Beteiligung:Neue Chance zum Dialog

Lesezeit: 3 min

Nüchterne Atmosphäre in der Turnhalle: eine Bürgerversammlung für Trudering-Riem im vergangenen Jahr. (Foto: Florian Peljak)

Bürgerversammlungen sind häufig dröge Veranstaltungen. Im Stadtrat suchen Politiker nun nach besseren Konzepten

Von Heiner Effern und Thomas Kronewiter

Eine Turnhalle irgendwo in München, viele der Stühle sind unbesetzt. Zuerst der Bericht über die Lage der Kommune, dann über die Leistungen des örtlichen Bezirksausschusses, dann über die Sicherheit im Viertel. Es folgen viele kleinteilige Anträge von Bürgern. Daran schließen viele kleinteilige Antworten der Verwaltung an. Irgendwann danach wird abgestimmt, so mancher weiß gar nicht mehr, welche Antwort zu welchem Antrag erfolgt ist. Am Ende gehen viele Besucher gelangweilt oder frustriert nach Hause.

Eine Turnhalle irgendwo in München, brechend voll. 42 Wortmeldungen, nahezu vier Stunden aufgeregte Debatte. Einzig und allein die geplante Verlegung einer Buslinie in eine Straße mit einer Schule und einem Kindergarten beherrscht den Abend, den die Eltern gekapert haben. Der Oberbürgermeister motiviert die Redner irgendwann, ihre Beiträge abzukürzen. Die Eltern gehen aufgeregt nach Hause, erst Monate danach folgt ein Kompromiss.

Einem frustrierten Bürger hat es in einer dieser Bürgerversammlungen diesen Sommer gereicht. Er stellte den Antrag, dieses Format zu modernisieren und in eine neue digitale Zeit zu überführen. Die Antwort der Verwaltung folgt nun auf fünf Seiten, sie enthält an Vorschlägen für bessere Bürgerversammlungen: keinen.

An diesem Mittwoch berät der Stadtrat die Vorlage der Verwaltung, deren inhaltliche Auseinandersetzung mit den Bürgerversammlungen sich auf das Aufzählen von Paragrafen und Geschäftsordnungen beschränkt. Es zeichnet sich ab, dass sich viele Stadträte damit nicht zufriedengeben werden. "Dass dieses Format an die Grenzen stößt, ist doch offensichtlich", ärgert sich Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Wolfgang Ranft von der FDP findet die "relativ drögen Veranstaltungen" ebenfalls unbefriedigend. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Für die CSU kündigt Sabine Bär an, in Kürze eine Initiative zu starten, um Bürgerversammlungen wieder attraktiver zu machen. Und auch die SPD reibe sich an dem "starren Konzept", sagt Stadträtin Bettina Messinger.

Die Bürger müssten wieder mehr in den Mittelpunkt der für sie gedachten Versammlungen rücken. Darüber herrscht Einigkeit. Im besten Falle könnte sogar neues Interesse an der Politik geweckt werden, das gerade in den Kommunen schwindet. Bei der jüngsten Stadtratswahl im Jahr 2014 gingen in München nur 42 Prozent der Berechtigten zur Wahl, zur Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters 2014 kamen sogar nur 38,5 Prozent. Eine wissenschaftliche Studie über die Demokratie in München aus dem Jahr 2017 belegt, dass viele Bürger ihre Lokalpolitiker gerne regelmäßig und viel öfter im Viertel sehen würden.

Eine Bürgerversammlung kann dieses Problem nicht lösen, könnte aber ein Baustein in diesem Dialog sein. Im Moment hat dieses Format eine überschaubare Menge an Stammbesuchern, die meisten Menschen können mit dem formalisierten Ablauf nicht viel anfangen. Den wollen zumindest die Grünen aufbrechen, Fraktionschef Roth will vor der Versammlung eine ausführliche Sprechstunde mit Stadträten und Mitgliedern abhalten, in der Bürger diese persönlich mit ihren Anliegen konfrontieren können. Zudem sollten die Vorträge zu Beginn auf ein Minimalmaß zurechtgestutzt werden. Bereits im Vorfeld könnten zudem Anträge auf einer digitalen Plattform eingebracht und diskutiert werden. Das hätte auch den Vorteil, dass sich die Verwaltung darauf vorbereiten könnte. Einbringen muss jeder Bürger aber seinen Antrag persönlich auf der Versammlung.

Die CSU will den Abend besser strukturieren und ebenfalls den verpflichtenden Vorlauf von Verwaltung und Polizei zeitlich streng limitieren. Dabei müssten die Vorträge auch mit moderner Technik wie Beamern visuell viel besser aufbereitet werden, sagt Stadträtin Bär. Die FDP will ebenfalls vor den Bürgerversammlungen einen offeneren Dialog mit den Bürgern und die Präsentationen zu Beginn auf ein Minimum begrenzen. "Wir müssen den Bürgern mehr Raum geben", erklärt Stadtrat Ranft. Die SPD will neben einem strafferen Ablauf erreichen, dass die Verwaltung die Anträge der Bürger viel schneller abarbeitet. "Da gibt es bei vielen Unmut, weil das viel zu lange dauert", sagt Bettina Messinger.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hebelt den tatsächlich gesetzlich vorgeschriebenen starren Ablauf auf seine Weise aus: Er hält längst eigene Bürgersprechstunden in den Stadtvierteln ab. Bei offiziellen Bürgerversammlungen trifft man ihn eher selten an. Kommt er doch mal als Leiter zu einer Bürgerversammlung, ändert er das Protokoll. "Ich persönlich verzichte beispielsweise auf langwierige Einleitungen und Vorträge, damit mehr Zeit für die Anliegen der Münchner bleibt." Bei allen rechtlichen Vorgaben sei es Sinn und Zweck, "dass die Bürger zu Wort kommen".

Das passiert oft erst nach eineinhalb Stunden. Und dann verbietet die Geschäftsordnung den nötigen Dialog: Hat der Bürger seine meist auf fünf Minuten begrenzte Redezeit verbraucht, kann er nurmehr zuhören - was auch immer die Abgesandten der Stadtverwaltung zu seinem Antrag sagen. Und gegen gekaperte Abende kann sich bis heute niemand wehren. Der Oberbürgermeister, der damals vor Mitternacht eine solch aufgeheizte Debatte beendet hatte, hieß übrigens Christian Ude. Man schrieb das Jahr 1998. Seither hat sich am rechtlichen Rahmen von Bürgerversammlungen kaum etwas geändert.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: