Ausstellung in der Galerie-Kunstwerkstatt:Harmonie und Vernunft

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Der Bildhauer und Maler Ernst Lüttringhaus zeigt in seinem früheren Wohnort Karlsfeld gefaltete Papierkunst und surreale Gemälde. In seinen Werken verhandelt er die Frage nach dem Verhältnis von Natur, Mensch und Technik neu

Von Anna-Elisa Jakob

Jedes Werk besteht aus nur einem Stück Papier, das weder geschnitten noch geklebt werden darf: Das ist die große Kunst bei der Tesselation. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Manchmal passiert es, dass in einem Raum voller Kunstwerke ein einziges sofort den Blick des Betrachters für sich einnimmt - und diesen dazu verleitet, allein an ihm Wesen und Ausdruck von Kunst und Künstler erkennen zu wollen. Vielleicht wollte Ernst Lüttringhaus genau das provozieren, vielleicht hängt das Bild aber auch nur zufällig an der Stelle in der Galerie-Kunstwerkstatt am Drosselanger, an der die Wand ein wenig hervorsteht und die dem Eingang direkt gegenüberliegt. Es ist ein Bild, das auf den ersten Blick an Leonardo da Vincis "Vitruvianischen Menschen" erinnern - und auf den zweiten Blick all das, was das Werk des italienischen Großmeisters verkörpert, infrage stellt.

Statt eines Mannes, dessen ausgestreckte Arme und Beine den ihn umschließenden Kreis berühren, dreht sich bei Lüttringhaus eine nackte Frau in einem Zahnrad. Auf diesem wachsen Blumen, brechen Wellen, es ist umgeben von religiösen Formen und physikalischen Formeln. Das alles ist sehr bunt, die Frau ist rot, das Zahnrad blau, der Rest grün, braun und gelb. Sinnbild einer modernen Welt, die - so zumindest die vermittelte Hoffnung - ihre Vielfalt zeigt, sich durch Fortschritt von festgelegten Schemata löst, ihre Grenzen testet und der Natur dennoch ihre eigenen lässt. Der Künstler erklärt später, es gehe ihm vor allem um einen Wunsch in diesem Bild - der in Leonardo da Vinci vermutlich starke innere Zerrissenheit ausgelöst hätte: "Die Technik nach unten und die Natur wieder nach oben zu drehen."

"Wenn man nicht an Grenzen kommen kann, ist es ja langweilig." Ernst Lüttringhaus in der Galerie-Kunstwerkstatt in Karlsfeld. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Lüttringhaus ist es dann, der selber nachhilft, den Blick nun auch den anderen Werken zuzuwenden: "Haben Sie so etwas schon mal gesehen?", fragt er. Der Künstler bezieht seine Frage auf die Papierkunst an der Wand, die eigentlich den größten Teil der Ausstellung darstellt. "Das ist Tessellation", erklärt er. Jedes Werk besteht aus nur einem Stück Papier, das weder geschnitten noch geklebt werden darf. Eine Weiterentwicklung des klassischen Origami, die nicht nur in der Kunst, sondern auch in Industrie und Raumfahrt angewendet wird - zum Beispiel für Airbags in Fahrzeugen oder Sonnensegel an Satelliten.

Über Papier kann Ernst Lüttringhaus lange reden und schwärmen. "Papier ist ein fantastisches Zeug", sagt er. Seit rund fünfzig Jahren beschäftige er sich schon mit Origami, mit Tesselation seit drei Jahren. Die Arbeit mit Papier fasziniert ihn nicht aufgrund der Einfachheit des Materials, ganz im Gegenteil: Es sei gut, wenn das Material Grenzen setze, sagt er. Ihn interessiert, wie sich das flache Papier in eine dritte Dimension bringen lässt. Was manchmal klappt, manchmal nicht - und häufig ganz unerwartete Formen annimmt, wie auch einige der ausgestellten Stücke zeigen. "Wenn man nicht an Grenzen kommen kann, ist es ja langweilig", sagt Lüttringhaus.

Zurück zu den Gemälden. Ihnen hat Lüttringhaus eine Wand gewidmet. Eigentlich ist er Maler und Bildhauer, hat früher in Karlsfeld gelebt, heute wohnt und arbeitet er in der Nähe von Landshut. Das Malen sei also seine "normale Profession", erklärt Lüttringhaus - und vielleicht spricht er deswegen von diesen Werken etwas abgeklärter, etwas weniger euphorisch als von den Stücken aus Papier. An der Volkshochschule in Landshut unterricht er bildmalerische Gestaltung. "Um darüber reden zu können, muss man eben ab und zu auch mal selbst etwas malen", sagt er nüchtern. Dann analysiert er - ganz in der Manier des Kunstlehrers - seine Werke selbst, meint, sie seien stets farbig, aber niemals schrill und laut. Dass er stilmäßig unter Surrealismus falle. Wieso sich denn auf nahezu jedem seiner Bilder ein Augapfel finde? "Das ist für mich ein Symbol für Wissen und Erkenntnis", erklärt er sofort.

Bei seinen Gemälden falle er stilmäßig unter Surrealismus, so Lüttringhaus. Reproduktion: Niels P. Jørgensen (Foto: N/A)

Er schaffe Kunst, die Kommunikation macht, so Lüttringhaus. Wie das Bild ganz rechts. Man sieht einen roten Punkt in der Mitte, daneben leere Sprechblasen aneinandergereiht. "Öffentliche Meinung", hat er dieses Werk genannt - weil, wie er meint, es meistens ja egal sei, ob etwas drin stehe oder nicht. Seine Gemälde sind stets direkt, er verwendet deutliche Farben und Linien. Lüttringhaus romantisiert nicht gerne. "Mich fasziniert überhaupt nichts an der Kunst", sagt er - und meint das vielleicht sogar genau so. Ihn fasziniere, was er tun könne, wenn er mal wieder eine Idee habe. Ausstellungen mache er übrigens auch nicht so gerne. Andererseits: "Wie soll man mit Bildern kommunizieren, wenn man sie nicht zeigt?"

Vernissage der Ausstellung von Ernst Lüttringhaus am Freitag, 21. Juni, um 19 Uhr in der Galerie-Kunstwerkstatt Karlsfeld. Die Ausstellung ist geöffnet samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr. Die Ausstellung dauert bis 30. Juni.

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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