträgerin des Landkreises sein, auch wenn sie von Berlin aus tätig ist. Beim Thema Pflege wurde deutlich, dass sie ganz eigene Positionen dazu vertritt, wie Qualität ermöglicht wird.

SZ: Frau Gräppi, vertragen sich Profit und Gesundheit wirklich?

Karin Gräppi: Gegenfrage: Warum nicht?

Weil Gesundheit zur Daseinsvorsorge und -fürsorge gehört.

Stimmt. Gesundheitsversorgung darf nicht davon abhängig sein, was rentabel ist. Überall dort, wo wir uns engagieren, stellen wir uns dem jeweiligen Versorgungsauftrag. Bevor wir ein Krankenhaus übernehmen, untersuchen wir genau, ob wir für das Krankenhaus eine Zukunft sehen. Und wenn wir uns dafür entscheiden, dann stehen wir auch vollumfänglich dafür ein. Wir picken eben nicht Rosinen. Und ja, ein Krankenhaus muss Gewinn machen, um investieren zu können, in seine Mitarbeiter, aber auch in Medizintechnik und den Ausbau des Standortes.

Werden nicht Gewinne zu Lasten der Pflegekräfte erzielt?

Das Thema ist mir ein wichtiges Anliegen, erst Recht, da ich ja neben meiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzende der Helios-Amperkliniken in der Geschäftsführung der Helios Kliniken GmbH für den Bereich Personal zuständig bin. Zudem ist das Thema ja ein aktuell grundsätzlich diskutiertes. Die Gegenfrage ist, ob mehr Personal wirklich mehr Qualität und mehr Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit bringt.

Klingt auf jeden Fall logisch.

Es könnte aber auch sein, dass wir deutlich differenziertere Ansätze benötigen. Wir erzielen Gewinne, die wir wieder reinvestieren. Um das zu erreichen, schauen wir sehr genau darauf, wie viel Personal mit welcher Qualifikation wir wo einsetzen, um eine sehr gute Patientenversorgung sicherzustellen.

Man wirft Ihnen vor, dass die Helios-Mitarbeiter unter höherem Druck stünden als bei anderen Trägern.

Unser zweiter Gesundheitsbericht von Helios, der in Kürze erscheint, zeigt, dass die Ausfallzeiten und die Gründe dafür nicht von denen im Wirtschaftszweig abweichen und dass auch hier eine differenziertere Analyse notwendig ist. Ich bin außerdem überzeugt, und das können wir auch mit Zahlen belegen, dass die Tatsache, dass wir Arbeitsabläufe und Prozesse besser organisieren, uns in die Lage versetzt, effizienter zu arbeiten und dadurch gleichzeitig bessere Qualität zu erzielen als andere Kliniken. Und zwar ohne dass die Mitarbeiter einen Nachteil haben.

Was sagen Sie zum Pflegeschlüssel an den Helios-Amperkliniken von einer Pflegekraft für zehn Patienten, wie der Betriebsrat errechnet hat?

Solche Zahlen sagen wenig, weil es für die personelle Besetzung von Kliniken keine Schablone gibt. Es kann sein, dass Dachau einen anderen Pflegeschlüssel hat als beispielsweise Schwerin. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Nur um einige zu nennen: Befinden sich auf einer Station nur examinierte Pflegekräfte, oder hat man einen Teammix mit zusätzlichen Servicekräften oder vielleicht Arzthelferinnen an bestimmten Schnittstellen? Wie sehen die Schichtbesetzungen aus, wie die baulichen Voraussetzungen?

Helios-Personalchefin Karin Gräppi musste in den vergangenen eineinhalb Jahren öfters von Berlin nach Dachau reisen, als ihr lieb war. (Foto: Toni Heigl)

Aber andere Länder wie Norwegen haben Pflegeschlüssel bis hin zu einer Pflegekraft für drei Patienten. Dort geht man davon aus, dass die Versorgung dadurch wesentlich besser wird.

Eben, man geht davon aus. Aber es gibt keine Studien dazu, die uns hier wirklich weiterbringen. Dennoch treibt mich das Thema um und die Frage, ob eine Korrelation zwischen der Menge an Mitarbeitern und Qualität der medizinischen Leistung und auch der Patientenzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit besteht. Bezogen auf Deutschland kenne ich keine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Qualität und Quantität nachweist.

Eine solche Studie ist also überfällig.

