Es ist zehn vor zwölf - und die Schlange vor dem Eingang der Alten Kongresshalle gut 30 Meter lang. Einige der Wartenden haben Koffer und große Rucksäcke dabei, die meisten davon sicherlich gefüllt mit Comics, weil ihre Besitzer sie den Zeichnern in der Halle zum Signieren vorlegen wollen. Eine Original-Zeichnung von seinen Lieblingszeichnern zu ergattern, das dürfte tatsächlich immer noch das Hauptmotiv sein, warum alle zwei Jahre Tausende Besucher auf das Münchner Comicfestival pilgern. Das hat sich in seiner gut 30-jährigen Geschichte (wenn man die Münchner Comic-Tage mit dazu zählt) neben dem Comic-Salon in Erlangen als zweitwichtigstes Comicfestival in Deutschland etabliert.
Trotzdem geht es noch immer weitgehend familiär zu. Als sich um Punkt zwölf die Türen öffnen, begrüßt Festival-Leiter Heiner Luenstedt die ersten Besucher persönlich mit Handschlag und bittet sie in die Alte Kongresshalle. Dort hat das viertägige Festival auch in diesem Jahr wieder sein Zentrum. Dort finden täglich Ausstellungen, Vorträge, Gespräche, Workshops und Signierstunden statt. Außerdem präsentieren sich kleine und große Verlage an Ständen mit Comics, T-Shirts, Tassen und vielem anderen. Die Verlage sind es auch, die ihre jeweiligen Zeichner und Autoren für Signierstunden mitbringen.
Während so mancher auf den Münchner Comicfestival seelenruhig vor sich hinzeichnet ...
... und andere in Comics schmökern....
... müssen Künstler wie Nicolas Tabarny einen regelrechten Signier-Marathon hinlegen.
Aufwändige Signaturen entstehen.
Am ersten Tag gehört dazu beispielsweise der Zeichner Nicolas Tabary. Während dieser "Die neuen Abenteuer des Großwesirs Isnogud" an einem Stand signiert, bildet sich auch hier eine lange Schlange. Nicolas ist der Sohn von Jean Tabary, der die Figur des bitterbösen Großwesirs bereits in den Sechzigerjahren zusammen mit René Goscinny erfunden hat. Der Sohn führt das Erbe seines 2011 verstorbenen Vaters fort und lässt, wie man sehen kann, mit großem Erfolg den machtgierigen Giftzwerg Isnogud in neuen Abenteuern weiterleben.
Nur ein paar Meter weiter, am Stand, an dem Zerocalcare signiert, hält sich der Andrang eher in Grenzen. Vielleicht weil der Zeichner, der in seiner Heimat Italien mit seinen Büchern Auflagen von bis zu 150 000 Stück erzielt, hier erst noch zu entdecken ist. Auf dem Festival ist Zerocalcare mit seinem neuen Buch "Kobane Calling" zu Gast, einer äußerst eindringlichen und zugleich entwaffnend selbstironischen Comic-Reportage über seine eigenen Reisen in das türkisch-syrische Grenzgebiet.
Dass man mit dem Medium Comic sehr ernsthafte politische Themen bearbeiten kann, dafür ist "Kobane Calling" nur eines von vielen Beispielen. Als ein weiteres könnte man die Comics von Ralf König nennen, dem das Festival in der Alten Kongresshalle eine Retrospektive widmet. Bekannt ist König vor allem für seinen bissigen und schlüpfrigen Humor. Aber gerade durch seinen Witz, der Comics wie "Der bewegte Mann" auszeichnet, hat es der deutsche Zeichner geschafft, das Thema Homosexualität im Comic und auch in der Gesellschaft hoffähig zu machen. Ralf König ist nicht der einzige, dem das Festival dieses Jahr eine Ausstellung widmet. Auch von Isabel Kreitz, Uli Oesterle oder Klaus Voormann sind Originalzeichnungen in der Alten Kongresshalle zu sehen. Über die Stadt verteilt gibt es zudem zahlreiche weitere Comic-Ausstellungen.
Zum Programm gehören auch in diesem Jahr wieder Workshops für die Zeichner von morgen. Um die muss man sich, wie es aussieht, wohl keine größeren Sorgen machen. Denn kurz bevor der Disney-Zeichenkurs beginnt, steht vor der Türe wieder mal eine lange Schlange. Mit Zeichnern, die teilweise noch jünger aussehen als die 13 Jahre, mit denen Ralf König erste Comics wie "Schneeflittchen" geschaffen hat. Diese hat König in den Siebzigern mit Filzstift hingekrakelt, in einer Einfachheit, die auch die Zeichnungen von Krakel Komiks auszeichnet. Krakel Komiks ist ein loser Verbund von jungen Zeichnern aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, die mit ihrem Stand bereits zum zweiten Mal in München zu Gast sind. Ihre selbstproduzierten Comic-Hefte sind frech und anarchisch und sie zeigen, dass das Medium Comic auch jenseits großer Messen und Verlage eine Zukunft hat.
Infos zum Programm des Festivals unter 2017.comicfestival-muenchen.de.