Gemäldegalerie:Eiskaltes Glanzlicht

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Die Ausstellung über die finnische Künstlerkolonie Önningeby hat in den ersten drei Monaten bereits mehr als 4000 Besucher angelockt. Damit ist sie schon jetzt eine der erfolgreichsten Schauen in der Geschichte der Dachauer Gemäldegalerie

Von Christiane Bracht, Dachau

"Önningeby" ist ein voller Erfolg. Die Ausstellung mit dem etwas exotischen Namen, die seit November in der Dachauer Gemäldegalerie gezeigt wird, hat schon jetzt mehr als 4000 Besucher angelockt. Dabei sind die Bilder, die um die Jahrhundertwende auf den finnischen Åland-Inseln gemalt wurden, noch etwa einen Monat lang zu sehen. So viel Interesse - "das haben wir nicht erwartet", sagt die Leiterin der Gemäldegalerie Elisabeth Boser begeistert. Von den Künstlerkolonie-Ausstellungen, die sie in den vergangenen Jahren präsentiert hat, ist diese schon jetzt eine der beliebtesten. "Nur Worpswede hatte noch mehr Besucher", sagt Boser.

Mehr als 4000 Besucher haben die Ausstellung in den ersten drei Monaten bereits besucht. (Foto: Toni Heigl)

Doch was ist so besonders an der nördlichsten Künstlerkolonie, dass so viele Kunstliebhaber nach Dachau kommen - sogar teilweise von weit her, wo doch die wenigsten Önningeby kennen oder vor dieser Ausstellung schon mal davon gehört haben? "Vielleicht weil wir in der Region relativ allein sind mit diesem Thema", meint Jutta Mannes vom Zweckverband der Dachauer Museen. Boser ist sich dagegen sicher: "Wir haben uns einen guten Namen gemacht mit den Künstlerkolonien." Vor Önningeby gab es in Dachau bereits vier anderer Expositionen über die Künstlerkolonien an der Ostsee. Im November will Boser eine weitere vorstellen: Ahrenshoop.

"Wer je in Finnland oder im hohen Norden war, kann sich bestens in die Bilder hineindenken", steht im Gästebuch. (Foto: oh)

Önningeby lockt offenbar auch viele Skandinavien-Fans nach Dachau. So steht etwa im Gästebuch: "Schön, der Ausflug in den Norden". Oder: "Wer je in Finnland oder im hohen Norden war, kann sich bestens in die Bilder hineindenken." Auffallend ist auch, dass einige Finnen hineingeschrieben haben. Etwa 600 leben in München und Umgebung, weiß Mannes. Viele von ihnen wollten wohl ein Stück Heimat sehen. Johan Axel Gustaf Acke, Victor Westerholm, Anna Wengberg oder Ida Gisiko haben die eindrucksvolle Landschaft der Inseln vor etwa 100 Jahren meisterhaft auf die Leinwand gebannt. Hierzulande kennt die finnischen Wegbereiter der Moderne kaum jemand, aber in Skandinavien sind sie berühmt. Und so war auch die finnische Schule schon in der Gemäldegalerie, um die Bilder zu betrachten.

Von dem Besucherandrang auf "Önningeby" profitiert übrigens auch die Neue Galerie, die begleitend zeitgenössische Werke von Finnen zeigt. Knapp 820 Kunstinteressierte hat Mannes, die Kuratorin des kleineren Hauses, dort schon begrüßen können. "Alle sind begeistert." In der Neuen Galerie werden neben Gemälden auch Fotografien gezeigt, Bilder aus geschmolzenen farbigen Glassplittern oder eine Videoinstallation. Die Moderne hat eben andere Möglichkeiten der Darstellung. Lange kann man sich die Werke dort allerdings nicht mehr anschauen, am 26. Februar werden sie wieder abgehängt. Die Gemäldegalerie zeigt die Impressionen der finnischen Åland-Inseln indes noch bis zum 11. März.

Wer die Ausstellungen noch nicht gesehen hat und sich vielleicht denkt, er habe bereits genügend idyllische Landschaften von Impressionisten gesehen, der verkennt nicht nur die Schönheit der nordischen Natur, sondern auch dass die Werke ganz anders wirken als ihre großen Vorbilder, etwa aus Südfrankreich. Die Motive sind ähnlich: alltägliche Situationen, meist einfache Bauern bei der Arbeit oder Landschaften am Wasser. Doch die Stimmung ist völlig anders.

Glücklich über den großen Erfolg beim kunstinteressierten Publikum: die Leiterin der Gemäldegalerie Elisabeth Boser. (Foto: Toni Heigl)

Im Süden faszinierte die Maler das intensive Licht und die Wärme, die sich in ihren Werken widerspiegelt. Im Norden spürt man förmlich die Kälte. Das Licht ist transparent und leicht, die Luft ist klar. Und der Schnee auf vielen Bildern ist nicht einfach nur weiß, er schimmert sanft, mal etwas rosé, mal eher hellblau. Besonders eindrucksvoll ist die "Winterlandschaft mit Heuhaufen" von Edvard Westman: Eigentlich ist nur Schnee zu sehen und drei Heuhaufen mit weißen Hauben. Doch langweilig ist das Bild keinesfalls, es zieht den Betrachter förmlich in seinen Bann. Einerseits geht von der Landschaft eine so faszinierende Ruhe aus, dass man schon gar nicht mehr wegschauen mag, andererseits strahlt sie eine fast schon poetische Lebendigkeit aus. Die Natur wird greifbar für den Betrachter. Man verliert sich in der Idylle.

Und wer sich noch nie in den hohen Norden gewagt hat, lernt Bild für Bild die weite Landschaft und die Faszination, die von ihr ausgeht, besser kennen. Und glaubt man Boser, so hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auf den Åland-Inseln nur wenig verändert. Das bestätigen auch die Fotos am Eingang der Ausstellung. Anders als bei den Bildern der Dachauer Künstlerkolonie, die die Vergangenheit spiegeln und an ein Moos erinnern, das es heute so nicht mehr gibt, sind die Gemälde der finnischen Impressionisten auf zauberhafte Weise noch immer aktuell. Auch wenn inzwischen jedes Jahr viele Touristen in die Hauptstadt Mariehamn hinkommen und auch die Moderne Einzug gehalten hat, so leben dort weniger als 30 000 Einwohner. Nur sie dürfen auf den 6700 Inseln Grund erwerben, Fremde nicht.

Besonders stolz ist Boser übrigens auf den "Jungen mit dem Pulverhorn". Er gehört zum Hauptwerk von Johan Axel Gustaf Acke. Der Leiter des Museums von Önningeby, Kjell Ekström, wollte das Gemälde ursprünglich nicht hergeben. Doch als er sich nach einem ähnlich wichtigen Werk umsah, um es Boser quasi als Alternative anbieten zu können, gelang ihm der Kauf eines anderen Acke-Bildes, auf das auch die schwedische Nationalgalerie ein Auge geworfen hatte. Vor Begeisterung darüber, dass Boser ihn im richtigen Moment auf die Fährte gesetzt hatte, verlieh er den Jungen mit dem Pulverhorn doch, und so können auch die Dachauer sehen, wie der Junge in verschneiter Winterlandschaft den Stutzen seines Gewehrs mit Pulver füllt.

Die meisten Besucher der Gemäldegalerie sind jedoch mehr von dem "Jungen mit der Milchkanne" von Carl Erik Fredrik Törner angetan. Das Kind sitzt im Gras, die Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben, die Milchkanne neben sich. Er schaut fasziniert und gebannt zugleich nach oben, wohin das weiß man nicht. Aber es wirkt, als ob der Junge alles um sich herum vergessen hat, auch die Milchkanne, und genau auf dieselbe Weise schaut man auf das helle, zarte Gesicht des Jungen und verliert sich in ihm. Noch beim Hinausgehen aus der Galerie schwärmen viele von dem Bild, erzählt die Dame an der Kasse. Es ist wohl eindeutig der Publikumsliebling dieser Ausstellung.

Auch wenn die genannten Bilder alle von Männern gemalt wurden, in der Künstlerkolonie, die Victor Westerholm um 1880 gegründet hat, waren viele Frauen. Anders als an den meisten anderen Orten jener Zeit war man hier sehr aufgeschlossen für ihre Kunst. Sie durften Zeichenschulen besuchen und traten selbstbewusst auf. Trotzdem blieb ihre Bekanntheit hinter der ihrer männlichen Kollegen zurück, viele gerieten wieder in Vergessenheit - zu Unrecht wie man in der Ausstellung sieht. Alle Bilder sind übrigens aus dem Museum in Önningeby. "Das verleiht der Ausstellung eine irre Authentizität", schwärmt Boser.

© SZ vom 08.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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