Sobald es Studien gibt, die einen validen Nachweis erbringen, dass bei der Unterschreitung einer Besetzung nachweisbar die Qualität sinkt, werden wir bei Helios diese Studien ernst nehmen und Konsequenzen daraus ziehen.

Klagen von Pflegekräften über zu wenig Zeit für Patienten müssten doch Anhaltspunkt genug sein.

Absolut. Und vor allen Dingen klagen die Mitarbeiter ja auch nicht um des Klagens Willen, sondern weil sie sich nicht gehört oder verstanden fühlen. Mein Anspruch an die Stationsleitung und die Führungskräfte in den Kliniken wäre dann zunächst, konkret zu hinterfragen, was genau die Gründe für die Überbelastung sind. Oftmals sind es eben schlechte und unabgestimmte Abläufe auf den Stationen oder zwischen den Bereichen sowie eine schlechte Kommunikation.

Wollen Sie sagen, dass die interne Kommunikation verbessert werden muss? Dann kann man mit weniger Personal mehr leisten?

Ja, ich lehne mich da so weit aus dem Fenster, das zu behaupten. Es gibt viele Arbeiten dazu, was Mitarbeiterzufriedenheit erzeugt. Man weiß, dass Führungsqualität, Transparenz und der Spielraum, den die Mitarbeiter in ihrer jeweiligen Position haben, einen wesentlichen Beitrag zur Arbeitszufriedenheit leisten. Wenn die Führungskräfte ihre Führungsrolle nicht wahrnehmen, dann kann man noch so viel Geld in die Hand nehmen. Es verpufft.

Trotzdem hat der Bundestag in der eben erst beschlossenen Krankenhausreform die Diagnose gewagt, dass man die Pflege stärken muss.

Wir haben den Anspruch, dass wir auch unabhängig von der Gesetzgebung verantwortungsvoll handeln und so viel Personal einsetzen, wie notwendig. Nicht mehr und nicht weniger. Es wäre aus meiner Sicht nicht seriös zu sagen: Wir schaffen dann Stellen, wenn der Geldregen kommt.

Im Ballungsraum München soll es schwieriger sein, Pflegekräfte zu bekommen als Ärzte. Anderswo ist es genau umgekehrt.

Grundsätzlich stimmt die Einschätzung. Das Thema der Pflegekräfte in der Region München ist von den Lebenshaltungskosten abhängig. Ich habe mit Krankenschwestern gesprochen, die sagen, dass sie sich hier keine Wohnung leisten können.

Wie schätzen Sie die Krankenhausreform des Bundes ein? Was für Folgen hat sie für Helios und für Dachau?

Das sind zwei Fragen: Die Entscheidung, Qualitätszentren zu schaffen, halte ich für richtig. Hier waren wir der Politik voraus, wenn ich das mal so salopp sagen darf.

Und zu Dachau?

Um Dachau mache ich mir keine Sorgen. Wir hatten bei der Übernahme keinen guten Start, das stimmt. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch hier durchstarten werden. Wir haben mittlerweile ein ausgesprochen gutes Miteinander mit dem Mitaktionär, dem Landkreis Dachau. Die Diskussion hat sich deutlich versachlicht. Ich schätze Herrn Landrat Stefan Löwl sehr. Zudem sehen wir klar die Vorteile, den Landkreis als Aktionär im Boot zu haben, wenn es beispielsweise um Fragen der Erweiterung des Klinikums geht. Da kann ein Mitgesellschafter, der politisch anders verwurzelt ist, als wir das sind, helfen.

Sie haben mehrere Punkte angesprochen. Sie mussten die letzten zwei Jahre oft nach Dachau kommen?

Mehr, als mir lieb war. Obwohl ich sehr gerne nach Dachau komme. Ganz klar eingeräumt, der Start war nicht sehr glücklich. Vielleicht noch mal kurz ein Blick zurück. Vor zwei Jahren haben wir 40 Kliniken von der Rhön Klinikum AG übernommen, und wir haben in Bayern eine neue Region für Helios gegründet. Wir haben einen neuen Regionalgeschäftsführer engagiert, der Helios nicht kannte und der dann nach kurzer Zeit auch zu einem anderen Konzern gewechselt ist. Wir haben neue Regionalleiter installiert, und wir haben mit Dachau einen Standort erworben, der gerade am Anfang mehr Aufmerksamkeit benötigt hätte, und wir haben das schlicht unterschätzt.

Was haben Sie unterschätzt?

