Lesungen:Dachau liest wirklich

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Das Literaturfestival von Kulturamt und Stadtbücherei findet zusehends Zuspruch. Im zweiten Anlauf ist den Organisatoren eine gute Mischung geglückt. Sie reichte von Daniel Kehlmann über Amelie Fried bis zu Ilija Trojanow

Von Angelika Aichner

Dachau - Amelie Fried ist gemeinsam mit ihrer Protagonistin Cora Schiller älter geworden. Über sie hatte Fried schon vor ein paar Jahren in "Traumfrau mit Nebenwirkungen" geschrieben. Das neue Buch heißt: "Traumfrau mit Lackschäden." Beide Male geht es um die Bilanz des Lebens: einmal im Alter von 30 Jahren, jetzt mit 50 Jahren. Das Publikum besteht vorwiegend aus Frauen.

Auf dem Dachauer Literaturfestival, das zum zweiten Mal stattfand, ist diese Lesung die Ausnahme. Bei allen anderen waren überraschend viele Männer zu sehen. Das war ungewöhnlich für Veranstaltungen dieser Art im Landkreis. Insgesamt war die Reihe "Dachau liest" mit mehr Zuhörern als im vergangenen Jahr und mit einem Programm der Vielfalt ein Erfolg: Von der Familiengeschichte (Daniel Kehlmann) über einen Jugendroman von Wolfgang Herrndorf zu einem Krimi von Elisabeth Herrmann und einer Auseinandersetzung mit dem Postkommunismus (Ilija Trojanow) bis eben zu Amelie Fried. Der Auftakt mit Kehlmann und der szenischen Lesung über Herrndorf war fulminant. 150 Zuhörer im Thoma-Haus und eine volle Aula im Josef-Effner-Gymnasium. Damit konnten die anderen drei Lesungen nicht mithalten. Aber an die 50 Zuhörer pro Veranstaltung versammelten sie allemal. Viel mehr als beim ersten städtischen Literaturfestival vor einem Jahr.

Sie sieht gar nicht mehr so aus wie die Amelie Fried, die im Jugendfernsehen des Bayerischen Rundfunks "Live aus Alabama" moderierte. Aber daraus zieht sie den Stoff für ihre Geschichten. Dementsprechend wiehern die Zuhörerinnen über Beschreibungen von grottenschlechtem Sex, "Tränensäcken und hängenden Lidern". Fried findet, dass ihre Geschichte der Wirklichkeit nahekomme; auf manche Passagen mag das zutreffen, aber großteils wirkt der Text wie eine Satire auf das Genre des Frauenromans. Allerdings, dem Publikum gefällt's, es amüsiert sich. Alles andere ist im Grunde nebensächlich.

Auch Amelie Fried beteiligte sich am zweiten Dachauer Literaturfestival. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Etwas ernsthafter geht es bei Elisabeth Herrmann zu. Sie liest aus ihrem neuen Kriminalroman "Der Schneegänger". Darin muss sich die junge Streifenpolizistin Sanela Bearasie um ihren zweiten Fall kümmern: Die Leiche eines Jungen taucht auf, der vier Jahre zuvor verschwunden ist. Die Geschichte ist nicht brutal oder spektakulär. Herrmann mag keine "Handkantenschläge". Der erste Teil der Reihe rund um Bearasie, "Das Dorf der Mörder", wurde kürzlich für das ZDF verfilmt.

Die letzte Lesung bestritt Ilija Trojanow mit seinem neuen Werk "Macht und Widerstand". Darin schildert er auch anhand originaler Stasidokumente das Ende des kommunistischen Systems in Bulgarien aus der Sicht von Konstantin und Metodi - einem Widerstandskämpfer und einem Offiziers des Systems. Gerade die Passagen über Metodi faszinierten die Zuhörer, weil sie nicht bloß wichtig sind, um das System der Unterdrückung zu begreifen, sondern weil sie eben auch wahnsinnig witzig sind. Trojanow verwendet hier das Stilmittel einer gezielt vulgären Sprache. Er sagte im Gespräch mit dem Literaturkritiker Thomas Kraft über die Idee zu dem Buch und dessen Sprache: "Man kann ein Stasidokument nicht erfinden." Denn darin werde eine vollkommen "eigene Sprache" verwendet. Im Grunde seien, sagt er, etwas grüblerisch, etwas spöttisch, "die ganzen Archive der Staatssicherheit ein großer Roman".

Ilija Trojanow. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Diskussion drehte sich auch um die Frage, was man mit Literatur erreichen kann, gerade wenn sie sich politischer Probleme annimmt, wie "Macht und Widerstand". Trojanow sagte, dass sein Buch gewiss nicht die Welt verändern werde, dass die Welt aber verändert werden könne, wenn es Hunderte solcher Bücher gäbe und sie auch gelesen würden.

Einerseits ist Krimiautorin Elisabeth Herrmann stolz, dass ihr Roman "Das Dorf der Mörder" verfilmt wurde. Andererseits gefällt ihr das Ergebnis nicht, weil ein Drehbuchautor hinzugezogen wurde, der "meine Figuren nicht verstand". Das Ergebnis ist am Montag, 26. Oktober, im ZDF zu sehen.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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