Born Entertainer:Weltmeister der Herzen

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Robbie Williams ist gut beim ersten seiner drei Konzerte im Olympiastadion - aber er war schon besser

Jochen Temsch

Der Auftakt geht erst mal grandios daneben. Rund 70.000 Fans im Olympiastadion zeigen ihre Begeisterung mit La- Ola-Wellen, dann endlich, kurz nach 21 Uhr, kündigen dramatische Zeichen seine Ankunft an: ein Feuerwerk über der Bühne, die eine Mischung ist aus Kurkonzertmuschel und halb abgebautem Kirmeskarussell.

Flammenfontänen, Nebelsäulen. Robbie Williams erscheint per Hebevorrichtung aus dem Boden der s-förmigen Rampe, die in die Arena ragt. Die Menge tobt - das Mikrofon streikt. Die Aussetzer seines Gesangs überspielt Robbie Williams mit großen Bühnengesten, in der allgemeinen Hysterie geht die Panne ohnehin unter.

Dennoch wirkt der abgöttisch Verehrte in diesen ersten Schockmomenten ungewohnt müde und angespannt, als er seine schwarze Sonnenbrille abnimmt und sich von den Kameras, die alles auf Plasmawände übertragen, ins Gesicht zoomen lässt.

Künstlerische Metamorphose

Zum ersten Mal seit dem Beginn seiner Solokarriere vor fast zehn Jahren eröffnet der 32-Jährige seine Konzerte nicht mehr mit seinem programmatischen Schlachtruf "Let me entertain you", sondern mit der weit weniger mitreißenden Hymne "Radio", dem ersten Hit, den er 2004 zusammen mit seinem neuen Songschreiber Stephen Duffy nach der Trennung von Guy Chambers gelandet hatte.

Dieser symbolische Wechsel im Vorspiel soll Robbie Williams" künstlerische Metamorphose demonstrieren - mit den Aussetzern wirkt das wie ein böses Omen. Aber natürlich ist der Charmebolzen, der Frauenschwarm, der natural born entertainer, die Rampensau, die Marke, die Konsensmaschine, der Superstar - der Robbie eben -, natürlich ist er Profi genug, die Sache schnell in den Griff zu kriegen.

So, wie man eine Lampe anknipst, schaltet er sein verschmitztes Lausbuben-Bühnenlächeln an. Auch sein Blick wirkt schon beim zweiten Song, "Rock DJ", wie immer. Neun von zehn Frauen behaupten, wer so schaut, der meint damit nur eine - sie selbst. Beim dritten Stück, "Tripping", zeigt er seine Bauchtätowierungen, springt in den Graben um die Rampe und sucht den Körperkontakt zu den Fans.

Die reißen die Arme hoch, machen die Arena, von oben betrachtet, zu einem Kornfeld im Wind, und Robbie muss nur noch ernten. Im Lauf des rund zweistündigen Konzerts wird er von Song zu Song entspannter und souveräner wirken, auf ganz merkwürdige Weise sogar jünger und frischer als zu Beginn. Und irgendwann erinnert Robbie Williams sogar wieder an Robbie Williams, wie man ihn in München kennt von seinen vergangenen, großartigen Konzerten.

Zum Beispiel gleich am Anfang, im November 1997, als er gerade mal 350 Zuschauer in den Kunstpark-Club Incognito zog. Damals gab kaum einer mehr einen Pfifferling auf den gefeuerten Hupfdohlerich der Boyband Take That, der kurz zuvor einen Zusammenbruch und eine Entziehungskur durchgemacht hatte. Aber dann rührte er selbst die Hämischen zu Gänsehaut und feuchten Augen mit der Ballade "Angels".

Ein Superstar war geboren. Einer, der sich fortan beim Superstar-Spielen zusehen ließ, eine Rolle, die er mit sympathischer Selbstironie gab - so gut, dass man stets das Gefühl hatte, eigentlich könnte dieser Typ einfach ein Kumpel von nebenan sein.

Das war 2001 so, als er sich - viel lässiger als jetzt im Stadion - in einem Raketenstuhl auf die Bühne der Olympiahalle katapultieren ließ. Schon damals begrüßte er 10 000 völlig Ausgerastete mit den Worten "Alles fit im Schritt?", die er heute noch strapaziert. Und 2003 gab er sich vollends dem Publikum hin und baumelte zum Auftakt seines Konzerts im Olympiastadion an den Beinen aufgehängt als Popheiland von der Bühne - ein Statement, das man ihm abnahm.

Bei aller Perfektion, mit der die Unterhaltungsmaschinerie Robbie schon immer schnurrte, schwang doch stets der Abgrund mit, das Irre, das exzessive Leben, das Robbie Williams stellvertretend für alle durchlitt. Aber die glatten, reißbrettartig berechnet anmutenden Songs des aktuellen Albums "Intensive Care" können die gewohnte Leidenschaft kaum entfesseln. Dafür ist der neue Robbie Williams jetzt nicht nur Weltmeister der Herzen, sondern auch im Billettverkauf. 1,6 Millionen Stück gingen an einem Tag für seine Welttournee weg.

Selbst Michael Jackson brachte es zu seinen besten Zeiten 1997 nur auf zwei Konzerte im Olympiastadion, statt wie Robbie auf drei hintereinander. Vom alten Robbie scheint vor allem die Perfektion geblieben. Die Gesten, die zotigen Gags, die direkte, spontan wirkende Ansprache einzelner Fans, mit denen er noch die Zuschauer auf den hintersten Plätzen charmiert und vom Sitz reißt, wirken routinierter, ja einstudierter als sonst.

Da bekommt ein gelungener Titel wie das Elvis gewidmete "Advertising Space" über den Niedergang des Popstars eine unheilvolle Selbstreferenz. Das ebenfalls an alte Inbrunst anknüpfende "Make me pure" schmettert Robbie im Duett mit seinem Busenfreund Jonathan Wilkes. "Sin, Sin, Sin" funktioniert wunderbar.

Ansonsten sind vor allem frühere Songs stark: "Strong" mit eingeblendetem Karaoke-Text, "Come Undone", sogar die feierlich inszenierte Take-That-Schnulze "Back for good". Natürlich ist Robbie Williams immer noch gut, und man muss ihn immer noch mögen. Aber er war schon viel besser als Qualitätsgarant im Mainstream.

Wie es weitergehen könnte, lässt der neue, wenig überzeugende Rap "Rudebox" ahnen, der im Zugabenteil, eingerahmt von "Let me entertain you" und dem Schlussknaller "Angels", kommt: Robbie singt in einem Trainingsanzug, dessen Logo schamlos bildschirmfüllend übertragen wird und zusätzlich über den Bühnenhintergrund läuft. Ein Ausverkauf wie bei Konkurrent Justin Timberlake, der seine Fans schon die Werbemelodie einer Fast-Food-Kette mitsingen lässt. Wenn die Wandlung dahin geht, wird aus dem Robbie bald Mr. Robert Peter Maximilian Williams. Dann ist man in Zukunft per Sie.

© SZ vom 03.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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