Gerhard Haszprunar:"Wir vergiften zunehmend unsere Welt"

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Gerhard Haszprunar warnt vor dem Massensterben der Arten und dem Absturz des gesamten Ökosystems. Die Ursachen dieser Negativentwicklung sieht er in der Agrarindustrie und der Bodenversiegelung

Interview von Renate Zauscher, Dachau

Gerhard Haszprunar, Professor für Systematische Zoologie an der Ludwigs-Maximilians-Universität München, warnt seit langem vor einem dramatischen Verlust von Biodiversität. Die SZ spricht mit ihm über diese Problematik und das Volksbegehren "Bienen und Artenvielfalt retten!", für das die Eintragungsfrist an diesem Donnerstag beginnt.

SZ: Herr Haszprunar, Sie sprechen von einem Massensterben der Arten und einem dramatischen Rückgang der Individuen innerhalb der Arten. An welchen Zahlen lässt sich das festmachen?

Gerhard Haszprunar: Ja, das Massensterben der Arten ist traurige Realität. Überall, wo es ein entsprechendes Monitoring gibt, sehen wir einen zunehmenden, beschleunigten Verlust der Arten; der Rückgang geht schneller von Jahr zu Jahr. Das betrifft Wirbeltiere genauso wie Insektengruppen, etwa die Schmetterlinge, aber auch die Botanik. Es gibt Schätzungen, dass wir pro Jahr mindestens 20 000 Arten global verlieren. Das sind schon gewaltige Zahlen!

Worin sehen Sie die wichtigsten Ursachen für das massenhafte Verschwinden der Arten und die erschreckende Abnahme der Individuen innerhalb der Arten?

Global gesehen liegen die Ursachen in der Vernichtung vor allem von artenreichen Lebensräumen wie den Urwäldern und im Meer auch der Korallenriffe. In unseren Breiten ist die Agrarindustrie die Ursache Nummer eins, gefolgt von der Bodenversiegelung für neue Siedlungen, Gewerbegebiete, Autobahnen und ähnliches. Das gilt für ganz Mitteleuropa.

Sie sprechen von einem System der Agrarindustrie. Worin besteht dieses?

Es geht mir nicht darum zu sagen, die Bauern sind schuld - es geht um das gesamte Agrarsystem der EU, das es dem einzelnen Bauern schwer macht, aus der konventionellen, sehr schädlichen Produktionsweise auszusteigen. So subventioniert die EU die Landwirtschaft nach der Fläche, nicht nach der Qualität der Produktionsweise. Das ist ein wesentlicher Punkt. Die Primär-förderung kommt im Wesentlichen aus der EU - der Bauer ist auf sie angewiesen. Das Problem sind nicht die Bauern selbst sondern ihre Vertretung, der Bauernverband zum Beispiel: Dort sitzen die Hardliner.

Wie beurteilen Sie die Folgen der heutigen Entwicklung?

Die Folgen bestehen zum einen darin, dass wir zunehmend unsere Welt vergiften. Andererseits auch darin, dass das gesamte Ökosystem anfälliger wird für Störungen. Jede Tierart hat ihren Beruf, ihre Funktion. Fallen einzelne dieser Funktionen aus, dann kippt schließlich das ganze System. Wir wissen nicht, wo dieses Kante, an der das ganze abstürzt, liegt - aber wir gehen zunehmend weiter auf sie zu.

Was muss von der Politik getan werden?

Die Politik muss eine Landwirtschaft ermöglichen und fördern, die umweltverträglich ist, in der der ökologische Anbau nicht die Ausnahme ist sondern der Normalfall. Das heißt: Mindestens 50 Prozent der Landwirte müssen umweltverträglich produzieren. In Österreich sind es bereits zwischen 20 und 30 Prozent der Bauern, die das machen, in Bayern nur zehn Prozent. Die vom Volksbegehren angestrebten 20 Prozent sind ein Nahziel, noch nicht das, was erreicht werden muss. Das geht nicht von heute auf morgen, kann aber nach dem Prinzip von "Zuckerbrot und Peitsche" teils durch Vorschriften und teils durch Förderung erreicht werden. Bei der Industrie ist das ja auch gegangen. Hier wurde erreicht, dass heute weitaus umweltfreundlicher produziert wird als früher.

Was kann, was muss der Einzelne tun?

Der Einzelne kann auf zwei Ebenen aktiv werden. Erstens durch ein bewusstes Konsumverhalten: Eier nur aus Freilandhaltung, Gemüse nur aus biologischem Anbau beispielsweise. Die Sensibilität hierfür wächst - ist aber noch zu gering. Auch wenn Bio-Ware um ein paar Prozent teurer wird: Der Deutsche gibt im Vergleich zur Miete nur einen kleinen Teil seines Geldes für Nahrungsmittel aus. Ein paar Prozent mehr kann sich auch der Durchschnittsverdiener leisten. Was der Einzelne noch machen kann: Jeder Grundbesitzer, der private Gartenbesitzer ebenso wie die einzelne Kommune, kann diversitätsfreundlich wirtschaften: Blumenwiese statt Rasen etwa, Blühhecke statt Thujen, begrünte Flachdächer oder Parkplätze mit wasserdurchlässigem Belag anstatt Beton und Asphalt. Mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen kann man eine Menge machen.

Was kann das Volksbegehren erreichen?

Das Volksbegehren hat bereits erreicht, dass über diese Thema überhaupt gesprochen und informiert wird. Es geht darum, die breite Bevölkerung und die Politik für das Thema zu sensibilisieren. Natürlich kann die bayerische Staatsregierung nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten korrigierend eingreifen. Aber man kann durchaus lokalpolitisch agierend, etwa über Bauordnungen, Verbesserungen erreichen.

Das landkreisweite Aktionsbündnis für das Volksbegehren "Rettet die Bienen!" bündelt noch einmal alle Kräfte. Am 30. Januar, 19.30 Uhr spricht Gerhard Haszprunar zum Thema "Artenvielfalt & Biodiversität daheim und im Betrieb" im Schützensaal der Gaststätte Drei Rosen, Dachau, Münchner Straße.

© SZ vom 30.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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