Bringen mehr Praxis-Sprechzeiten Linderung?:Ärzte ächzen unterm Anspruchsdenken der Patienten

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Erst schnell noch einen Nottermin ausmachen, den aber ohne Absage sausen lassen: Mediziner sehen da noch Verbesserungspotenzial

"Bitte warten" vom 25. April:

Kassenpraxen am Limit

Die, wie so oft, verkürzte und einseitige Darstellung der Probleme in der Kassenmedizin möchte ich doch ergänzen: Als orthopädische Praxis haben wir faktisch tägliche Arbeitszeiten von 7.30 bis circa 21 Uhr ohne Mittagspause mit Patienten, dann noch mit Nacharbeiten häufig bis Mitternacht. Dabei werden die Medizinischen Fachangestellten (MFA) in den vergangenen Monaten regelmäßig und zunehmend von Patienten telefonisch und am Empfang beschimpft und beleidigt, wenn einfach keine zusätzlichen Termine mehr möglich sind.

Die MFAs drohen mittlerweile konkret mit Kündigung und würden selbst mit viel Geld und guten Worten nicht adäquat zu ersetzen sein, weil es im Raum München einfach keine einstellbaren MFAs gibt, die röntgen, gipsen und im OP assistieren können. Wenn wir noch mehr Patienten behandeln würden, bekämen wir - neben den bisher circa 20 Prozent ohnehin schon unvergüteten ärztlichen Leistungen und bei schon lange insgesamt nicht mehr kostendeckender Vergütung der gesetzlichen Krankenversicherung - nach derzeitigem Stand exakt Null Euro mehr für diese zusätzlichen Patienten. Wovon soll man dann das Personal und den Mehraufwand bezahlen?

Die meisten Kassenpraxen dürften am Limit bei Ärzten und Angestellten arbeiten, und die Lebensqualität der MFAs, die häufig auch Kinder haben, sollte bei diesen Diskussionen nicht außer Acht gelassen werden.

Das zunehmende Anspruchsdenken der Patienten mit der Forderung von für sie passenden Wunschterminen im Rahmen der gesetzlichen Versicherungsflatrate, auch bei Bagatellerkrankungen, macht uns Kassenpraxen das Leben sehr schwer und lässt für die Zukunft wenig Gutes ahnen. Dr. med. Edgar David, Baldham

Mitwirkungspflichten

Pünktlich um 8 Uhr sitze ich in meinem Sprechzimmer in Münchens Innenstadt. Der Bus hält vor der Tür, U- und S- Bahnen sind in fünf Minuten erreichbar. Der Terminkalender ist voll eingeschrieben. Das bedeutet, alle 20 Minuten sehe ich eine Patientin. Ich möchte genügend Zeit für jede Frau haben. Doch Frau X. , die so dringend einen Termin brauchte und sich am Vortag noch in der Praxis gemeldet hatte, erscheint um 8 Uhr nicht.

Ich hatte meine drei Kinder zuhause ermahnt, dass sie nichts vergessen, wenn sie zur Schule gehen. Ich muss deutlich früher aus dem Haus, um pünktlich in der Praxis zu sein. Ich rufe die Patientin an und frage sie, warum sie nicht gekommen sei? "Ohje", sie habe verschlafen...

Um 11.40 Uhr ist Frau Y. eingeschrieben, sie bräuchte dringend wieder einmal eine Früherkennungsuntersuchung. Doch sie kam nicht. Ich schrieb ihr eine E-Mail, was los war. Sie antwortete empört, es sei beruflich etwas dazwischen gekommen, sie sei schließlich freiberuflich tätig, da müsse sie dann schon mal einen anderen Termin sausen lassen. Abgesagt hatte sie nicht.

Auch ich sei freiberuflich tätig, schrieb ich ihr. Und zu einem guten Arzt-Patienten-Verhältnis gehöre für mich auch Verlässlichkeit.

Ich unterscheide nicht zwischen gesetzlich und privat versicherten Patientinnen. Aus Überzeugung bin ich selbst gesetzlich versichert. Für jede Patientin nehme ich mir viel Zeit, die in unserem Gesundheitssystem für die so wichtige sprechende Medizin sowieso nicht gebührend honoriert wird. Es gibt keine Möglichkeit, ausgefallene Termine bezahlt zu bekommen. Eine Konsequenz wäre, viel mehr Patienten in den Terminkalender einzutragen. Wollen die Menschen wirklich eine Fünf- Minuten Medizin? Darüber sollten sie nachdenken, wenn sie die Termine ausfallen lassen, ohne sich rechtzeitig abzumelden.

Bevor wir Ärzte noch mehr Sprechstunden anbieten, die dazu verleiten, dann einfach nicht zu erscheinen, oder, weil es am Samstag gerade besser passt, den vereinbarten Termin am Mittwoch für einen wichtigen Geschäftstermin nicht wahrzunehmen, sollte sich jeder, ob gesetzlich oder privat versichert, überlegen, wie wichtig ihm das gute Verhältnis zu seinem Arzt ist. Dr. med. Silke Bartens, München

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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