Chronik zum 100-jährigen Bestehen:Von der Mechanik zur Mechatronik

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Am Beispiel der Deroyschule zeigt sich der gewaltige Wandel von Berufsschulen

Von Melanie Staudinger

Nachsitzen muss nicht zwingend nervig sein. Diese Erfahrung hat zumindest Franz Becher gemacht. Von Februar 1957 bis Juli 1960 besuchte er die Berufsschule für Werkzeugmacher und Technische Zeichner an der Deroystraße. Und jedes Mal, wenn er zu viel geschwätzt hatte, wurde er nach dem Unterricht in die Klasse der technischen Zeichnerinnen geschickt. Die jungen Damen waren sehr hübsch, wie Becher berichtet. Und sehr schreckhaft. Einmal knackten er und seine Mitschüler das Schloss eines Schrankes, in dem ein menschliches Skelett für die Biologie-Stunden aufgehängt war. Das stellten die jungen Männer direkt vor das Klassenzimmer, in dem die Zeichnerinnen gerade Unterricht hatten. "Der Schrei aus vielen Mädchenkehlen, die beinahe in den Schrank zu dem schlackernden Gerippe gestolpert wären, war wohl fast im ganzen Haus zu hören", schreibt Becher.

Seine Erinnerungen finden sich in der Chronik der Deroyschule, die das städtische Bildungsreferat zum 100-jährigen Bestehen der Einrichtung herausgegeben hat. Ein Blick in die Geschichte zeigt nicht nur, wie sich die Schule entwickelt hat. Er zeigt auch, welch gewaltigen Wandel die Berufsschulen in München durchlebt haben, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts einen wichtigen Bestandteil der Schullandschaft in der bayerischen Landeshauptstadt ausmachen.

1900 eröffnete die erste Gewerbeschule für 80 Metzgerlehrlinge - die Initiative ging damals auf Stadtschulrat Georg Kerschensteiner zurück, der das duale System mit Ausbildung im Betrieb und Unterricht in der Berufsschule begründete. Heute haben die 83 städtischen Einrichtungen fast 150 verschiedene Berufsbilder im Angebot. Ein Drittel der 150 000 Schüler an öffentlichen Schulen besuchen eine berufliche Einrichtung.

Nach Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 wurde das neue Schulzentrum an der Deroystraße eröffnet, weil sich damals immer mehr metallverarbeitende Betriebe in München ansiedelten und der Bedarf an gut ausgebildeten Maschinenbauern, Schlossern und Mechanikern deutlich wuchs. Die Schule half auch den jungen Männern, die als "Kriegsversehrte" von den Schlachtfeldern zurückkehrten, mit einer Ausbildung zu einer neuen Perspektive. Nach Kriegsende kamen mehr und mehr Lehrberufe hinzu: das Elektrohandwerk zum Beispiel, die Berufsschule für Optiker oder die für Feinmechaniker.

Letztere zeigt, wie sich das Berufsbild verändert hat: Von 1962 bis 1966 kamen die Orthopädiemechaniker hinzu, von 1971 bis 1994 die Augenoptiker. Danach hieß die Einrichtung "Industriemechanik" und heute "Fertigungstechnik". Neben den industriellen und handwerklichen Metallberufen Industriemechanik, Zerspannungsmechanik, Fertigungsmechanik und Feinwerkmechanik bietet sie den mittlerweile mehr als 2000 Schülern seit 1998 auch den Bereich Mechatronik an - viele große Firmen wie BMW hatten auf diese Ausbildung umgestellt. Heute beherbergt das Schulzentrum an der Deroystraße außerdem die Berufsschule für Metallbau und Technisches Zeichnen sowie eine Technikerschule.

Der Tag der offenen Tür in Schulzentrum an der Deroystraße findet am Samstag, 4. Juli, von 9.30 bis 14.30 Uhr statt

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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