Dachau:Lebensfreude durch Mundmalerei

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Wie das BRK Dachau ein Projekt mit schwerbehinderten Kindern aus Ungarn unterstützt. Ein Ferienprojekt am Balaton.

Sophie Burfeind

- Mit einem Pinsel im Mund beugt sich eine junge Frau mit dunklen Haaren über ein großes Blatt Papier. Links von ihr, auf Augenhöhe, befindet sich eine Palette mit vielen verschiedenen Farben. Rechts von ihr steht ein Wassergefäß, um den Pinsel auszuwaschen. Sorgsam führt sie den Pinsel mit der Bewegung ihres Kopfes über das Papier und lässt Strich für Strich eine bunte Seelandschaft mit zwei weißen Schwänen entstehen. Die 27-jährige Christina Abraham aus Ungarn ist seit ihrer Geburt körperlich schwerbehindert, nur ihren Mund kann sie kontrolliert bewegen. Was sie in dem kurzen Videoclip malt, soll an ihre Zeit in dem "Ferienlager Balaton" erinnern.

"Wenn sie malt, ist sie in ihrer glücklichen Welt", sagt Helmut Thaler über die Ungarin Christina Abraham. (Foto: N/A)

Das fertig gemalte Bild thront auf einem Stuhl im Wohnzimmer von Helmut Thaler in Dachau. Ende Juli hat Christina es ihm in einem großen Umschlag geschickt. Was der Dachauer mit einer Mundmalerin in Ungarn zu tun hat? Vor 16 Jahren hat das Bayerische Rote Kreuz Dachau (BRK) in Kooperation mit dem ungarischen Roten Kreuz in Bács-Kiskun Megye ein gemeinsames Projekt ins Leben gerufen: das Ferienlager Balaton. Seitdem setzt sich der 62-jährige Thaler dafür ein. "Hintergrund des Projekts war, dass wir bedürftigen, schwerbehinderten Kindern einmal im Jahr einen einwöchigen Urlaub am Balaton ermöglichen wollten", sagt Thaler. In Ungarn erhalten Menschen mit Behinderung kaum finanzielle Unterstützung vom Staat; unterstützende Einrichtungen können sich nur Wohlhabende leisten. Die Betreuung bedürftiger, schwerbehinderter Kinder findet also nur in den Familien statt. "Mit dem Urlaub für die Kinder wollen wir gleichzeitig die Familien für eine Woche entlasten", sagt er.

Kinder im Alter von vier bis 19 Jahren, mit geistigen und körperlichen Behinderungen aller Schweregrade, können an dem Ferienlager teilnehmen, das immer in den Sommermonaten stattfindet. "Zu den besten Zeiten hatten wir 130 Kinder", erzählt Thaler stolz. "Für die meisten Kinder ist diese eine Woche der absolute Höhepunkt im Jahr."

Nicht nur die Mitarbeiter des ungarischen Roten Kreuzes kümmerten sich rührend um die Kinder - rund um die Uhr und unentgeltlich. Auch die Kinder freuten sich jedes Jahr wahnsinnig über das Wiedersehen. "Ich habe auch erlebt, wie sich dort zwei schwer körperlich behinderte Menschen kennen und lieben gelernt haben", erzählt Thaler. Mittlerweile seien sie verheiratet und versuchten, das doch sehr schwierige Leben gemeinsam zu meistern.

Ab und zu habe sich der Dachauer auch um Einzelfälle gekümmert - einer davon war Christina. "Sie ist uns im Lager aufgefallen, weil sie mit ihrem Mund so schöne Bilder malen konnte." Dabei hatte sie gar keine richtige Malerausrüstung, nur Wasserfarben und einige zerbissene Pinsel. 2001 beschloss Thaler, 30 Bilder von ihr mit nach Dachau zu nehmen, wo ein befreundeter Glasermeister sie ihm kostenlos einrahmte. "Hinter Glas wirkten sie gleich ganz anders", sagt er. Die gerahmten Bilder verkaufte er in seinem Freundes- und Verwandtenkreis. Den Erlös übergab er Christina vor Weihnachten. "Damit konnte sie sich mit professionellem Malereizubehör eindecken und sich an einer privaten Malschule unterrichten lassen."

Doch so schön das Ferienlager Balaton für die bedürftigen Kinder mit Behinderung auch ist - und Menschen wie Christina unterstützt - jedes Jahr muss gebangt werden, ob es wieder stattfinden kann. In beiden Verbänden des Roten Kreuzes gehen seit Jahren die Einnahmen zurück, für das Projekt fehlt das Geld. Ohne die Unterstützung der Dachauer Ortsgruppe kann das Ferienlager allerdings nicht finanziert werden. Nur sehr mühsam könne die benötigte Summe gerade so zusammengetragen werden, um das Projekt am Leben zu halten. Außerdem können nur noch 90 Kinder am Ferienlager teilnehmen. Christina ist mittlerweile zu alt, um mit an den Balaton zu fahren. Noch immer wohnt sie bei ihrer Familie. Ihr Zimmer hat sich in ein Malstudio verwandelt. "Das Malen ist ihr einziger Lebensinhalt. Wenn sie malt, ist sie in ihrer glücklichen Welt", sagt Thaler. Mit ihrem bunten Seebild möchte Christina nicht nur ihren Dank für die schöne Zeit am Balaton ausdrücken. Sie will auch darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, dass das Projekt am Leben erhalten bleibt.

© SZ vom 07.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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