Bayerns Schulen in der Corona-Krise:Ohne Konzept, dafür überfordert vom digitalen Wildwuchs

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SZ-Leser kritisieren fehlende Vorgaben aus dem Kultusministerium und wenden sich gegen voreiliges Lehrer-Bashing

"Fragen, Fragen und noch mehr Fragen" und Kommentar "Der Offline-Minister", beides vom 18./19. April:

"Masken nähen wir nicht"

"Masken nähen wir nicht" meinte die Vorsitzende des Bayerischen Lehrerverbandes. Die Kommunen seien in der Pflicht.

Diese Einstellung ärgert mich ungemein. Es ist doch klar, dass Masken von guter Qualität zunächst dem medizinischen Personal vorbehalten sein müssen. Alle Welt näht Behelfsmasken, bestimmt würden die Elternbeiräte und Fördervereine behilflich sein.

Es wirft ein schlechtes Licht auf die Beamten, sich so unflexibel zu geben, während Freiberufler und Selbständige improvisieren und um ihre Existenz bangen müssen. Zum Glück sind die Lehrer und Lehrerinnen nicht so verbohrt, wie ihre Verbandssprecherin: Ich weiß von Kollegien, wo die Nähmaschinen längst rattern! Ethel Baron, Röthenbach an der Pegnitz

Bayerns Schüler abgehängt

Das Kultusministerium des Landes Bayern zeichnet aus, dass es auf eine Reihe von bemerkenswerten und sehr klugen Persönlichkeiten an seiner Spitze zurückblicken kann, mit wenigen Ausnahmen und einem bedauerlichen Totalausfall beim Thema Frauenquote. Auch der jetzige Amtsinhaber Prof. Michael Piazolo ist offensichtlich nicht in der Lage, sein Ministerium auf die Erfordernisse des täglichen Schulbetriebes auszurichten. Schlimm genug, dass mehr als fünf Wochen nach Schulschließung immer noch keine Anleitung für effizientes Home-Schooling vorliegt. Es zeigt sich, dass die Versäumnisse weit tiefer liegen und sich nun in der Krise offenbaren.

Unter dem Stichwort "Bayern Digital" ist auf Verkündungsplattformen des Ministeriums und durch einen Beraterkreis "Votum IT" bis auf das kleinste Schräubchen am 3D-Drucker beschrieben, wie die digitale Schule auszusehen hat und wie sie funktionieren soll. Wirklich gut gemacht, professionell und umfassend. Nur, was nützt die Beschreibung des Schlaraffenlandes, wenn die Menschen auf dem Weg dahin alleine gelassen werden? Das fängt an mit dem Aufbau von IT-affinen Betreuungslehrern an den Schulen und der notwendigen umfassenden Freistellung. Es geht weiter mit der individuellen Ertüchtigung eines sehr heterogenen Kreises von Lehrerpersönlichkeiten, die mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und Fertigkeiten an die Digitalisierung herangeführt und vor allem motiviert werden müssen. Und hört auf mit oftmals heillos überforderten Sachgebietsleitern bei den Aufwandsträgern, die das Schlaraffenland verstehen, ausschreiben und genehmigen müssen.

Von den oft gescholtenen Autobauern können die Bildungsmacher lernen, dass sich nur die PS respektive Kilowatt verkaufen lassen, die auf der Straße auch ankommen - ein Lastenheft generiert keinen Umsatz. Was nützen die schönsten Wunschvorstellungen vom digitalen Klassenzimmer, wenn, wie von der Redakteurin beschrieben, die Lernpläne im Jahr 2020 immer noch als Mails an die Eltern versandt werden.

Eines der wenigen positiven Dinge, welches die Corona Ausnahmesituation mit sich bringt, ist ein erheblicher Schub in der Gesellschaft beim Umgang mit der digitalen Transformation - in allen Bereichen. Nur schade, dass die bayerischen Schüler dabei immer mehr abgehängt werden. Albrecht Proebst, Dießen

Gefährliche Dammbrüche

Endlich bringt Anna Günther den Bildungsskandal zu Coronazeiten auf den Punkt: "Es gibt aber leider auch jene [Lehrkräfte], die nicht mit Clouds oder Chatprogrammen umgehen können oder - schlimmer noch - wollen." Denn zweifellos gibt es nichts Schöneres, als wenn in einer Zweizimmerwohnung die drei schulpflichtigen Kinder und die im Homeoffice arbeitende Mutter um den einzigen Computer streiten oder wenn während des Videounterrichts im Hintergrund der betrunkene Vater flucht, das Baby schreit und der Hund bellt. Da funktioniert konzentriertes Lernen erst richtig gut und beseitigt die Kluft zu den bildungsfernen Schichten.

Auch die nebenbei gratis erfolgenden Datenlieferungen an Facebook und Co können diese Firmen sehr gut brauchen. Überhaupt ist der ohnehin nur hinderliche Datenschutz in diesen Zeiten endlich außer Kraft gesetzt: Jeder arbeitet mit seinen privaten Endgeräten einschließlich privat beschaffter Software über irgendeine Internetverbindung mit oder ohne Virenschutz. Datendiebstahl, gehackte Seiten und dergleichen mehr hat es ja auch noch nie gegeben. Man sieht sofort, dass Lehrkräfte, die da skeptisch sind, keine nachvollziehbaren Gründe haben können. Sie sind einfach nur stur, faul und fortschrittsfeindlich. Dr. Dorothea Englert, München

Da sind Schulleitungen alleingelassen

Zur Rückkehr der ersten Grundschülerinnen und Schüler sowie der Abiturientinnen und Abiturienten an ihre Schulen vom 27. April an:

Jetzt hat das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in einem Rundschreiben an die Schuleiter die Einzelheiten zum 'Personaleinsatz für die sukzessive Wiederaufnahme des Schulbetriebes' bekanntgegeben. Wenig findet sich hier über die Schutz- und Hygienemaßnahmen. Die Tische werden umgestellt, 1,5 Meter Abstand. Das ist alles.

Maskenpflicht? Desinfektion? Dazu gibt es keine Einzelheiten, da sind die Schulleiter alleingelassen.

Wer Glück hat, arbeitet an einer Schule, wo Andere sich darum kümmern, zum Beispiel hat im Landkreis München der Landrat Masken beschafft. In der Landeshauptstadt braucht man die nach heutigem Stand (22. April) nicht. Hingegen sind die Pflichten der Lehrer sehr klar: Wer unter 60 ist und kein Attest vorweisen kann, muss sich in die Klassenzimmer begeben. Wer zum Beispiel in ehelicher Gemeinschaft mit einer Risikoperson lebt, sollte sich wohl lieber eine andere Bleibe suchen: "... in den Fällen, in denen im häuslichen Umfeld der staatlichen Beschäftigten Personen leben, die durch eine Infektion mit dem CoVid-19 Virus einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sein könnten, besteht hiesigen Erachtens kein Handlungsbedarf seitens des Dienstherren."

Der Schutz von angehörigen Risikopersonen, vom Robert-Koch-Institut immer wieder gefordert, wird also an bayerischen Schulen kleingeschrieben.

Was sagt wohl Markus Söder dazu? Zitat aus der Kabinettssitzung vom 21. April: "Auch der Schutz besonders gefährdeter Personengruppen wird weiter verstärkt." Am 27. April ström(t)en also die Münchner Abiturklassen frisch aus dem U-Bahn-Gewühl in die Klassenzimmer, wie vor einem Monat, bis auf weiter entfernte Tische. Haben wir dazugelernt? Johannes Schwemmer, Unterhaching

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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