Betreuung:Der Kampf der Krokodile

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Vor einem Jahr haben Marie-Antonie (links) und Xenia Seidel die Lernkrokodile ins Leben gerufen, um Grundschülern ehrenamtlich zu helfen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe, die auch Hortkinder besuchen? Das sei gegen das Gesetz, sagt die Stadt

Von Melanie Staudinger

Am Anfang war es nur ein Gefühl der Verwunderung. Eine Verwunderung darüber, wie viele Kinder es doch gibt, denen daheim niemand richtig bei den Hausaufgaben helfen kann. Die eigentlich klug wären und gute Noten schreiben könnten, wenn sie nur ein bisschen mehr Unterstützung bekommen würden. Oft haben sich die Schwägerinnen Xenia und Marie-Antonie Seidel über diese Ungerechtigkeit unterhalten. Dann haben sie beschlossen, etwas zu tun. Die Frauen gründeten die Lernkrokodile und bieten an der Grundschule an der Fröttmaninger Straße eine Hausaufgabenbetreuung an. Die Lehrer schlagen die Schüler vor, die besonders gefördert werden sollen. Diese kommen täglich für eine Stunde zu den Lernkrokodilen, machen dort ihre Hausaufgaben, üben lesen und rechnen.

Seit Kurzem aber ist die Gruppe ziemlich geschrumpft. Die Hortkinder dürfen an dem kostenlosen Programm nicht mehr teilnehmen. Die Stadt als Trägerin des Hortes hat die Eltern vor die Wahl gestellt: entweder Hort oder Lernkrokodile. Beides gleichzeitig geht nicht. Das wäre ein Verstoß gegen die Buchungszeiten, argumentiert das Bildungsreferat. In zahlreichen Schreiben an die Stadt versuchen die beiden Schwägerinnen, das Bildungsreferat zu einem Umdenken zu bewegen. Vergeblich. Nun besuchen nur noch Kinder die Hausaufgabenbetreuung, die sonst am Nachmittag zu Hause sind.

Xenia und Marie-Antonie Seidel schütteln oft den Kopf, wenn sie ihre Geschichte erzählen. "Blauäugig wie wir waren, dachten wir, Hilfe sei erwünscht", sagt Marie-Antonie Seidel. Mittlerweile aber ist das Team der Lernkrokodile ernüchtert. Dabei hatte alles so gut angefangen, wie die beiden Schwägerinnen berichten. Im November 2015 startete die spendenfinanzierte Hausaufgabenbetreuung mit zwölf Kindern, acht von ihnen besuchten den Hort an der Schule. Zwei festangestellte Frauen und ein paar Freiwillige, von Schülern bis Senioren ist jede Altersstufe vertreten, kümmerten sich um die Kinder. "Das Feedback der Lehrer war sehr gut", sagt Xenia Seidel. Die Schüler hätten an Selbstvertrauen gewonnen, ihre Leistungen verbessert - und sie hätten die Hausaufgabenbetreuung gerne besucht.

Kurz vor Ostern dieses Jahres jedoch erhielten eben die acht Familien, deren Kinder den Hort besuchen, eine Nachricht von der Stadt. Die Angebote von Hort und Hausaufgabenbetreuung seien unvereinbar, die Eltern müssten sich entscheiden, hieß es darin. "Uns wurde gesagt, dass es gegen die Buchungszeiten verstoße und den Ablauf störe, wenn acht von 120 Kindern eine Stunde lang fehlten", sagt Maire-Antonie Seidel. Die Folge: Die Familien meldeten ihre Kinder von der Hausaufgabenbetreuung wieder ab, schließlich sind sie auf einen Ganztagsplatz angewiesen. Nun begann eine Odyssee für die Organisatorinnen der Lernkrokodile, deren Gruppe ziemlich zusammengeschrumpft war. Ohne Gegenwehr wollten sie nicht aufgeben. Sie sprachen mit der Schule und mit dem Bildungsreferat. Sie wälzten die Vorschriften des Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes (BayKiBiG). Und sie schrieben Briefe - an die zuständige Regionalleitung München-Nord, an den früheren Stadtschulrat Rainer Schweppe, der gleich gar nicht antwortete, und an seine Nachfolgerin Beatrix Zurek (SPD).

Diese immerhin stellte sich dem Problem, lehnte eine Kooperation aber ebenfalls in zwei Schreiben ab. Sie schätze das ehrenamtliche Engagement sehr, so Zurek. Es sei aber nicht in Einklang zu bringen mit dem Angebot des Hortes. Zum einen sei es gesetzlich vorgeschrieben, dass die Kinder zur gebuchten Zeit in der städtischen Einrichtung anwesend sein müssten, weil sonst die staatlichen Zuschüsse entfielen. Während die Kinder in der Hausaufgabenbetreuung seien, stünden ihre Plätze leer, das Personal müsse aber dennoch vorgehalten werden. Außerdem unterhalte der Hort selbst eine Hausaufgabenbetreuung, "ein hochwertiges und gut geeignetes Angebot zur Förderung der Kinder", wie Zurek schreibt.

Genau das bezweifeln Xenia und Marie-Antonie Seidel. Im Hort, so argumentieren sie, gebe es viel zu wenig Personal, um allen Kindern bei den Aufgaben zu helfen. Bei ihnen hingegen betreue ein Mitarbeiter höchstens zwei bis drei Kinder. Mit diesem Argument sind die Lernkrokodile bisher allerdings nicht durchgedrungen. Sie haben sich mittlerweile Unterstützung des Juristen Peter Schlicht geholt, ehemaliger Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht. Seine Ansicht: Wäre ein Wille da, ließen sich Hausaufgabenbetreuung und Hort sehr wohl vereinbaren - auch aus gesetzlicher Sicht. Diesen Vorwurf wiederum weist das Bildungsreferat zurück. "Uns geht es hauptsächlich um die Aufsichtspflicht und die Förderrichtlinien", sagt eine Sprecherin. Vorerst werden daher weiter nur die Kinder die Lernkrokodile besuchen können, die keinen Platz im Hort haben.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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