Bildungsstreik in München:Bildung unter Quarantäne

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Kreativer Protest: Mit symbolischen Aktionen wie der Absperrung eines Gymnasiums wollen Schüler und Studenten Politiker wachrütteln.

C. Rost und M. Thurau

Ein wenig verlieren sich die Zelte auf dem Geschwister-Scholl-Platz. Knapp 20 sind es, samt Grill und Kochstelle stehen sie unweit des Brunnens. Doch dass dieses "Bildungscamp" vielleicht den Charme einer alternativen Sommeruni haben könnte, vereiteln der bewölkte Himmel und Regenschauer an diesem Montag.

Die Proteste gegen die Studiengebühren reißen nicht ab, doch Schüler und Studenten im "Camp" vor der Universität sehen auch andere Gründe für eine Bildungsmisere. (Foto: Foto: Schellnegger)

Die Schüler und Studenten machen vor dem Haupteingang der Münchner Universität (LMU) mit Infoständen, Workshops und Referaten auf die aus ihrer Sicht anhaltende Misere im Bildungsbereich aufmerksam. Bundesweit gehen sie in dieser Woche auf die Straße, um ihren Forderungen nach mehr Bildungsgerechtigkeit und besseren Lernbedingungen Ausdruck zu verleihen. Auch in München ist kreativer Protest geplant: Eine Großdemonstration und symbolische Banküberfälle gehören dazu.

An diesem Dienstag ist das städtische Willi-Graf-Gymnasium am Scheidplatz Ziel des Schülerprotests. Die Schule wird schon früh am Morgen von in Seuchenschutzanzügen gekleideten Gestalten gesperrt, die zudem Atemschutzmasken tragen, weil "Schule krank macht", wie Fabian Bennewitz von der Schülerinitiative sagt.

Das auf acht Jahre verkürzte Gymnasium, das G8, erzeuge mit seiner Stofffülle und dem Prüfungsdruck "Angst und Schweißausbrüche bei den Schülern". Das Willi-Graf-Gymnasium wird deshalb mit einem rot-weißen Flatterband als Gefahrenzone abgesperrt und unter Quarantäne gestellt. Nicht wenige Lehrer werden die Aktion gutheißen, ist sich Bennewitz sicher. "Die meisten Lehrer unterstützen uns, weil auch sie durch das G8 unter einem unglaublichen Druck stehen."

Das umstrittene G8 ist allerdings längst nicht der einzige Kritikpunkt der Schülerschaft am Bildungssystem. Es geht um das System insgesamt, und in Bayern vor allem um die Dreigliedrigkeit, die abgeschafft gehöre, wie es die Organisatoren der Protestwoche fordern. Die Hauptschule bleibe als ständiger Verlierer zurück. Aber auch für mehr Mitbestimmung treten die Schüler ein, die Schulen sollten "demokratischer" werden, lautet eine weitere Forderung.

Für die Studenten bleiben auch nach dem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes die Studiengebühren ein zentrales Thema der Proteste. Zwar hätten die Richter, sagt Studentensprecher Malte Pennekamp, die Gebühren wie erwartet für verfassungsgemäß erklärt, aber das ändere an der Sachlage nichts: Die 500 Euro pro Semester verschärften die soziale Auslese. Immer drängender sehen die Studenten auch die Probleme mit dem Radikalumbau der Lehre an den Hochschulen. Alle bayerischen Universitäten seien "überfordert" damit.

Das System der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge gehöre in der jetzigen Form abgeschafft. Die Studenten wenden sich gegen Verschulung, Schmalspur-Ausbildung und "Dauerüberprüfung". Niemand bezweifle, so Pennekamp, dass noch einmal eine große Reform der Reform folgen müsse. Gleichzeitig fordern auch die Studenten eine "Demokratisierung des Bildungssystems" und eine "Verbesserung der Lern- und Lehrbedingungen".

Am morgigen Mittwoch wollen Schüler und Studenten darum gemeinsam auf die Straße gehen. Die Demonstration beginnt um 9Uhr mit einer Kundgebung am Geschwister-Scholl-Platz und führt über Leopold-, Franz-Joseph- und Arcisstraße bis zum Königsplatz, Stachus und schließlich zum Wittelsbacher Platz.

5000 Teilnehmer erhofft sich Pennekamp mindestens, "aber nach oben hin ist alles offen". Schülervertreter Bennewitz rechnet sogar mit allein 5000 Schülern, die zur Demo kommen werden. "Die Resonanz an den Schulen ist sehr groß." Nach den Ferien habe sich eine Eigendynamik entwickelt, an vielen Schulen gebe es sogar eigene Streikkomitees. Dass das Kultusministerium erklärt hat, die Demonstration sei "nicht schulkonform", stört Bennewitz nicht - und er rät auch anderen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

"Letztlich entscheiden die Direktoren, ob sie unentschuldigt fehlenden Schülern Verweise geben", sagt Bennewitz. Viele Jugendliche seien aber bereit, dies in Kauf zu nehmen. "Das zeigt, wie schlecht unser Bildungssystem ist."

Für den Donnerstag ist wie in anderen Städten auch ein symbolischer Banküberfall geplant, für den sich wie bei einem Flashmob die Teilnehmer vor den Bankschaltern sammeln.

© SZ vom 16.06.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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