Berufliche Perspektiven:Ausweg statt Sackgasse

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Ein Pilotprojekt unterstützt Mini-Jobberinnen dabei, Arbeit zu finden, die sie von Hartz-IV-Leistungen unabhängig macht

Von David Büttner

Amela Mujic möchte unabhängig sein. Etwas aus ihrem Leben machen, noch einmal neu anfangen und eine Zukunft für ihre Familie aufbauen, wie sie sagt. Amela Mujic möchte der Abhängigkeit vom Jobcenter München entfliehen. Die 40-Jährige gehört zu den rund 5500 Menschen in der bayerischen Landeshauptstadt, die einem Mini-Job nachgehen mit einem Einkommen bis zu 450 Euro monatlich, die, wie es in der Fachsprache heißt, "aufstocken", die also noch zusätzlich zu ihrem Einkommen Hartz-IV-Leistungen vom Staat beziehen.

Die Zahl ist seit 2014 leicht zurückgegangen, bleibt aber seit Jahren tendenziell konstant. 55 Prozent der Menschen in dieser Gruppe sind weiblich, 57 Prozent haben einen ausländischen Pass, rund 50 Prozent sind zwischen 35 und 55 Jahren alt. Das Gros arbeitet im Niedriglohnsektor, wie etwa im Handel, Gastgewerbe oder Reinigungsdienst. Genau wie Mujic, die im Reinigungsbereich tätig war. Mujic stammt aus Bosnien-Herzegowina, sie wuchs auf einem kleinen Bauernhof auf, heiratete und bekam ihr erstes Kind. Ihren Ehemann verschlug es nach Deutschland, seit 2006 lebt auch sie in der Bundesrepublik, hier bekam sie zwei weitere Kinder, Zwillinge. Entsprechend war und ist Mujic als Hausfrau eingespannt, ihr Ehemann, ein Bauarbeiter, sorgte für ein gutes Einkommen. Seit sieben Jahren ist das nicht mehr möglich, der Ehemann erlitt einen Bandscheibenvorfall und kann seitdem nicht mehr seiner schweren körperlichen Arbeit nachgehen. Amela Mujic musste einspringen und landete letztlich in einem Mini-Job. Aus dieser Situation möchte sie nun endlich ausbrechen.

Mujic ist eine von 23 Frauen zwischen 27 und 61 Jahren aus 19 Nationen, die aktuell in dem Pilot-Projekt "Ich kann mehr - Wege aus dem Mini-Job" betreut werden. Die Frau und Beruf GmbH in München hat das Konzept zur Unterstützung von Frauen entwickelt. Es finanziert sich aus Geldern des Bayerischen Arbeitsmarktfonds und des Jobcenters München. Das knapp 192 000 Euro teure Projekt lief im Oktober an, es ist zunächst auf drei Jahre und 50 Frauen ausgelegt.

"Leider bleiben vor allem Frauen in einem Mini-Job hängen, der Mini-Job wird für sie zur Falle", urteilt Monika Stephan, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsplatz im Jobcenter München. "Zum einen bietet ein Mini-Job wenig berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Viel eklatanter ist aber, dass eine solche lebenslange Beschäftigung oft direkt in die Altersarmut führt." 15 Jahre Mini-Job aber ergäben nur 70 Euro Rente pro Monat. Sabine Schultheiß, stellvertretende Geschäftsführerin des Jobcenters München, zeichnet ein ähnliches Bild: "Mini-Jobs können als Brücke in den Arbeitsmarkt sinnvoll sein. Viel zu häufig werden sie jedoch für Menschen in der Grundsicherung zur Dauerlösung. Eine langfristige Perspektive bietet nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigung."

Das Projekt ist laut Christine Nußhart, Geschäftsführerin von Frau und Beruf, bundesweit so einzigartig, weil es keine der üblichen Gruppenmaßnahmen ist. "Es geht um ganz individuelle Gespräche mit den Frauen. Wenn Bewerbungen anstehen, können das auch mal mehrere in einer Woche sein", erläutert sie. "Die einzelne Person wird ganz individuell gecoacht und beraten, um Potenziale zu erkennen. Das Ziel sind langfristige Lösungen mit Zukunftssicherheit." Die Reaktionen auf das Projekt seien durchweg positiv, die Nachfrage vorhanden. "Weil viele endlich selbst über ihr Geld entscheiden wollen. Andere erzählen, dass sie ihren Kindern später nicht auf der Tasche liegen möchten." Jüngst sei eine der teilnehmenden Frauen auf Nußhart zugekommen: Ob es so etwas denn auch für Männer gebe, habe sie gefragt, sie würde gerne ihren Mann vorbei schicken. "Ich habe das Gefühl, da bewegt sich etwas."

Amela Mujic wurde durch ihre Jobcenter-Beraterin auf das Projekt aufmerksam. "Und bisher läuft es super", meint sie. "Wir haben uns kennengelernt, zusammen Bewerbungen geschrieben und schauen nach einem Platz für mich." Mujic sieht ihre Zukunft im Bereich Gärtnerei, in Bosnien schloss sie die Schule nach zwölf Jahren als Landwirtschaftstechnikerin ab, der Abschluss wurde hierzulande als mittlere Reife anerkannt. "Mit Gemüse und Tieren ist hier in der Stadt aber nicht viel zu machen." Mujic meint es ernst mit dem Neuanfang, sie sucht eine Ausbildungsstelle, nach Möglichkeit in Teilzeit, der Kinder wegen. Wenn die aus dem Gröbsten raus seien, könne sie die Stunden nach oben fahren. Jüngst machte Mujic bereits ein zweiwöchiges Praktikum in einer Gärtnerei. Es hat ihr Mut gemacht: "Da habe ich gut reingepasst."

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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