Bedeutung der Befreiung:Auftrag zur Ökumene

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Erzbischof Ludwig Schick pflegt die deutschen Beziehungen zu den polnischen Bischöfen. (Foto: Holger Hollemann/dpa)

Der Bamberger Erzbischof Schick spricht über die deutsch-polnische Kirchenfreundschaft

An diesem Mittwoch wollten katholische Bischöfe aus Deutschland und Polen gemeinsam an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 75 Jahren erinnern. Wegen der Corona-Pandemie ist dieser Termin nun abgesagt. Bambergs Erzbischof Ludwig Schick ist deutscher Vorsitzender einer Kontaktgruppe zwischen den Bischofskonferenzen beider Länder. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über die Bedeutung der Befreiung, die Verantwortung der Kirche im Zweiten Weltkrieg und unterschiedliche Vorstellungen zwischen der Kirche in Polen und in Deutschland.

KNA: Herr Erzbischof, der geplante Gedenkgottesdienst mit dem Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, in Dachau fällt aus. Wie schwer fiel dieser Schritt?

Schick: Mir tut die Absage unendlich leid, den polnischen Bischöfen auch. Die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau und aller Konzentrationslager vor 75 Jahren kann nicht gefeiert werden. Das wäre sehr wichtig gewesen! Denn die Befreiung war für die Insassen ein Akt großer Humanität, es war ihre Lebensrettung und das Ende von Qual und Angst für die Überlebenden. Zugleich war die Befreiung das Ende des Naziterrors, des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs. Bei der Gedenkfeier in Dachau hätten wir auch an all jene gedacht, die in den Lagern umgekommen sind. Auch wenn der polnisch-deutsche Gedenkgottesdienst am kommenden Mittwoch nicht stattfinden kann, werden wir den Tag als einen Tag der Erinnerung und der Dankbarkeit, aber auch der Trauer und des Schmerzes begehen.

Gab es Kritik der polnischen Mitbrüder an diesem Schritt?

Nein! In Polen gelten wegen der Corona-Pandemie ähnliche Maßnahmen. Dort können zurzeit auch keine öffentlichen Gottesdienste gefeiert werden. Im Gespräch mit den polnischen Mitbrüdern haben wir gemeinsam festgestellt: Eine Gedenkfeier ist derzeit leider nicht möglich!

Auch ein deutsch-polnisches Klerikertreffen und ein Treffen der Deutsch-Polnischen Kontaktgruppe waren geplant. Welche besondere Bedeutung für die Kirche hat diese Erinnerung an die Befreiung?

In Dachau gab es den eigenen Pfarrerblock, in dem katholische, evangelische, orthodoxe Geistliche aus halb Europa eingesperrt waren, die wegen irgendwelcher fadenscheiniger Gründe verurteilt worden waren. Deshalb hat die Befreiung für alle Kirchen in Europa große Bedeutung. Die Erinnerung daran kann den Zusammenhalt aller Konfessionen in Europa stärken.

Werden die Gedenkfeiern nachgeholt?

Dafür gibt es derzeit keine Pläne. Bereits vor zwei Jahren hat eine Gedenkfeier mit polnischen und deutschen Bischöfen und Priestern in Dachau stattgefunden. Wir werden nach der Corona-Zeit darüber nachdenken, wann und wie wir einen Gedenkgottesdienst feiern. In Dachau waren über 2000 polnische, deutsche und tschechische Priester eingesperrt. Die Erinnerung an das gemeinsame Leiden kann den Zusammenhalt der katholischen Kirchen für den gemeinsamen Auftrag heute, ein Europa der Werte auf der Basis des Evangeliums aufzubauen, stärken. Wir dürfen uns gerade jetzt nicht auseinanderdividieren lassen, sondern müssen miteinander Kirche in Europa sein. Vergessen sollten wir auch nicht den ökumenischen Aspekt. Mit den katholischen Priestern waren evangelische Pastoren und orthodoxe Popen im Konzentrationslager interniert, es gab ökumenische Beziehungen, die uns ein Auftrag zur Ökumene sein sollten.

Nun ist auch das Ende des Zweiten Weltkriegs 75 Jahre her. Braucht es da überhaupt noch eine eigene deutsch-polnische Kontaktgruppe der Bischöfe?

Kontakte, Gespräche, Gemeinschaft braucht es immer. Kirche definiert sich als Gemeinschaft, die über alle Landes- und Kulturgrenzen hinaus besteht. Gute deutsch-polnische Beziehungen im Herzen Europas sind sehr wichtig. Es gab ungeheure Verletzungen und Verbrechen in der Geschichte zwischen den beiden Ländern, in die auch die Kirche verwickelt war. Beim Überfall auf Polen 1939 etwa haben die deutschen Bischöfe keinen offenen Widerstand geleistet. Die Wunden der Nazizeit sind noch nicht verheilt. Man muss immer wieder die guten Beziehungen vertiefen. Versöhnung hat kein Verfallsdatum.

Im Verhältnis zwischen polnischen und deutschen Bischöfen nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Höhen und Tiefen, die mit politischen, aber auch mit kirchenpolitischen Frontstellungen zu tun hatten. Wie würden Sie das heutige Verhältnis charakterisieren?

Das Verhältnis ist grundsätzlich gut, aber es gibt unterschiedliche Vorstellungen, die oft kulturelle und geschichtliche Wurzeln haben. Wir haben in Deutschland seit 1945 Demokratie und große Freiheiten. Es gibt gute ökumenische Beziehungen zu den evangelischen Mitchristen. Das alles gab es in Polen in der kommunistischen Zeit nach dem Krieg bis 1989/90 nicht. Das traditionelle volkskirchliche katholische Leben war sehr wichtig, Wallfahrten, Muttergottesverehrung, heilige Messe und Beichte etwa. Auch die Stellung der Bischöfe und Priester sowie die Beziehungen des Klerus zu den Laien waren ganz anders als bei uns. Der Widerstand gegen den Kommunismus vereinte alle unter der Führung der Bischöfe. Daraus resultierten unterschiedliche Vorstellungen von Kirche und kirchlichem Leben. Darüber sprechen wir und suchen Einheit für unser gemeinsames Wirken in Europa.

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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