Circus Roncalli:Erregte Mädchenherzen

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Roncalli wird 30 Jahre alt und zeigt einen Aufmarsch des halben Ostblocks - ganz friedlich akrobatisch natürlich.

Lars Langenau

Es ist jetzt eine Zeitlang her, doch die Tochter spricht noch immer atemlos vom dummen August, dem weißen Clown und lila Pferden. Sie ist zweieinhalb Jahre alt.

(Foto: Foto: dpa)

Nicht, dass wir ihr die Berge und die See, das Sandmännchen und den Grüffelo, den Zoo und Museen vorenthalten hätten. Doch dem leicht wirren Wortschwall zufolge, war der Besuch von Circus Roncalli - neben dem Tag ihrer Geburt - das wohl bislang eindrucksvollste Erlebnis dieses, zugegeben noch sehr jungen Lebens.

Können Kinder in diesem Alter eigentlich schon einen Herzinfarkt bekommen? Den hocherröteten Wangen, dem ratternden kleinen Herzen, flatternden Atem und dem Schweiß in den Haaren zufolge stand Louisa kurz davor.

In brennender Erwartung und von dem Kleinkindbuch "Bobo" einigermaßen darüber aufgeklärt, was sie unter dem großen Zelt erwarten würde, zeigte das Kind nach dem ersten Tusch ängstlich mit wedelnden Handbewegungen in Richtung Ausgang.

Dem starrsinnigen Vater nicht entkommend, versuchte sie es mit der Taktik Augen zu und durch. Doch irgendwann siegte Neugier über atavistische Fluchttendenzen.

Die Tochter sah den Aufmarsch des halben Ostblocks - ganz friedlich akrobatisch natürlich. Da waren das bezaubernde doppelte Lottchen Maryina Tsodikovi und ihre Zwillingsschwester Svetlana aus Minsk. Als Antipoden führten sie Kunststücke mit ihren Füßen aus, die der normal gewachsene Normalbürger noch nicht einmal mit den Händen ausführen kann.

Und da waren das Duo Minasov aus Russland, bei deren Tanz und Millisekunden kurzen Kleiderwechseln selbst das Publikum ins Schwitzen kam. Oder der bulgarische, bärenstarke Handstandakrobat Encho Keryazov. Oder der Moskauer Konstantin Mouraviev, der umwerfend komisch die Geschichte spielte, wie ein dicker Mann durch außergewöhnliche Sportarten ganz schlank werden kann.

Lasziv, und damit eher was für den Vater, hingegen das Trio Belissimo aus Kiew, deren Körperverrenkungen Männerphantasien beflügeln. Oder die attraktive Sarah Houcke, deren Pferdedressur dann doch wieder das Interesse von kleinen Mädchen wecken kann.

Das schmiegte sich inzwischen wieder eng an den Vater, als der international renommierte Clown David Larible das Publikum zum Lachen brachte. Ihre Skepsis über den dummen August legte sich mit der Zeit. Doch ganz warm wurde sie nicht mit Gensi, dem katalanischen Theaterclown.

Denn der kam aus einer Zeit, als das Sandmännchen längst noch nicht den Kindern die Schlafenszeit ansagte, die Museen noch Freilufttheater waren und die Tiere aus Zoos allerhöchstens geschlachtet beim besten Pariser Metzger zu finden waren.

Direktor, Regisseur, Gestalter und Manager Bernhard Paul wollte mit seinem Circusprojekt nun vor drei Jahrzehnten den idealisierten Circus seiner Kindheit realisieren, den er in seiner Phantasie hundertmal erträumt hatte.

Und tatsächlich schafft es Roncalli, nicht nur Mädchenherzen in Erregung zu versetzen, sondern alle Zuschauer in den Bann zu ziehen. Und das, mit dem bewussten Verzicht auf widernatürliche Tierdressuren. Und auf die weitgehende Entsagung von Zauberern, die zweieinhalbjährigen Kindern höchst-wahrscheinlich vollends den Verstand geraubt hätten.

"30 Jahre Roncalli" gastiert auf der Theresienwiese bis zum 7. Juni, Nachmittags Mi., Do., Sa., So. um 15 Uhr, Karten zwischen elf und 49 Euro. Im Internet: www.roncalli.de.

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