Betreuung von Suizidgefährdeten:Der letzte Halt

Lesezeit: 4 min

"Was macht überhaupt noch Sinn?" Tobias Klein wollte sich aus Verzweiflung das Leben nehmen. Hilfe fand er bei der "Arche".

Monika Maier-Albang

Fünfzehn Jahre lang hat er gekämpft, sagt Tobias Klein. Hat gemeinsam mit seiner Frau versucht, den Schuldenberg abzutragen. Zwei Immobilien hatte das Ehepaar gekauft, als Wertanlage und zur Vorsorge fürs Alter, in einem schönen Dorf mit Wellnessbad und Skilift.

Wenn das Leben keinen Sinn mehr hat: 1400 Menschen in einer akuten Krise suchen jedes Jahr die Arche auf. (Foto: Foto: dpa)

Aber rasch stellte sich heraus: Keiner wollte in dem Viertel wohnen, verrufen sei es im Dorf, sagt Klein - nur wusste er als Münchner das nicht. Die Bank, der Makler, "die haben uns auflaufen lassen". Trotzdem hat er, so sagt er selbst, "diszipliniert weitergearbeitet", sparte an allem bis auf den Urlaub jedes zweite Jahr.

Wenn sie gar nicht mehr wegfahren könnten, würde ihnen die Kraft ausgehen, hatten Tobias Klein ( Name von der Reaktion geändert) und seine Frau befürchtet. Dann wurde Klein krank, verlor seine Arbeit, musste seine Wohnung zwangsverkaufen. Kontopfändung. Und auf einmal war es so weit, dass er nicht mehr ein noch aus wusste. "Totaler Erschöpfungszustand", sagt der 50-Jährige. Tinnitus, "destruktive Gedanken", eine Autofahrt, bei der er "fast das Bewusstsein verlor".

Er ist in der Lebensmitte, alle Bekannten haben Familie, ein Haus, machen tolle Reisen. Und in seinem Kopf drehte sich nur die Frage: "Was macht überhaupt noch Sinn?"

Schließlich war es eine Frau, die ihm riet, sich professionelle Hilfe in der Arche zu holen, einer Beratungsstelle, die Menschen in Lebenskrisen auffangen will - und verhindern, dass sie sich das Leben nehmen. Wenige Tage nach seinem Anruf bekam Klein einen Termin. "Herzlich und professionell" sei er aufgenommen worden und er habe von Anfang an das Gefühl gehabt: "Die verstehen, wie es in meiner Seele aussieht und was sich in meinen Gedanken abspielt."

Wende nach ein paar Gesprächen

1400 Menschen in einer akuten Krise suchen jedes Jahr die Arche auf. Die meisten leiden nicht an einer schweren psychiatrischen Störung, sondern verzweifeln an ihrer Lebenssituation, an einer Trennung, einer Krankheit, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder auch "nur" an schlechten Noten.

Manche haben konkrete Suizidgedanken, andere verspüren eine nicht minder gefährliche Sehnsucht nach einer "Lebenspause", wie der Geschäftsführer der Arche, Hans Doll, es ausdrückt. Einige haben bereits einen Suizidversuch hinter sich, der gleichsam ein Hilfeschrei war.

In der Arche, die in schönen Altbauräumen in Schwabing untergebracht ist, kümmert sich ein Team aus Psychologen, Sozialpädagogen, Juristen und Ärzten um diese Menschen. Sie bieten so rasch es geht einen Gesprächstermin an und sondieren, welche weiterführende Hilfe die richtige ist: der Gang zum Therapeuten, in eine Selbsthilfegruppe, eine psychosomatische Klinik, zum Schuldner- oder Eheberater.

Eine erste, rasche Krisenintervention will die Arche bieten. Und Tobias Klein war überrascht, dass "schon ein paar Gespräche" eine Wende bringen können. Dreimal war er in der Arche - inzwischen sind die dunklen Gedanken gewichen.

