Bedrohte Gerichtsvollzieher:Angeschrien, angerempelt, angespuckt

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Gregor Wimmer, Gerichtsvollzieher vom Münchner Amtsgericht, lässt sich bei seinen Aufträgen möglichst von der Polizei begleiten. (Foto: Christine Kerler/BR)
  • Amtsgerichtspräsident Nemetz fürchtet um die Sicherheit seiner Gerichtsvollzieher: Sie werden immer häufiger von Schuldnern bedroht.
  • Die Beamten berichten von massive Beleidigungen und wurden sogar schon mit dem Tode bedroht.
  • Das andere Sorgenkind des Münchner Amtsgerichtspräsidenten ist die stark ansteigende Zahl jugendlicher Flüchtlinge, die alleine nach Deutschland fliehen.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Münchens Amtsgerichtspräsident Reinhard Nemetz fürchtet um die Sicherheit seiner Gerichtsvollzieher. 2014 sollten die 40 Frauen und 55 Männer etwa 91 000 Vollstreckungsaufträge ausführen. Dabei sei es immer wieder zu verbalen Übergriffen, sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen, sagte Amtsgerichtspräsident Nemetz am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Das bestätigt Gerichtsvollzieher Gregor Wimmer: Man habe ihn sogar schon mit dem Tod bedroht, sagte er. Das Amtsgericht biete den Vollstreckungsbeamten deshalb bereits Selbstverteidigungskurse an.

"Ich wurde massiv beleidigt als Nazi und als Scheißvertreter von diesem Staat", berichtete Wimmer. Neben Beleidigungen gehe es bis hin zum Anspucken, Anrempeln - "und eben auch, dass jemandem die Hand ausrutscht gegen mich". Der 46-Jährige, der sich inzwischen mit Pfefferspray ausgerüstet hat, sagt, dass er und seine Kollegen immer häufiger aggressive Schuldner anzeigen müssten. Auch seine Kollegin Petra Albrecht berichtet, schon öfter von Schuldnern angeschrien worden zu sein - dennoch habe sie keine Angst. Gerichtsvollzieher Gregor Wimmer lässt sich inzwischen bei seinen Aufträgen möglichst von der Polizei begleiten.

Bei "kleineren" Angriffen würden Gerichtsvollzieher, ebenso wie die nicht minder betroffenen sechs Vollziehungsbeamten, die etwa GEZ-Gebühren oder Rechnungen des Staats eintreiben, "nicht zuletzt wegen ihres Arbeitsdrucks" ein Auge zudrücken, sagt Präsident Nemetz. "Sie machen nichts aktenkundig." Doch gravierende Fällen bekomme er vorgelegt und entscheide dann, ob Strafanzeigen erstattet werden. "2014 wurden 30 Strafanzeigen wegen Straftaten gegenüber Gerichtsvollziehern gestellt - im Jahr 2015 bereits 17", sagt Nemetz.

Womit Gerichtsvollzieher konfrontiert sind

Es gehe dabei um massive Beleidigungen und regelrechte Erpressungen: "Die Schuldner stellen gegenüber den Beamten falsche Anschuldigungen auf, leugnen deren amtliche Befugnisse und bezichtigen sie zum Beispiel der Urkundenfälschung oder der Unterdrückung von Urkunden." Zudem würden enorme Schadensersatzforderungen angedroht. Die Staatsanwaltschaft habe in den meisten Fällen Strafbefehle beantragt und bereits sieben Verfahren rechtskräftig abgeschlossen: "Die Schuldner erhielten vom Gericht für die Straftaten gegenüber den Gerichtsvollziehern und Vollziehungsbeamten Geldstrafen zwischen 600 und 2700 Euro", sagt Nemetz. Bei den Tätern gehe es oft um sogenannte Reichsbürger, die behaupten, die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, sondern lediglich eine "Firma" der Alliierten, die immer noch unter Kontrolle der Siegermächte stehe.

Reinhard Nemetz, Präsident des Münchner Amtsgerichts, und seine Mitarbeiter müssen Vormundschaften für minderjährige Flüchtlinge bestellen. (Foto: Catherina Hess)

Das andere Sorgenkind des Münchner Amtsgerichtspräsidenten ist die stark steigende Zahl jugendlicher Flüchtlinge, die alleine nach Deutschland fliehen. Sie kommen vorwiegend aus Afghanistan und Eritrea. Nirgendwo kommen so viele Minderjährige an, die sich ohne Eltern oder andere Verwandte durchgeschlagen haben, wie in München. Weil sie noch minderjährig sind, brauchen sie einen Vormund. Die Zahl dieser Rechtspfleger-Sorgerechts-Verfahren hat sich innerhalb eines Jahres auf 2736 verfünffacht.

Hohe Zahl Jugendlicher Flüchtlinge

Da die Kinder und Jugendlichen zumeist keine Papiere haben, versucht zunächst das Jugendamt, das Alter zu schätzen und den Aufenthaltsort der Eltern zu ermitteln. Wenn zu vermuten ist, dass es sich noch um Minderjährige handelt, leitet das Amtsgericht ein Altersfeststellungsverfahren ein - zumeist wird dann ein ärztliches Gutachten in Auftrag geben. 88 solcher Gutachten wurden im vergangenen Jahr im Auftrag des Amtsgerichts angefertigt. "Steht die Minderjährigkeit fest und auch, dass kein Elternteil sich um den Flüchtling sorgt, ordnet ein Rechtspfleger in einem Sorgerechtsverfahren das Ruhen der elterlichen Sorge an", erklärt Nemetz das aufwendige rechtliche Verfahren.

Anschließend müsse ein Richter die Vormundschaft anordnen und einen Vormund bestellen. Im Jahr 2014 sei durchschnittlich an einem Arbeitstag für mehr als vier minderjährige Flüchtlinge ein Vormund bestellt worden. Für etwa 50 Prozent der Fälle werde das Stadtjugendamt zum Vormund bestellt. "Der Großteil der anderen Hälfte der Vormundschaften wird auf Vereine oder das Kreisjugendamt München übertragen", erklärt der Gerichtspräsident. Nur bei drei Prozent werde ein ehrenamtlicher Vormund oder ein Rechtsanwalt bestellt. "In einem weiteren Verfahren überwacht dann ein Rechtspfleger den Vormund, der bis zur Volljährigkeit des Flüchtlings der gesetzliche Vertreter ist."

Zunehmend kommen auch Kinder und Jugendliche aus Irak, Gambia, Kosovo, und Somalia. Eine Entspannung der Situation sei nicht in Sicht, meint Nemetz. "In den ersten beiden Monaten dieses Jahres gab es bereits 573 neue Rechtspfleger-Sorgerechts-Verfahren" - dies deute darauf hin, dass die Zahl der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen wahrscheinlich weiter steigen werde.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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