Bundeswehr-Universität:Bereit, das Leben zu riskieren

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Wie Studenten der Bundeswehr-Universität damit umgehen, dass sie nach dem Abschluss womöglich nach Afghanistan müssen.

Alexander Jaax

Wenn Gloria Axthelm sich an ihr Archäologie-Studium in Halle erinnert, fällt ihr wenig Positives ein. "Ich habe in Hörsälen gesessen", sagt sie, "die so voll waren, dass ich den Professor nicht gesehen habe". Die Gebäude der Hochschule seien "kilometerweit" voneinander entfernt, "ich war jedes Mal auf den Nahverkehr angewiesen." Nach nur drei Semestern brach sie ab. Heute studiert sie Pädagogik an der Universität der Bundeswehr München, in Neubiberg.

"Die Frage ist nicht ob, sondern wann": Dass Gloria Axthelm nach dem Abschluss ihres Pädagogik-Studiums nach Afghanistan verlegt wird, steht schon so gut wie fest. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Dort herrschen andere Bedingungen. Jeder Hörsaal lässt sich in höchstens fünfzehn Minuten zu Fuß erreichen. Auf einen Professor kommen im Schnitt 24 Studierende. Die 4000 Studenten müssen keine Studiengebühren zahlen. Im Gegenteil, monatlich erhalten sie ein Gehalt von rund 1500 Euro von der Bundeswehr. Denn wer hier eingeschrieben ist, hat sich für 13 Jahre verpflichtet und wird nach dem Abschluss als Offizier dienen - wo immer ihn die Bundeswehr hinschickt.

Testament angeraten

Und das kann auch Afghanistan sein. 3600 Männer und Frauen hat die Bundeswehr zurzeit am Hindukusch stationiert, rund 600 davon sind Offiziere. Die weit überwiegende Mehrheit der Offziere hat an einer der Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und München studiert. "Der Offiziersberuf ist heute nun mal ein akademischer Beruf", sagt Merith Niehuss, Präsidentin der Münchner Bundeswehr-Universität. Weil die Einsatzdauer in der Regel vier Monate beträgt, tauscht das Militär sein Personal in Afghanistan laufend aus. Studenten der Hochschule in Neubiberg müssen daher damit rechnen, dass ihr Einsatzort bald Mazar-e Sharif, Kundus oder Kabul heißt.

Dort Dienst zu tun, gehört zu den riskanteren Jobs. Bisher sind 30 deutsche Soldaten am Hindukusch umgekommen, davon 14 in Kampfhandlungen. Die anderen 16 starben bei Unfällen, denn nicht nur Selbstmordattentäter und Raketenbeschuss gefährden das Leben der deutschen Soldaten. Allein sieben Tote forderte der Absturz eines Hubschraubers im Dezember 2002. Die Sicherheitslage hat sich zuletzt verschlechtert, 2008 war das Jahr mit den meisten Anschlägen. "Wir raten generell, vor dem Auslandseinsatz ein Testament zu verfassen", heißt es bei dem zuständigen Einsatzführungskommando in Potsdam. Doch wie gehen die Studenten in Neubiberg damit um, dass sie mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit an den Hindukusch müssen?

"Die Frage ist nicht ob, sondern wann"

Dass Gloria Axthelm nach dem Abschluss ihres Pädagogik-Studiums nach Afghanistan verlegt wird, steht schon so gut wie fest. "Die Frage ist nicht ob, sondern wann", sagt die 26-Jährige, "aber das hat man mir schon im OPZ gesagt". OPZ steht für Offiziersbewerberprüfzentrale. In einem Auswahlverfahren testet die Bundeswehr dort drei Tage lang die Eignung der Interessenten für den Offiziersberuf. Die Aufgaben umfassen unter anderem logisches Denken und Rollenspiele, ganz so wie im Assessment-Center eines Großunternehmens. Anders als in der Wirtschaft müssen angehende Führungskräfte des Militärs jedoch bereit sein, ihr Leben im Ausland zu riskieren. Das ist Axthelm. "Denn sonst", sagt sie, "wäre ich falsch in dem Beruf."

Die Wahrscheinlichkeit allerdings, einen entsprechenden Befehl zu erhalten, ist nicht für alle gleich. Sie hängt von der Truppengattung ab. Diese wählen die Offiziersanwärter vorläufig in der 15-monatigen militärischen Ausbildung vor Beginn des Studiums. Manche Truppengattungen sind in Afghanistan besonders gefragt. Wie etwa die von Pädagogik-Studentin Axthelm, die "Operative Information". "Wir sind für die medientechnische Unterstützung zuständig", erklärt sie. "Vereinfacht gesagt, erklären wir den Einheimischen, dass die deutschen Soldaten ihnen nichts Böses wollen." Axthelms mögliche Aufgaben in Afghanistan sind vielfältig. Sie könnte mit einem Megafon Aufrufe an die afghanische Bevölkerung richten oder von einem Container aus Radiosendungen leiten.

Trotz der Gefahren würde Axthelm nicht die Truppengattung wechseln, um nicht in Afghanistan dienen zu müssen. "Ich bin davon überzeugt, dass es sinnvoll ist." Sicher stimme es sie betroffen, von Anschlägen auf Kameraden in Kundus zu erfahren. "Aber jetzt ist es noch so weit weg", sagt sie. Ende nächsten Jahres könnte sie den Befehl erhalten. Das mache ihr bisher keine Angst, betont sie, und fügt entschlossen hinzu: "Ich wollte Offzierin werden, um in den Einsatz zu gehen."

Auch für Michael Trübelerist der Krieg am Hindukusch noch weit entfernt. Er wird noch zweieinhalb Jahre in Neubiberg Staats- und Sozialwissenschaften studieren. Und auch danach würde ihn das Militär nicht sofort in den Auslandseinsatz schicken. Jeder Absolvent kehrt zunächst für mindestens sechs Monate an seinen deutschen Standort zurück. "Man erfährt nicht erst zwei Wochen vorher, dass man nach Afghanistan geschickt wird", erklärt der 22-Jährige, "man rechnet immer ein Jahr im Voraus damit."Bisher gehört er zur Fernmeldetruppe. Spezialisten dieser Einheiten werden auch im hochgefährlichen Süden, in der Region Kandahar, eingesetzt. Doch darüber macht sich Trübeler im Moment keine großen Sorgen. "Das kann sich alles noch ändern."

Seine Chancen, ins Ausland geschickt zu werden, schätzt Bauingenieurstudent Jan Pötzsch "gut" ein. Das Wörtchen "gut" klingt dabei nicht ironisch. Als Luftwaffenpionier könnte er mit dem Aufbau von Feldlagern betraut werden. Dass er dabei sterben könnte, weiß der 23-Jährige. "Im Hinterkopf setzt man sich immer damit auseinander." Er würde jedoch niemals daran denken, einen Befehl zu verweigern. "Es ist einfach meine Pflicht", meint er, "so ist das für mich." Im Moment gilt seine Aufmerksamkeit ganz dem angestrebten akademischen Abschluss. "Unser Auftrag lautet jetzt, das Studium zügig zu beenden", sagt Pötzsch. Seine Wortwahl lässt wohl erkennen, dass er bereits Leutnant ist.

Keine Extrarunden

Das Studium in Neubiberg ist straff organisiert. "Trödeln geht gar nicht", sagt Universitäts-Sprecher Michael Brauns, "wer zu lange baucht, wird aus der Bundeswehr ausgeschlossen." Das Geld für die Hochschule kommt vom Verteidigungsministerium. Dort möchte man vermeiden, dass zu viele der 13 Jahre Dienstpflicht für Extrarunden an der Universität draufgehen. Die Regelstudienzeit für einen Master-Abschluss beträgt vier Jahre, ein Jahr weniger als an Landesuniversitäten.

Kein Wunder, dass trotz des möglichen Einsatzes erst einmal der Prüfungsstress die meisten Studenten beschäftigt. Das jedenfalls beobachtet Universitätspräsidentin Merith Niehuss unter den jungen Leuten. "Sie haben hier ihr Studium im Kopf. Sich jetzt schon allzu viele Gedanken über einen möglichen Auslandseinsatz zu machen, wäre vielleicht nicht besonders hilfreich für sie", sagt Niehuss. Gleichzeitig beobachtet sie aber auch, dass sich die künftigen Offiziere ständig über die jüngsten Entwicklungen im Krisengebiet informieren. Ihrer Einschätzung nach zeigen die Studierenden an der Bundeswehr-Universität ein ausgeprägtes Interesse an der weltpolitischen Situation und der Innenpolitik. Aufmerksam verfolgten sie Bundestagsdebatten etwa über die Ausweitung des Afghanistan-Mandats. Darin zeige sich, vermutet Niehuss, dass die Studenten den Gedanken der Parlamentsarmee annähmen. "Sie wissen, dass sie als Soldaten dorthin gehen, wo sie das Parlament hinschickt."

© SZ vom 11.02.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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