Asylkoordinatorin Isabell Sittner:"Ich versuche, Ängste zu nehmen"

Lesezeit: 3 min

Seit Februar ist Isabell Sittner Asylkoordinatorin im Landratsamt. Die kurzfristige Zuweisung von Flüchtlingen und das Zusammenleben verschiedener Kulturen auf engstem Raum stellen sie immer wieder vor neue Herausforderungen, ebenso die Vorbehalte mancher Bürger

Interview von Anna-Sophia Lang

Seit Februar ist Isabell Sittner Asylkoordinatorin im Landratsamt Dachau. Sie hat anstrengende Monate hinter sich. Zum Weltflüchtlingstag zieht sie eine erste Bilanz und spricht mit der SZ Dachau über lange Tage, unerwartete Ereignisse und die Zukunft der Asylbewerberunterbringung im Landkreis.

SZ: Frau Sittner, Sie haben Jura studiert. Warum entscheidet man sich als Juristin ausgerechnet für diesen Job?

Isabell Sittner: Ich fand es sehr positiv, dass es keine reine Juristenstelle ist. Ich wollte immer Kontakt zu Menschen. Hier kann ich meine persönlichen Stärken gut ausleben. Während des Studiums und des Referendariats habe ich schon einiges in Richtung Mediation gemacht. Wenn in meinem Job eine Konfliktsituation entsteht, kann ich gut darauf zurückgreifen. Außerdem hilft ein juristischer Hintergrund, wenn man im Bereich Asyl arbeitet. Ich habe nicht geahnt, wie sehr.

War der Aufruhr in der Markt Indersdorfer Tennishalle vor wenigen Wochen so eine Situation?

Es war für mich eine sehr ungewohnte Situation. Aber deshalb, weil ich noch nie so ein Polizeiaufgebot gesehen habe. Als der Anruf kam, dass das Landratsamt gebraucht werde, habe ich alles stehen und liegen lassen. Als ich ankam, hatte sich die Lage schon wieder beruhigt und es ging darum zu besprechen, wie man weiter verfährt.

Fanden Sie die Reaktion der Flüchtlinge nachvollziehbar?

Teils, teils. Sie sind nicht mit unserem Behördenhandeln vertraut. Viele denken, jeder Wunsch könne sofort realisiert werden. Aber das ist tatsächlich faktisch und rechtlich nicht möglich. Ich war an dem Tag lange dort und habe wieder und wieder erklärt, dass vieles für sie nicht sichtbar im Hintergrund abläuft. Wenn man die Hintergründe erklärt, stößt man auch auf Verständnis.

Viele der Asylbewerber sind muslimische Männer. Wie begegnen sie Ihnen als junger Frau?

Mehr als respektvoll. Ich habe damit überhaupt keine negativen Erfahrungen gemacht. Als ich eine Zeit lang sehr oft draußen in Markt Indersdorf war, hieß es am Ende immer "Hey, Mama", wenn ich kam. Aber ich muss sagen, dass die Frauen viel fordernder sind als die Männer.

Was wünschen sich die Menschen in den Unterkünften?

Das ist ganz unterschiedlich. Oft sind es ganz alltägliche Dinge. "Mir tut etwas weh, wo muss ich hin?" "Ich habe einen Zettel und kann ihn nicht lesen, kannst du ihn übersetzen?" Jedes Mal, wenn ich losfahre und denke, ich bin in einer halben Stunde wieder da, sind es am Ende vier Stunden.

Welche Probleme erleben Sie dort?

In der Tennishalle, besonders während sie eine Notunterkunft war, stießen ganz viele Kulturen aufeinander. Die musste man versuchen, alle unter einen Hut zu bringen. Vom Opa bis zum Baby waren alle Altersklassen dabei. Das war nicht einfach.

Welche Begegnung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

In Markt Indersdorf habe ich einen jungen Kosovaren erlebt, der schon ein bisschen Deutsch konnte. Er fragte mich nach einem deutschen Buch, etwas über Technik. Er war froh, wenn er sich zurückziehen und einfach lesen konnte. Man hat gemerkt, dass er unbedingt etwas lernen wollte. Es hat mir wirklich leid getan, als er weiter verlegt wurde, denn er hat uns immer geholfen zu vermitteln.

Nehmen Sie die Geschichten der Menschen, denen Sie begegnen, mit nach Hause oder können Sie abends abschalten?

Es gibt Tage, da habe ich zu knabbern. Mein Heilrezept: Ich gehe eine Runde mit dem Hund raus, da kriege ich den Kopf frei. Es sind aber gar nicht immer unbedingt nur schlechte Dinge, die mich beschäftigen. Manchmal ist der Informationsfluss über den Tag so hoch, dass einem fast der Kopf platzt.

Was gehört denn zu einem typischen Arbeitstag als Asylkoordinatorin ?

Es gibt keinen typischen Tag. Es passiert immer etwas Unvorhergesehenes. Ich muss sozusagen immer auf das Unvorbereitete vorbereitet sein.

Also müssen Sie oft spontan reagieren?

Ja, aber ich habe auch viele Termine. Ich bin oft bei Einführungsveranstaltungen für Helferkreise, Bürger oder Gemeinden, vor allem, wenn bald Asylbewerber dort untergebracht werden sollen. Ich versuche, Transparenz zu schaffen, Fragen zu beantworten und Ängste zu nehmen. Neulich war ich zum Beispiel auch bei einer Gremiumssitzung der IHK.

Und was sagen die Bürger?

Das reicht von total erfreut bis "wir wissen nicht so recht, was auf uns zukommt". In Vierkirchen wurde ich neulich gefragt: "Wer kommt denn zu uns?" Ich konnte keine Auskunft geben, weil ich selbst noch keine Informationen seitens der Regierung von Oberbayern vorliegen hatte.

Das klingt nach hoher Arbeitsbelastung.

Wir haben inzwischen fast 700 Asylbewerber im Landkreis, für die es drei Sachbearbeiter gibt. Wir brauchen dringend Personal. Da sind wir bereits dran.

Was fehlt sonst noch besonders?

Am größten ist die Not bei Grundstücken für Wohnanlagen. Wir suchen händeringend. Ganz wichtig ist auch, dass die Sprachkursangebote erweitert werden. Ich würde mir wünschen, dass da finanziell mehr über Freistaat und Bund läuft. Sprache ist der Schlüssel zur Integration.

Reißt der Flüchtlingsstrom bald ab?

Nein. Wir haben jede Woche 30 Zwangszuweisungen. Für mich ist das Schlimme, dass sie kommen, selbst wenn wir keine Plätze haben. Dann können wir schauen, wie wir sie unterbringen. Und es wird weiter so gehen. Meiner Meinung nach wird so schnell keine Entspannung eintreten.

Also wird die Arbeit nicht weniger.

Nein. Es haben sogar schon andere Landratsämter angefragt, ob ich ihnen von meinem Job berichten kann, weil sie ähnliche Stellen einrichten wollen.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: