Erinnerung an Korbinian Aigner:Der Apfelzüchter im KZ Dachau

Lesezeit: 3 min

Im Dachauer Landratsamt erinnert eine Tafel an den "Apfelpfarrer" Korbinian Aigner. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Korbinian Aigner wurde 1941 ins Konzentrationslager deportiert. Dort zog er heimlich vier Sorten der Früchte. Andreas Schneider erntet heute auf seinem Biohof den "Korbiniansapfel" - bei der Weinverkostung erzählt er den Gästen die Geschichte des widerständigen Pfarrers

Von epd bas/lbm chu, Dachau/Frankfurt

Andreas Schneider stapft durch die Reihen mit Apfelbäumen in seinem Sortengarten. Der Obstbauer aus Frankfurt am Main muss vorbei an Roter Sternrenette und dem Trierer Weinapfel. Auf der Erde im hohen Gras liegen heruntergefallene Früchte, in denen sich Wespen tummeln. Schneider will zu den Bäumen, die hinten auf dem Acker stehen. Es sind 30 Apfelbäume, an denen der Korbiniansapfel wächst - eine historische Sorte mit KZ-Vergangenheit. Der Korbiniansapfel geht auf den bayerischen "Apfelpfarrer" Korbinian Aigner (1885-1966) zurück, der als Gefangener im Konzentrationslager Dachau heimlich Äpfel züchtete.

Aigner gilt in der Fachwelt als einer der versiertesten Pomologen der neueren Zeit. In einem Zeitraum von 50 Jahren schuf Aigner rund 800 farbige Zeichnungen im Postkartenformat - durchnummerierte Aquarelle, die verschiedene Äpfel- und Birnensorten darstellen und heute in Kunstausstellungen gezeigt werden, wie 2012 auf der Documenta in Kassel. "Er war der Einzige, der die damals bekannten alten Apfelsorten dokumentiert hat - zu einem Zeitpunkt, als die Farbfotografie noch nicht verbreitet war", erklärt Obstbauer Andreas Schneider. Ein Buch mit Abbildungen alter Apfelsorten, darunter der Korbiniansapfel, inspirierte Schneider, auf seinem Bio-Obsthof mit dem Anbau historischer Apfelsorten zu beginnen. "Auch zu Ehren von Korbinian Aigner", erzählt er. Die Nummer 600 zeigt das Apfelpaar, das Aigner "KZ-3" nannte, weil es eine der vier Sorten war, die er im KZ Dachau züchtete. Eine Nonne schmuggelte den Sämling aus dem Lager. Später gelangte die Züchtung zur Technischen Universität München, die den Nachlass von Aigner verwaltet. Die agrarwissenschaftliche Fakultät in Weihenstephan benannte die Sorte zu Aigners 100. Geburtstag im Jahr 1985 in "Korbiniansapfel" um. "Allerdings wurde auch das KZ aus dem Namen getilgt und damit auch ein Stück Geschichte", sagt Schneider.

Die Edelreiser seiner KZ-3-Apfelbäume stammen aus Weihenstephan. 1997 pflanzte er sie auf seinem Obsthof. Seither keltert er ungefähr alle drei Jahre einen sortenreinen Apfelwein aus den Früchten, wenn es einen guten Jahrgang gibt. "Fein säuerlich, würzig und aromatisch im Geschmack", so beschreibt Schneider die Vorzüge der Apfelsorte. Außerdem lassen sich die Früchte gut lagern und eigenen sich hervorragend für Apfelwein. 100 bis 150 Liter kann Schneider in einem guten Jahr keltern. Wer war nun Korbinian Aigner? Der Dorfpfarrer aus dem Landkreis Freising war ein Gegner des NS-Regimes. In den 1930er Jahren bezog er offen Stellung gegen die Nationalsozialisten. Er weigerte sich, Kinder auf den Namen "Adolf" zu taufen und erkannte die Hakenkreuzfahne nicht als deutsche Nationalflagge an. Nach dem Attentatsversuch Georg Elsers auf Adolf Hitler am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller soll er im Religionsunterricht gesagt haben, ein gelungenes Attentat hätte möglicherweise Tausende Leben retten können. Er wurde denunziert und 1940 zu sieben Monaten Gefängnis und anschließender KZ-Haft verurteilt, zunächst in Sachsenhausen, 1941 dann in Dachau. Auf der "Plantage" musste er Zwangsarbeit leisten, dort wurden unter anderem Kräuter zu Versuchszwecken angebaut wurden. Auf Geheiß des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, erprobte man auch Formen biologisch-dynamischer Landwirtschaft. Der Münchner Historiker Dirk Riedel geht davon aus, dass auf der Plantage die vier Sorten KZ 1 bis 4 entstanden. Woher Aigner die Apfelsamen hatte und wie er sie unentdeckt pflanzen konnte, sei in historischen Quellen nicht einwandfrei überliefert, erläutert Riedel. Nur die Sorte "KZ-3" wird heute noch angebaut. Kurz vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945 wurde Aigner zusammen mit Tausenden weiteren Häftlingen auf einen Todesmarsch nach Südtirol geschickt. Bei Starnberg gelang ihm die Flucht, er versteckte sich in einem Kloster und überlebte.

Nach dem Krieg kehrte er in seine Pfarrgemeinde Hohenbercha zurück. Die Obstkunde blieb sein Hobby, nach Kriegsende baute er den Bayerischen Landesverband für Obst- und Gartenbau wieder mit auf. Zeitzeugen berichteten, dass Aigner seinen alten Häftlingsmantel anzog, wenn er bei Regen in seinem Obstgarten arbeitete. Der wurde ihm Erzählungen zufolge nach seinem Tod 1966 auch mit in sein Grab gelegt.

Auf dem Acker von Andreas Schneider strahlen die Äpfel jetzt im Spätsommer im Sonnenlicht. Der Korbiniansapfel ist eine späte Sorte, er wird erst im Oktober geerntet. Bei Raritätenverkostungen lässt Schneider die Gäste mitunter vom sortenreinen Apfelwein aus dem Korbiniansapfel probieren - dazu erzählt er die Geschichte, wie der "Apfelpfarrer" und seine Paradiesfrucht das Konzentrationslager überlebten.

© SZ vom 18.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: