Eigentlich ein Grund zu feiern: "Der Verfolgungsdruck ist weg." Das sagt Albert Knoll, Vorstand des "Forums Homosexualität München". "Und deshalb gibt es auch weniger Zwang zur Gemeinschaft." Ein Grund aber auch dafür, dass die Szene für Homosexuelle nicht mehr so wichtig ist. Auch Conrad Breyer, Pressereferent des Schwulen Kommunikationszentrums (sub), hat den Eindruck, dass immer weniger Leute die Angebote der Szene zu Treffen, Beratung und Kommunikation annehmen. "Das mag teilweise auch am Internet liegen, das es ermöglicht, anonym, also ohne persönliche Begegnung, Kontakte anzubahnen." Ist die Szene bald am Ende, weil es normal ist, lesbisch oder schwul zu sein?
Antworten auf diese Frage findet man in dem Buch "Es gibt noch viel zu tun . . ." von der Münchner Autorin Ariane Rüdiger. Der Untertitel dürfte allerdings nur für Insider sofort verständlich sein: "Macher und Macherinnen der LGBTIQ-Bewegung". Eine Entschlüsselung der Großbuchstaben findet man im Buch so schnell nicht, sie bedeuten: "Lesbisch Schwul Bi Trans Inter Queer" - also alles andere als schlicht hetero.
Seit sich in den Siebzigern die Szene gebildet hat aus all diesen Menschen, die anders leben als die vermeintliche Norm und sich öffentlich dazu bekennen wollten, die ihre Rechte einfordern und ihr Coming Outs feiern, hat sich schon viel verändert. Von den vielen Vereinen, Verbänden und Institutionen, die sich mit lesbischer, schwuler und anderer Lebensform befassen, lernt man in dem Buch einige kennen. 36 Aktivisten werden in Interviews vorgestellt. Gerade die Stadt München ist großzügig bei der Förderung solcher Einrichtungen. Dennoch sind einige davon in Gefahr. "Buchläden und nicht kommerzielle Einrichtungen sterben", sagt Knoll.
Und man lernt einiges. Etwa dass die männliche Sexualität auch in dieser Bewegung dominant ist: Lesben seien nicht so sichtbar, beklagt unter anderem Conrad Breyer. Auch das künftige Hauptproblem wird deutlich: Wie wollen Lesben und Schwule im Alter leben? Welche Betreuungsformen brauchen sie? Von der Frankfurterin Constance Ohms hört man, dass es auch in lesbischen Partnerschaften "erschreckend viel Gewalt" gibt - ein Tabu. Mit Sepp Stückl lernt man einen oberbayerischen Landwirtssohn und Christen kennen, der die Traditionen liebt. So war er lange Vorstand des Uffinger Trachtenvereins. Dass er schwul war, merkte er erst mit 31 Jahren. Er gründete später die "Schwuhplattler", die erste schwule Schuhplattlergruppe.
Alles in allem: In den Interviews erfährt man viele neue Details aus der Szene. Lesenswert.
Es gibt noch viel zu tun , Ariane Rüdiger, Querverlag Berlin, 16,90 Euro