Nicht immer aber finden Betroffene rechtzeitig den Weg zu den Beratern, und nicht jeden können die Helfer retten. In München sterben pro Jahr rund 200 Menschen durch Suizid. Die Zahl sinkt erfreulicherweise seit Jahren - Experten vermuten, dass der Ausbau der Beratungsangebote dazu beigetragen hat; aber auch die Zurückhaltung der Medien, die seit Jahren nicht mehr berichten, wenn ein Lebensmüder sich vor die Bahn wirft oder vom Dach stürzt. "Wir haben seitdem deutlich weniger Nachahmungstäter", sagt Doll.

Die tatsächliche Zahl der Menschen, die sich das Leben nehmen, liegt, so schätzen die Fachleute, zwischen zehn bis 40 Prozent höher als die Statistik offenbart. Oft lässt ein Suizid sich nicht mit Sicherheit nachweisen, etwa bei einem Verkehrstoten, der gegen einen Baum gefahren ist, bei einem Drogenabhängigen, der sich den goldenen Schuss absichtlich gesetzt hat. Und auch bei älteren Menschen ist manchmal nicht zu klären, ob sie ihre Medikamente versehentlich oder aus Berechnung zu hoch dosiert oder abgesetzt haben.

Bei Männern endet der Suizidversuch deutlich öfter tödlich als bei Frauen. Was vermutlich zum einen "an der Wahl der Mittel liegt", wie Doll erklärt. Männer wählen eher die "harten Methoden", greifen zur Pistole oder zum Strick. Frauen nehmen Tabletten - da stirbt man nicht sofort und es besteht die Möglichkeit, dass der Lebensmüde noch rechtzeitig gefunden wird.

Als die Arche 1969 gegründet wurde, gab es das Netz von Hilfsangeboten nicht, das Betroffenen heute zur Verfügung steht: Telefonseelsorge, Krisendienst, die psychiatrischen Abteilungen in verschiedenen Krankenhäusern. Eine Gruppe aus Psychotherapeuten, Ärzten, einem Rechtsanwalt, dem damaligen Direktor der Münchner Volkshochschule und dem Chef der Toxikologie des Klinikums Rechts der Isar, Max von Clarmann, hatte die Versorgungslücke erkannt.

Immer wieder waren in die Klinik Patienten eingeliefert worden, denen der Magen ausgepumpt werden musste. Man holte sie ins Leben zurück, doch nach wenigen Wochen wurden sie erneut eingeliefert. Für die Arche-Gründer stand fest: Eine medizinische Versorgung allein reicht nicht, es bedarf einer Beratung und Begleitung.

"Hätte ich anders reagieren sollen?"

Heute wenden sich an die Beratungsstelle häufig auch Menschen, die in Sorge sind um einen Bekannten oder Verwandten. Sie wollen wissen, wie man am besten reagiert, wenn jemand mit Suizid droht. "Das Thema offen ansprechen", rät Doll. Und dem Betroffenen so helfen, dass er den Weg in die Beratung geht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Hilfe für Hinterbliebene, die von Schuldgefühlen geplagt werden und sich martern mit Fragen wie: "Hätte ich anders reagieren sollen? Habe ich etwas übersehen?" Für sie bietet die Arche Trauerseminare und geleitete Selbsthilfegruppen an.

In München sei man heute gut gerüstet, findet Doll. Dennoch sieht er Verbesserungsbedarf: Die nächtliche Rufbereitschaft etwa im Atriumhaus sollte ausgebaut werden, empfiehlt er. Hilfreich wäre zudem eine Art "Krisenwohnung", ein Schutzraum, in den Betroffene sich für einige Tage zurückziehen könnten.

Tobias Klein will demnächst eine Therapie beginnen - und zur Schuldnerberatung gehen. Bislang hatte er, der sich als "Kämpfernatur" bezeichnet, sich dazu nicht überwinden können. Die Beratung, sagt er, habe ihm sein Selbstwertgefühl zurückgegeben, "den Glauben an mich selbst". Und sie habe den Blick geschärft für die kleinen schönen Dinge des Lebens: gemeinsam daheim Pasta kochen, einen Spaziergang genießen. "Ich bin hier rausgegangen mit dem Gefühl: Jeder Tag ist eine neue Chance."

Die Arche in der Viktoriastraße 9 ist zu erreichen über Telefon 334041 oder www.die-arche.de

© SZ vom 04.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: