Biergärten:Freiheit, Gleichheit, Bierseligkeit

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Die Münchnerstadt ist zwar schon hübsch ausmöbliert mit Brunnen, Standbildern und sonstigen Denkmälern, aber ein Monument fehlt nach wie vor.

Von Hermann Unterstöger

Es müsste zwei Männer zeigen, einen feineren und einen gröberen, die nebeneinander an einem Tisch sitzen, am besten auf einer rustikalen Bank, und gemeinsam etwas verzehren beziehungsweise mit ihren Krügen anstoßen; hinter ihnen könnte sich die Andeutung eines Kastanienbaumes erheben.

(Foto: Foto: Liebscher)

Wenn Touristen oder auch Einheimische daran vorbeiflanierten und deren Kinder fragten, was "das da" darstelle, dann müsste der Vater zu folgender Erklärung ansetzen: "Das da" seien der berühmte, ja legendäre und jedenfalls sprichwörtliche Maurer und Ministerialrat, die beide ihren Backsteinkäs aus dem Papierl äßen und so den Beweis erbrächten, dass die Münchner Biergärten eine zutiefst demokratische Institution sind. Und die Kinder würden einander mit der ganzen Skepsis ihrer jungen Jahre anschauen und bei sich denken, dass die Alten nun auch allmählich ziemlich seltsam werden. Außerdem hätten sie keine Ahnung, was ein Backsteinkäs ist.

Die Philosophie des Baumelns

Das mit dem Maurer und Ministerialrat ist die bekannteste Ausbuchtung der Biergartenlehre ins Soziologische. Ansonsten beschränkt sie sich ja mehr auf die Binnenwerte des Biergartens, die dort herrschenden Gefühle und ähnliche Imponderabilien, und in der Tat, wenn es in München je eine Seelensache gegeben hat, dann den Biergarten. Die zeitgenössische Erholungs- alias Relax-Philosophie führt einen Terminus von großer Scheußlichkeit, der aber nichtsdestoweniger überaus beliebt ist: "die Seele baumeln lassen".

Die Hässlichkeit dieses Begriffs soll uns hier nicht weiter kratzen, wohl aber die Frage, ob Münchner Seelen baumeln, generell und vor allem im Biergarten. Bei der offenkundigen Metaphorik der Sache kann man natürlich keine eindeutige, beweisbare Auskunft geben. Es lässt sich jedoch die Vermutung vertreten, dass die Seelen in einer gewissen Analogie zu den Körpern stehen und dass demzufolge Münchner Biergartenseelen - klassische jedenfalls - nicht zum Baumeln neigen. Sie ruhen in sich.

Nichts wäre nun verfehlter als der Schluss, in sich ruhende Seelen seien der Lethargie und Ödnis verfallen. Sicher wird man auch solche finden, wenngleich schwer, weil in sich ruhende Seelen naturgemäß kaum voneinander zu unterscheiden sind, um wie viel weniger ihre Wesensbeschaffenheit.

Man darf aber davon ausgehen, dass Seelen, die in Münchner Biergartenkörpern stecken, weder lethargisch sind noch öde, sondern das vielfältigste Eigenleben entwickeln. Warum sich das so verhält, ist leicht zu erklären. Um beim Körper zu beginnen, so ahnt dieser im Biergarten aufs Deutlichste, dass er seiner alltäglichen Beschränktheit, um nicht zu sagen Misere, enthoben ist.

Er fühlt sich, da mag die Bank noch so hart sein, wie auf Wolken, und es fehlt wenig, dass er mit Schillers Jungfrau von Orleans ausriefe: "Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide", wobei mit dem Panzer jede Art von Leibeshülle gemeint sein könnte, von der eigenen Schwarte bis hin zur Lederhose oder zum Lodenanzug. Wo Körper so gestimmt sind, entwickeln sie nicht nur eine Resonanz nach außen, sondern auch nach innen.

Mag es auch üblicherweise so sein, dass sich der Körper schwingungsmäßig nach der Seele richtet, so sei für Münchner eines ganz bestimmten Typs die These aufgestellt, dass die Seele erst dann ihre Flügel auszubreiten im Stande ist, wenn's dem Körper kommod ist. So gesehen wären manche Münchner echte Leib-Geist-Wesen, weil der Zustand des Leibs den der Seele bestimmt.

Wem diese Theorie zu eng vorkommt, dem sei gerne zugestanden, dass wir, um den Typus herauszuarbeiten, die in der Wirklichkeit vorkommenden Varietäten etwas vernachlässigt haben. Oben wurde schon angedeutet, dass es Biergartenseelen gibt, die nicht nur nicht baumeln, sondern in denen sich absolut nichts ereignet, obwohl die sie umhüllenden Körper alle Annehmlichkeiten des Biergartens - Bier, Brotzeit, Abendluft, Nähe, Grillrauch, Stimmengewirr - in sich aufnehmen.

Seelen wie Besenstiele

Ohne dem Fremdenhass Vorschub leisten zu wollen, sei konstatiert, dass solche bedauernswerten Seelen auch bei Gästen und Zugereisten vorkommen. Das scheint eine Frage der Konstitution zu sein, so wie es halt auch Holz gibt, das schlecht schwingt und deswegen für den Geigenbau nicht hergenommen wird. Vielleicht kann man daraus aber recht solide Besenstiele herstellen, was auf biergartenresistente Seelen übertragen heißen würde, dass sie in Managern oder Studiendirektoren möglicherweise eine ganz gute Figur machen.

Wir dürfen uns übrigens von der Aversion gegen den Begriff "die Seele baumeln lassen" nicht verführen lassen, dieses Baumeln als solches rundweg abzustreiten. Das widerspräche zum einen der wissenschaftlichen Redlichkeit, soweit im Zusammenhang mit unserem Sujet davon überhaupt die Rede sein kann, zum anderem dem Geist des Biergartens, der ein Geist der Toleranz ist oder jedenfalls sein sollte.

Zwar hat, solange es Biergärten gibt, noch keiner einen Ministerialrat neben einem Maurer sitzen sehen. Bei einer entsprechenden Versuchsanordnung könnte man aber fünf Maß Helles drauf verwetten, dass sich sowohl der Ministerialrat als auch der Maurer tadellos benehmen und ihrer wechselseitigen Duldung höchstens dadurch ironische Lichtlein aufsetzen würden, dass sie in ihren Herzen "Prolet, gstinkerter!" oder "Aff, überspannter!" vor sich hinflüsterten. Nach außen jedoch würden sie einander selbstlos den Backsteinkäs zuschieben und dem jeweils anderen dazu gratulieren, dass Gott in seiner Güte das Schlechtwettergeld und die Ministerialzulage erfunden hat.

Nicht dass wir jetzt behaupten wollten, diese beiden Herren ließen ihre Seelen baumeln - das nun wirklich nicht! Wenn davon überhaupt die Rede sein kann, dann wohl am ehesten bei jenen Mädchen und jungen Frauen, die in den Münchner Biergärten längst die Herrschaft übernommen haben und im Umgang mit Maßkrügen, Steckerlfischen und Männern eine Souveränität an den Tag legen, dass diesen - den Männern, nicht den Fischen - die Augen übergehen.

So wenig wie den Fremdenhass wollen wir die Frauenfeindschaft pflegen, und insofern bitten wir um das rechte Verständnis für die nun folgende Beobachtung. Die meisten dieser Mädchen und jungen Frauen verfügen über eine wenn schon nicht gerade baumelnde, so doch jedenfalls schwingende Leiblichkeit, ihre Körpersprache ist die der Glocken, und wenn sie durch die Tischreihen schweben, klingt bei den Männern ein Ton an, den ein Brathendl nie und nimmer hervorrufen würde. Dass die Seelen, die in derlei begnadeten Körpern wohnen, ähnlich begnadet zu baumeln wissen, darf als ausgemacht gelten.

König der Freibeuter

Wir haben am Anfang kurz die Soziologie ins Spiel gebracht. Langzeitstudien raten indessen von dem Begriff Demokratie ab. Was sollte auch eine Volksherrschaft im Hirschgarten oder am Chinesischen Turm? Ein Biergartenparlament wählen? Es scheint vielmehr so zu sein, dass sich in funktionierenden Biergärten so etwas wie Hierarchien herausbilden - nicht eine, sondern ein ganzes Geflecht von Hierarchien, die teils zusammenspielen, teils gegeneinander bestehen, sich durchdringen und überschneiden.

Um uns nicht den Zugang zu einem der hiesigen Gärten zu verscherzen, konstruieren wir ein beliebiges, aber in der Praxis jederzeit belegbares Beispiel, das wir, wenn es nicht zu kindisch wäre, "Bummerlgarten" nennen könnten oder "Japanische Pagode". An Hierarchien fänden wir darin: die Oligarchie der Stammtischler; die Plutokratie der Banker, die erst um 21 Uhr einfallen und die schrägsten Vögel mitführen; das Personal, das Kleptokratie zu nennen wir uns aus Mangel an Bosheit und aus besserem Wissen verkneifen; Freibeuter jeden Kalibers und so fort.

Wer es nun schaffte, von den Stammtischlern geduldet zu sein, bei den Bankern jemanden zu kennen, über den Schankkellner etwas zu wissen, den Freibeutern durch Frechheit zu imponieren und so fort: Der säße im Schnittpunkt der Hierarchien und wäre fast so etwas wie ein König - wenn es denn im Biergarten Könige gäbe. Bekanntlich gibt es dort aber hauptsächlich Ministerialräte und Maurer.

© münchen erleben, 23.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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