Bürgerentscheid München:Das Quorum ist das Problem

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Kritische Nachlese zum Kraftwerks-Votum

"Die Münchner wollen keine Kohle mehr" vom 6. November:

Das Quorum ist das Problem

Obwohl auch ich die Notwendigkeit sehe, dass wir aus ökologischen Gründen möglichst zügig aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen, habe ich beim jüngsten Münchner Bürgerentscheid gegen die Abschaltung des Steinkohleblocks des Heizkraftwerks Nord gestimmt, weil mir die Argumente des Stadtrats und des Oberbürgermeisters vernünftiger und glaubwürdiger erschienen, als die der Abschaltungsbefürworter. Das letzte Wort hat ohnehin die Bundesnetzagentur.

Die Abschaltungsbefürworter haben im Bürgerentscheid 60,2 Prozent Ja-Stimmen erhalten, was mich bei der massiven Werbung für und einer überaus zurückhaltenden gegen das Anliegen der Antragsteller nicht weiter verwundert. Die Wahlbeteiligung von 17,8 Prozent der Wahlberechtigten lag deutlich über dem Abstimmungsquorum von 10 Prozent, sodass der Ausgang des Entscheids wohl auch nicht dem dürftigen Engagement der Antragsgegner zur Last gelegt werden darf. An der Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Entscheidung besteht jedenfalls kein Zweifel. Und München wird auch durch die möglicherweise entstehenden, in den Haushaltsplänen sicher noch nicht berücksichtigten Lasten entgegen der Befürchtung der Stadtwerke München gewiss auch weiterhin in der Lage sein, den Nahverkehr, Kinderkrippen, Schulen und Altenheime in ausreichendem Umfang zu finanzieren.

Das Ergebnis der Abstimmung zeigt aber wieder, wie wenig sich die Ergebnisse der basisdemokratisch begründeten und in der Gemeindeordnung des Freistaats und in Gemeindesatzungen verankerten Bürgerentscheide in Einzelfällen auf den Willen der gesamten Bürgerschaft berufen können: In einer Großstadt wie München beträgt die Mindestwahlbeteiligung an so einer Abstimmung 10 Prozent. Wenn dieses Quorum knapp erfüllt ist und 51 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen den Antrag unterstützen, genügen die Stimmen von nur 5,1 Prozent der stimmungsberechtigten Bürger, um das Anliegen der Befürworter gegen 94,9 Prozent Gleichgültige und Neinsager durchzusetzen. Ich halte daher das Quorum von 10 Prozent für Großstädte entschieden zu niedrig. Dr.-Ing. Albert Schödlbauer, München

Demokratische Folklore

Die geringe Beteiligung an der Abstimmung zeigt: Man erwartet einerseits keine spürbaren Nachteile durch die Umsetzung der offiziellen Planung. Andererseits fühlt man sich überfordert, mit seinem Kreuz auf dem Stimmzettel kompetent zwischen den Standpunkten zu entscheiden. Es ist auch unbefriedigend, dass sich der Münchner Stadtrat offenbar ganz auf die Ablehnung durch die Bundesnetzagentur verlässt. Das lässt das ganze Bürgerbegehren als bloßen Akt demokratischer Folklore erscheinen. Es ist nicht erkennbar, dass die Kontrahenten überhaupt mal miteinander geredet haben. Dr. Rainer von Mellenthin, München

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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