Biobranche in München:Kampf ums Korn

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Die Biobranche boomt, Lebensmittelketten mit Ökokost drängen auf den Münchner Markt. Doch wie lange noch? Einige Händler sprechen bereits von einem "aggressiven Verdrängungswettbewerb".

Christina Warta

Neben Orangen und Bananen plätschert ein kleiner Brunnen. Kekse und Schokolade sind auf bunten französischen Bistrotischen angerichtet. Und vorne, gleich beim Eingang, hängen am Schwarzen Brett Zettel, auf denen Wohnungen gesucht und Yogakurse angeboten werden. "Schmatz", ein Naturkostladen im Glockenbachviertel, ist ein ungewöhnlicher Biosupermarkt: individuell gestaltet, mit sorgfältig ausgewähltem Sortiment und handgeschriebenen Empfehlungen der Mitarbeiter.

Pionierin in der Bio-Branche: Sabine Pfaff, Chefin des Naturkostladens "Schmatz", hat bereits 1987 mit ihrem Bruder die regionale Kette "Vollcorner" gegründet. Heute zählt sie zu den Kleinen unter den Münchner Konkurrenten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Es ist der Markt von Inhaberin Sabine Pfaff, die sich selbst eine Pionierin in Sachen Biolebensmittel nennt. 1987 gründete sie gemeinsam mit ihrem Bruder Willi "Vollcorner" und führte einen Markt in der Maistraße. "Mit 80 Quadratmetern kam er mir damals riesig vor", sagt sie. Heute gelten solche Ladenflächen als nicht mehr überlebensfähig - zu klein. "Schmatz" in der Holzstraße hat eine Verkaufsfläche von 350 Quadratmetern.

Die Biolebensmittelbranche in der Stadt ist vielfältig: Es gibt unabhängige, inhabergeführte Märkte wie den von Sabine Pfaff, regionale Ketten wie "Vollcorner" und "Grüner Markt" und national agierende Unternehmen wie "Basic" oder "Alnatura". Noch scheint Platz genug zu sein für alle. Doch der Markt ist mehr und mehr umkämpft, die Methoden werden rauer. "Die Zeiten der exorbitanten zweistelligen Zuwachsraten sind vorbei", sagt Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands (HV) Bayern für den Einzelhandel.

Noch 2005 freute sich die Biobranche in Bayern über erstaunliche 15 Prozent Zuwachs, doch zuletzt hat sich das Wachstum laut Ohlmann deutlich verlangsamt. Hin und wieder treibt ein Lebensmittelskandal, etwa der Dioxinskandal Anfang des Jahres, die Wachstumsraten für einzelne Quartale noch einmal in zweistellige Höhen. Doch abgesehen von derlei Vorkommnissen hat sich die Situation normalisiert.

Laut Ohlmann hat sich die Wachstumsrate bei rund zwei Prozent eingependelt. Immerhin eine Steigerung, schließlich schrieb die Lebensmittelbranche 2010 rote Zahlen. In Bayern liegt der Anteil der Biolebensmittel an der Gesamtbranche bei vier bis fünf Prozent, der Bio-Umsatz wird auf mehr als eine Milliarde Euro für 2011 geschätzt.

Kein Wunder also, dass auch in München und dem Umland noch immer neue Biokostläden eröffnen. Auch neue Ketten haben die gesundheitsbewussten, ökologisch denkenden Münchner als Kunden entdeckt. Das Unternehmen "Denn's" mit 60 Märkten in Deutschland und Österreich verkauft seine Produkte neuerdings auch in der Hopfenpost und im Gewerbegebiet Brunnthal. Und "Alnatura", das in ganz Deutschland 65 Filialen betreibt, drängt auch in München massiv auf den Markt.

Seit 2008 wurden sieben Filialen in München und dem Umland eröffnet. Die Mitarbeiter in den großzügigen, schick designten Läden tragen knallgrüne Schürzen, in den Regalen stehen Wildkaffeebohnen, Dinkelmehl und handgemachte Pasta. "Die Münchner sind sehr bio-affin", sagt Stefanie Neumann, Sprecherin von "Alnatura", "der Markt ist sehr interessant für uns." 16 Prozent Wachstum konnte die Firma im vergangenen Geschäftsjahr laut eigenen Angaben verzeichnen, weswegen man sich auch noch weitere Filialen in der Stadt vorstellen kann. "Unsere Expansionsleute sind laufend in der Stadt unterwegs", so Neumann, "auf der Suche nach weitere Ladenlokalen."

Das hat die eingesessene Konkurrenz bereits deutlich zu spüren bekommen. Ein Geschäft hat die Abteilung Expansion von "Alnatura" vor zwei Jahren in der Weißenburger Straße gefunden - nur ein paar hundert Meter entfernt von einer schon länger bestehenden Filiale des "Grünen Markts". Nach Jahren, vermutlich sogar Jahrzehnten, in denen in der hiesigen Biobranche eine Art Nichtangriffspakt galt, mischt nun der Branchenriese aus Hessen die Szene gehörig auf. Beim direkt betroffenen "Grünen Markt", der in München drei Filialen betreibt, will man sich zu diesem Thema dennoch nur zurückhaltend äußern. "Man spürt es natürlich, wenn solche Sachen passieren", sagt Martina Künstler vom Marketing, und: "Wir verfolgen unsere Philosophie, andere machen viel über den Preis."

