Gerichtsurteil:Teure Vollstreckung

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Eine Gerichtsvollzieherin aus Dachau ist ihren Job los, weil sie mit fingierten Selbstständigkeiten rund 100 000 Euro eingenommen hat. Ihre offensichtliche Überlastung lässt die Richterin am Verwaltungsgericht München nicht als schuldmindernd gelten

Von Viktoria Großmann, München/Dachau

Am Ende wünscht die Richterin der Angeklagten alles Gute. Die Frau, die am Freitagmorgen im Verwaltungsgericht München zu erscheinen hatte, muss sich eine neue Arbeit suchen. Aus ihrem Beamtenverhältnis wird sie entlassen. Die Verfahrenskosten muss sie auch tragen. Die kleine Frau mit dem grauen Haar und dem hörbar bayerischen Dialekt war als Gerichtsvollzieherin im Landkreis Dachau tätig. Ein Knochenjob, der kaum in einer 40-Stunden-Woche zu bewältigen ist und zudem gefährlich werden kann. So haben Gerichtsvollzieher im Landkreis Dachau etwa auch mit Reichsbürgern zu tun, die den Staat und alle seine Behörden und Beamten nicht anerkennen.

Um ihrem Arbeitspensum gerecht zu werden, ging nun allerdings jene Gerichtsvollzieherin einen ungewöhnlichen Weg: Eben weil die Arbeit allein kaum zu schaffen ist, können Gerichtsvollzieher Büro- und Aushilfskräfte beschäftigen. Die Frau stellte zwei Leute an, eine davon war ihre Schwägerin. Beide Aushilfen arbeiteten, bis auf ein halbes Jahr, jedoch gar nicht für sie. Erhielten aber auch kein Geld. Den Lohn behielt die Justizbeamtin selbst - die zusätzliche Arbeit leistete sie selbst. Statt etwa 40 Stunden kam sie so auf mehr als 60 Wochenstunden.

Was verwirrend klingt, sollte wohl eine Art Ausgleich für geleistete Überstunden sein, die der Staat sonst nicht zahlt. Die Rechtsanwältin der Beklagten erklärte dann, es sei letztlich kein Schaden entstanden, weil ihre Mandantin nicht nur die Arbeitsleistung erbracht habe, sondern auch nachher alles zurück gezahlt habe. Bereits seit 2008 hatte die Gerichtsvollzieherin für die zwei Scheinbeschäftigten Geld eingenommen, mehr als 100000 Euro.

Sie könne die Notlage der Angeklagten nachvollziehen, sagte die Richterin. Nur habe sich die Frau eben "immer tiefer in den Schlamassel" begeben. Die Rechtsanwältin verweist auf zwei ärztliche Atteste, die ihrer Mandantin Stress und permanente Überlastung sowie daraus resultierend einen Tinnitus bescheinigen. Daraus resultiere keine verminderte Schuldfähigkeit, sagte die Richterin. Ein hohes Arbeitspensum hätten Beamte immer mal wieder. Von ihrer Vorgesetzten waren der Gerichtsvollzieherin sehr gute dienstliche Leistungen bestätigt worden. Auch dazu sagte die Richterin nur, das könne man von einer Beamtin auch erwarten.

Gerichtsvollzieher machen eine Ausbildung bei der bayerischen Justiz. Zugelassen werden Justizfachwirte, aber auch andere Bewerber ohne einschlägige juristische Vorkenntnisse. Auch Erfahrungen in kaufmännischen Berufen werden anerkannt. Mittlere Reife oder ein qualifizierender Hauptschulabschluss sind Voraussetzung. Gerichtsvollzieher helfen bei der Vollstreckung von Urteilen, sie pfänden bewegliches Vermögen, seien es Autos, Schmuck oder wertvolle Teppiche, versteigern es öffentlich und verteilen den Erlös in eigener Verantwortung. Sie können auch Wohnungen oder Büros räumen. Nicht selten stoßen sie dabei allerdings auf Widerstand.

Die Rechtsanwältin erklärte, Aushilfskräfte hätten ihre Mandantin nicht entlasten können, allein schon wegen der Einarbeitungszeit. "Sie hatte das Gefühl, sie ertrinkt in Arbeit, wie wohl alle Gerichtsvollzieher." Sie sei in "so einem Tunnel" gewesen, dass sie sich nicht klar gemacht habe, dass ihr Vorgehen gegen das Gesetz verstößt. Zudem, bemerkte die Anwältin, habe ihre Mandantin ja keine unrichtigen Angaben gemacht.

Das sah die Richterin jedoch anders. Jeden Monat, dazu vierteljährlich und jährlich habe die Frau in insgesamt 140 Einzelfällen falsche Abrechnungen beim Staat eingereicht. "Da ist das Vertrauen wirklich komplett zerstört." Es sei unabweislich, die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen. "Ich habe selten einen so klaren Fall erlebt wie diesen hier." Das Amtsgericht Dachau hatte die Frau bereits zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Strafrahmen sehe bis zu zehn Jahre vor, erklärte die Richterin. Sie zitierte einen Fall aus dem Jahr 2017, bei dem ein Beamter einer Zulassungsstelle als Staatsdiener entlassen wurde, weil er einmal 200 Euro falsch abgerechnet hatte.

Jegliche Milderung, welche die Rechtsanwältin für ihre ledige und kinderlose Mandantin geltend machen wollte, verfing nicht. Weder, dass sie selbst alles bekannte und der Direktorin beim Amtsgericht mitteilte, noch, dass sie die Beträge zurückzahlte oder eben ärztlich bescheinigt an Arbeitsstress litt. "Es hätte alles nichts genutzt", sagt die Richterin. Auch nicht, wenn die Angeklagte den Betrug über einen kürzeren Zeitraum vollzogen hätte. Ein Teil galt vor dem Amtsgericht bereits als verjährt. Dennoch habe sie ja nicht nur bei den Abrechnungen mit der Staatskasse falsche Angaben gemacht, sondern auch gegenüber Versicherungen und Knappschaft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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