Blick in den Spiegel:Das Schicksal der Flüchtlinge

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Johannes Sillem, Niklas Pötsch und Max Kuttkat zeigen mit "Vielleicht irgendwann" in der Karlsfelder FOS ein Theaterstück, das zum Nachdenken anregt

Von Kwoh-Hung Luong

KarlsfeldUnterschiedlicher können Familien nicht sein: Links essen Mutter, Vater und zwei Kinder an einem Tisch. Sie schweigen. Rechts, getrennt durch eine weiße Wand, sitzt eine afghanische Familie verängstigt auf ihrem Perserteppich mitten im Wohnzimmer. Plötzlich stürmen zwei in schwarz verhüllte Männer herein und bedrohen die Sitzenden. So verschieden können die Lebenswirklichkeiten sein. Johannes Sillem, Niklas Pötsch und Max Kuttkat haben sie in ihrem Theaterstück mit dem Titel "Vielleicht irgendwann" in direkten Kontrast gesetzt. Es wirkt schockierend. Und macht neugierig.

Eineinhalb Jahre haben die drei an dem Stück gearbeitet. Inspiriert hat sie das beschwerliche Schicksal der Flüchtlinge. Sie wollten es in das Bewusstsein der Menschen rufen. Im März 2018 war die Uraufführung in der Pasinger Fabrik. Der Erfolg hat sie animiert, das Stück nun auch in der Turnhalle der Karlsfelder Fachoberschule (FOS) zu zeigen. Mit einem neuen Bühnenkonzept hat es nun eine zweite Premiere erlebt. Für Johannes Sillem ist dies ein besonderer Moment, denn er selbst geht dort zur Schule.

Familienleben: Ohne miteinander zu reden, sitzen die Schauspieler am Tisch bei einem gemeinsamen Essen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Theater zieht Sillems Mitschüler sofort in den Bann, denn es wirkt besonders authentisch. Ein Teil der Schauspieler sind nämlich afghanische Flüchtlinge. Ali Housseini, der Sohn der anfangs erwähnten Familie, und seine Schwester wenden sich zusammen an das Publikum und erzählen von ihrer langen und beschwerlichen Reise nach Deutschland.

Die Familie flieht zuerst ins benachbarte Iran, dort wird der Vater als iranischer Staatsfeind deklariert, da er angeblich zu westlich orientiert sei. Ali und seine Schwester machen sich alleine auf den weiten Weg nach Europa, "Hauptsache immer weiter nach Westen".

Szenenwechsel: Die Flüchtlinge sind im Klassenzimmer. Linus Engelmann, der Sohn der anfangs erwähnten deutschen Familie, kommt ins Klassenzimmer - zu spät. Die Lehrerin stellt ihn zur Rede. Auch er hat Probleme. Die Eltern sind geschieden, der Vater nun arbeitslos, doch noch hält er es geheim. Es kommt zu Missverständnissen.

Im Schulgang beleidigt derweil Linus Schwester die Flüchtlinge, woraufhin sich Linus in die Streitigkeiten einmischt und Ali und seine Schwester zu sich nach Hause einlädt. Der Vater regt sich darüber auf. Er gibt den Flüchtlingen die Schuld an seiner Kündigung und wirft die Jugendlichen raus. Linus ist empört und trifft sich später mit Alis Schwester im Wohnheim. Ali ist nicht dabei, er muss zu einem "dringenden Termin". Sein Schleuser erinnert ihn an die erdrückend hohen Schulden und zwingt ihn Drogen zu verkaufen.

Ali (rechts) hockt seinem Schleuser gegenüber, der mit einem Helfer die Schulden des Flüchtlings eintreibt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Linus Schwester erwischt Ali bei seinen dunklen Geschäften und ersteht von ihm ein Tütchen Drogen. Das präsentiert sie Linus. Der ist schockiert und stellt Ali sofort zur Rede. Ali offenbart Linus seine verzweifelte Situation. Linus bekommt Mitleid mit seinem neuen Freund. Er will helfen und entwendet Geld aus dem Tresor seines Vaters. Seine Schwester bekommt Wind von der Sache und schwärzt ihn beim Vater an. Der ist erzürnt. Er rennt ins Flüchtlingsheim und schlägt Ali nieder. Ali solle in sein "Tierheim zurückkehren", schimpft der Vater. Nach einem Krankenhausaufenthalt wird Ali und seiner Schwester im Gerichtssaal die Abschiebung nach Afghanistan verkündet. Die düster-dunkelblaue Beleuchtung unterstreicht die Dramatik der Ereignisse. Anschaulich beschreibt das Theaterstück das Schicksal der Flüchtlinge, die eine beschwerliche Reise nach Deutschland meistern müssen. Dort erwartet sie nicht der siebte Himmel, sondern die Probleme gehen weiter.

Immerhin im Stück kommt der Vater am Ende wieder zu Verstand und erkennt, dass die Flüchtlinge nicht an seiner persönlichen Misere schuld sind. Doch das ist nicht immer so. Zum Schluss ertönt im Hintergrund Ludovico Einaudis "Una Mattina". Übersetzt heißt das "Eines Morgens". Das Ende war nach allen Höhen und Tiefen zwar absehbar, aber das Stück hält den Zuschauer dennoch gefangen. Es ist, als ob ihm ein metaphorischer Spiegel vor die Nase gehalten wird. Es ist wie eine Warnung, allzu leichtfertig Flüchtlinge vorzuverurteilen, aber auch die Aufforderung sich zu hinterfragen.

© SZ vom 05.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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