Wir hätten uns am Anfang mehr Zeit nehmen sollen. Für die Kommunikation. Wir hätten gleich hier in Dachau einen Schwerpunkt für Helios bilden sollen.

Meinen Sie die Kommunikation mit den Amperkliniken oder mit der Kreispolitik, mit dem Landrat?

Insgesamt. Wobei es schwierig war, die unterschiedlichen Interessenslagen schnell zu erfassen. Und am Ende braucht man Führungskräfte, die sich mit den Zielen des Unternehmens identifizieren können und somit an einem Strang ziehen.

Der Konflikt ist im Kreistag vor eineinhalb Jahren offen ausgetragen worden, als der damalige Regionalleiter Martin Jonas sich dem Gremium vorstellte und der damalige Dachauer Klinikchef Bernward Schröter sich als Sprachrohr des Landkreises im Helios-Konzern offensiv positionierte. Das war eine Kampfansage an Helios.

In der Tat standen hier unterschiedliche Interessen im Raum, und wir schafften es nicht, sie alle auf ein Ziel auszurichten. Jetzt bin ich absolut überzeugt, dass es uns gelungen ist. Insbesondere nach den letzten Sitzungen des Aufsichtsrats bin ich frohen Mutes.

Die Sitzung drehte sich um die künftige Rolle der Amperklinikum AG im Verbund der Kliniken von Helios in Süddeutschland. Ging die Debatte für alle Beteiligten gut aus?

Für alle. Wir hatten die Reaktionen damals völlig unterschätzt. Ich wäre eingeschritten, hätte ich die Entscheidung von Jonas anders bewertet. Es gab gute Gründe, insbesondere mit Blick auf einen zentralen Standort nahe an München, was für die Fachkräftegewinnung durchaus ein Argument ist. Insofern war die Entscheidung für mich seinerzeit schlüssig. Jetzt hat sein Nachfolger, Marcus Sommer, sein Büro einschließlich der wichtigsten Mitarbeiter zurück nach Dachau verlegt. Dachau ist für den Bereich Südbayern sozusagen eine Zentrale. Damit ist allen gedient.

Werden Sie die medizinischen Angebote ausweiten? Zur Diskussion standen eine Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin sowie eine Palliativstation.

Die Idee ist gut. Wir könnten die Versorgung über die ganze Lebenskette von der Geburt bis zur Begleitung von Sterbenden schließen. In der Entscheidung, neue Leistungsbereiche ans Haus zu bringen, sind wir nicht ganz frei, weil wir dazu die staatliche Planungsbehörde benötigen. Kommt von dort die Genehmigung, freuen wir uns und nehmen uns des Themas an. Das Thema Palliativmedizin nimmt Helios sehr ernst. Aktuell entwickelt eine interne Arbeitsgruppe aus Palliativmedizinern des Unternehmens ein internes Schulungsprogramm, bei dem all unsere 25 000 Pflegekräfte eine Schulung im Umgang mit Sterbenden erhalten sollen. Es freut mich, dass es hier vor Ort sehr engagierte Leute und eine enge Kooperation der Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf mit dem ambulanten Palliativteam gibt.

Die negative Bilanz mit einem Defizit wegen der Neubewertung der Immobilien und des Anlagevermögens beeinträchtigt also die Pläne für den Ausbau des Klinikums Dachau nicht?

Auf keinen Fall, weil das operative Geschäft von dieser Neubewertung nicht tangiert ist. Das ist eine rein buchhalterische Angelegenheit, die im Zusammenhang mit der Rhönübernahme in allen hinzugekommenen Gesellschaften durchgeführt wurde. Man kann das Ergebnis auch positiv sehen. Wir müssen investieren, auch um Werte zu erhalten. Das sieht auch der Dachauer Landrat so.

Vor allem unter älteren CSU-Mitgliedern wird gerade am Heiligenschein für Altlandrat Hansjörg Christmann gemalt, weil sein Wort noch unter der Rhön Klinikum AG quasi Gesetz war. Der arme Landrat Löwl als Nachfolger aber muss sich jetzt unter Helios Mehrheiten im Aufsichtsrat beugen. Er hat halt nur eine Stimme.

Ich habe auch nur eine. Aber mittlerweile haben wir - Landrat Löwl und ich - eine gute Zusammenarbeitskultur erarbeitet. Wir treffen uns vor den Aufsichtsratssitzungen und besprechen gemeinsam die Themen.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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