Corona im Blick:Total verpfeilt

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Eine SZ-Fotografin zeigt, was ihr in dieser außergewöhnlichen Zeit besonders auffällt

Fotos Alessandra Schellnegger

Mit Klebe-Pfeilen versuchen Geschäfte in München, die Kunden zu leiten.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hinein? Rechts entlang.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Zebrastreifen.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Scharf rechts.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nach vorne.

Dem Münchner, und ja, auch der Münchnerin wird oft eine gewisse Dickschädeligkeit nachgesagt, jedenfalls, so heißt es, lassen sich beide nicht gerne vorschreiben, wo es langgeht. In alten Zeiten war die Aufmüpfigkeit derart ausgeprägt, dass sich der Kurfürst Karl Theodor einmal gezwungen sah, die rebellischen Stadträte in die Residenz zu beordern, wo sie vor dem leeren Thronsessel einen Kniefall machen mussten. Andererseits gibt es Münchner, die dankbar sind, wenn ihnen jemand Orientierung bietet - besonders in Zeiten wie diesen, in denen das Virus noch mehr Verwirrung stiftet als eine Aiwanger-Rede. War für diese Menschen die Stadt bis dahin eine unübersichtliche Ansammlung von Häusern, Straßen und Irrwegen, so gleicht sie neuerdings einem Schnittmuster, wie man es aus Modejournalen kennt. Überall, wo der Münchner seinen Fuß hinsetzt, sind Pfeile und Linien angebracht, die ihm sagen, in welche Richtung er gehen und wo er Halt machen soll. Selbst das Parkett feinster Läden, welches stets so frisch poliert ist, dass man es am liebsten mit Hausschuhen betreten würde, verunzieren jetzt pfeilförmige Klebestreifen, die dem Kunden das Gefühl geben, er müsse jetzt zackig den Parcours absolvieren und dann rasch wieder verschwinden. Es gibt aber auch Zeichen, die so vieldeutig sind wie die Botschaften des Himmels, so dass der Flaneur nicht weiß, ob er nun stehen bleiben, weitergehen oder abbiegen soll - eine schreckliche Situation, die geradewegs in den Schlamassel führt, eine eigenen Entscheidung treffen zu müssen. Allem Anschein nach ging es den Schöpfern solcher Bodenpfeile - meist Hausmeister oder Azubis - nicht um Orientierung und Virenschutz, sondern sie verfolgten ausschließlich künstlerische Zwecke. Die Farbkomposition und das raffinierte Spiel mit der Umgebung, das an Harald Naegeli, den "Sprayer von Zürich", erinnert, lassen den Schluss zu, dass es sich um hochrangige Street Art handelt. Leider übersehen das viele Passanten. Andere wiederum laufen einfach entgegen der Pfeilrichtung. Kein Wunder: In der Tiefe seines Herzens ist der Münchner Anarchist.

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(Foto: privat)

Alessandra Schellnegger ist seit elf Jahren für die SZ unterwegs. Aber erst in den letzten Monaten hat sie gelernt, dass sich zum Fotografieren nur Mundschutz-Masken eignen, die über der Nase diese kleine Draht-Verstärkung haben, mit der man die Maske festdrücken kann. Bei allen anderen Modellen, die oben offen sind, beschlägt sofort der Sucher der Kamera.

© SZ vom 26.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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