Willi Pfaff dagegen, Chef von neun "Vollcorner"-Filialen, die knapp 20 Millionen Umsatz machen und rund 170 Mitarbeiter beschäftigen, findet deutlichere Worte: "Das ist in meinen Augen grenzwertig und unsportlich", sagt Pfaff über die "Alnatura"-Expansion. Er habe nichts gegen Konkurrenz, sagt Pfaff. "Ich bin vor 25 Jahren angetreten, Bio in die Welt zu tragen. Also darf ich mich heute auch nicht beschweren, wenn neue Biomärkte eröffnen." Ein Mindestabstand zu bestehenden Läden gehöre bei einer Neueröffnung aber zum guten Ton, findet er. Stefanie Neumann dagegen sagt: "Wir können es uns nicht aussuchen, wo die Läden liegen. Wir versuchen dann ein Nebeneinander."

Stephan Paulke, Vorstandschef der Basic AG, sieht das anders: "Hier findet ein Verdrängungswettbewerb statt, den man aggressiv nennen muss", sagt er - und meint damit nicht nur den räumlichen Aspekt, sondern auch das Gerangel um qualifizierte Mitarbeiter. "Wir haben einige Abgänge hinnehmen müssen", so Paulke. "Basic" betreibt sieben Märkte in München, weitere 17 im Bundesgebiet und zwei in Österreich. Obwohl das Münchner Unternehmen ebenfalls bundesweit agiert, sieht sich Paulke nicht in derselben Liga wie "Alnatura". "Wir sind im Vergleich dazu ein Mittelständler, unser Umsatz liegt mit 100 Millionen Euro gerade bei einem Viertel des Konkurrenten." Deshalb handle es sich für Paulke nicht mehr um ein Wetteifern einzelner Bioläden, sondern um einen Kampf der Systeme. "Das hat eine völlig neue Dimension erreicht."

Vermutlich könnte man auch sagen: Die Regeln des Marktes gelten nun eben auch in der Biosupermarktbranche. Nach vielen Schlaraffen-Jahren, in denen einerseits die Nachfrage nach den Produkten stieg, andererseits die Sättigung mit Märkten noch nicht erreicht war, kehrt sich die Situation um: Die Nachfrage steigt nicht mehr ganz so stark, gleichzeitig existieren überall im Stadtgebiet Biomärkte. "Die Normalität des Marktgeschehens hält Einzug in der Biobranche", sagt Paulke.

Jeder muss nun selbst zusehen, dass er sich für den Konkurrenzkampf rüstet. "Wir wollen unseren Kunden die natürlichste Qualität liefern", sagt Grüner-Markt-Sprecherin Künstler. "Wir wollen unserer Netz regionaler Lieferanten stärken", sagt Pfaff von "Vollcorner", möglicherweise wachse man auch weiter. "Wir wachsen gerne, aber wenn nicht, dann muss es auch nicht sein."

Auch bei "Basic" stemmt man sich gegen die wachsende Konkurrenz. Nach einer Sanierungsphase, in der die Münchner Kette zwei Jahre lang keine Filiale eröffnet und den Umsatz auf den bestehenden Flächen gesteigert hat, ist man nun auf eine Geschäftsidee verfallen, die auch andere schon verfolgen: den Verkauf eigener Produkte in den Regalen anderer Märkte. "Basic"-Oliven und anderes finden sich neuerdings auch in den Regalen von Tengelmann. "Mit diesem neuen Vorgehen wollen wir uns dem Wettbewerbsdruck stellen", sagt Paulke.

Nichtsdestotrotz glaubt der "Basic"-Chef, dass der verschärfte Konkurrenzkampf schon bald erste Opfer fordern wird. "Die Gefahr besteht akut, dass andere keine Zukunft mehr haben", sagt Paulke, "und das wird primär zu Lasten der Verwundbarsten gehen." Um nicht zu jenen zu gehören, wird auch "Basic" weiter vorsichtig expandieren.

Im kommenden Jahr soll in der Müllerstraße eine neue Filiale eröffnen - nicht allzu weit entfernt übrigens von Sabine Pfaffs "Schmatz". Die allerdings erwartet die neue Konkurrenz entspannt. Das Viertel sei super, ihr Standort auch, ihre Kunden treu. "Ich bin zuversichtlich, dass wir uns behaupten", sagt die Inhaberin. "Ich kann als einzelner Markt auch viel besser auf die Wünsche der Kunden reagieren. Im Übrigen sind Produkte eines Filialsystems nicht unbedingt billiger als die eines unabhängigen Marktes."

Wer sich am Ende tatsächlich durchsetzen wird, muss sich noch herausstellen. Auch "Alnatura"-Sprecherin Stefanie Neumann ist jedenfalls zuversichtlich: "In München werden noch einige Märkte Platz haben."

© SZ vom 19.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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