Bayern in Athen:Die Trauma-Forscherin

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Für Korinna Schönhärl ist Griechenland ein Sehnsuchtsraum, seit sie als Kind mit ihrem Vater das Land bereiste. Nun schrieb sie im renommierten Historischen Kolleg in München ihr Buch zu Ende, das im Oktober erscheinen wird. (Foto: Robert Haas)

Korinna Schönhärl beschäftigte sich mit dem Thema "Europäische Banken und Griechenland im 19. Jahrhundert." Sie hat dabei viele Parallelen zur Gegenwart entdeckt - und den Ursprung für die Abneigung der Griechen, sich von fremden Mächten kontrollieren zu lassen

Von Martina Scherf

Griechenland ist bankrott. Eine internationale Finanzkommission setzt Reformen durch. Deutsche Banken fordern ihre Kredite zurück. Die Schlagzeilen kommen einem bekannt vor - dabei standen sie so ähnlich schon vor 150 Jahren in den Zeitungen. Korinna Schönhärl forscht über "Finanziers in Sehnsuchtsräumen. Europäische Banken und Griechenland im 19. Jahrhundert", und sie hat erstaunlich viele Parallelen zur heutigen Situation entdeckt. Sogar die Politik interessiert sich für ihr Thema. Im Sommer durfte die Wissenschaftlerin an einer Konferenz mit der heutigen Troika aus Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds teilnehmen. "Ich glaube allerdings nicht, dass die Herren sich von einer Historikerin beeindrucken lassen. Bei ihnen geht es eben in erster Linie um Zahlen", sagt sie und lächelt.

Korinna Schönhärl, 39, zweifache Mutter, lehrt Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Duisburg-Essen und lebt mit ihrer Familie in Frankfurt. Ein Forschungsstipendium führte sie in ihre Heimat Bayern zurück. In der Abgeschiedenheit des Historischen Kollegs in München schrieb sie ihr Buch zu Ende, das im Oktober erscheinen wird. Wer hierher eingeladen wird, gehört zum besonders hoffnungsvollen Historikernachwuchs.

Korinna Schönhärl sitzt auf der Terrasse der prächtigen Kaulbach-Villa am Englischen Garten. Der einstige Wohnsitz des Malerfürsten Fritz August von Kaulbach ist selbst ein geschichtsträchtiger Ort. Während des Zweiten Weltkrieges wohnte der NSDAP-Gauleiter darin, danach zog der amerikanische Soldatensender AFN ein. In den Achtzigerjahren ging das Haus an den Freistaat Bayern, seither hat dort die Historische Kommission ihre Heimat. Die Einrichtung zur Förderung der Geschichtswissenschaft hatte König Maximilian vor fast 160 Jahren gegründet.

Max' jüngerer Bruder Otto regierte damals in Griechenland - und er spielt wiederum in Korinna Schönhärls Arbeit eine große Rolle. Wenn sie von den Protagonisten jener Epoche erzählt, bekommen sie allein durch ihre Worte Gesichter, gerade so, als handele es sich um Europapolitiker oder Hedgefonds-Manager aus heutiger Zeit. Mit kleinen Unterschieden: "Otto war erst 17, als er den Thron bestieg." Sein Vater, König Ludwig von Bayern, hatte den Filius nach Griechenland entsandt, Hofbankier Simon von Eichthal verwaltete seine Finanzen. "Dieser Simon von Eichthal wurde dann gleichzeitig noch Hofbankier von Griechenland und später Mitgründer der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank", erzählt die Historikerin.

Griechenland hatte damals gerade die 500 Jahre dauernde Fremdherrschaft durch die Türken abgeschüttelt und war im Fokus der europäischen Großmächte England, Frankreich und Russland. "Das kleine Land wurde zum Spielball ihrer Interessen", sagt Schönhärl. Auch König Ludwig von Bayern sah "die einmalige Chance, das Ansehen der Wittelsbacher durch einen weiteren Königsthron zu erhöhen". Griechenland wurde zum "Sehnsuchtsraum", sagt Schönhärl, "und zum Emerging Market". Europäische Banken finanzierten den Bau von Eisenbahnen, den Bergbau und den Kanal von Korinth. "Aber manche fielen auch ganz schön auf die Nase. Viele Gewinnerwartungen waren völlig überzogen." Klingt irgendwie bekannt.

Das bayerische Königshaus kam jedenfalls nicht auf seine Kosten. Manche Griechen verjagten die bayerischen Steuereintreiber aus ihren Häusern. "Das ist wenig verwunderlich in einem Land, dessen Helden als Partisanen in den Bergen lebten und ehrfürchtig Klephten, Diebe, genannt wurden", sagt Korinna Schönhärl. Bayern hatte gerade die Montgelas-Reformen umgesetzt, doch das ließ sich nicht einfach übertragen. Trotz ihrer Leistungen vor allem für Bildung und Kultur hatte die "Bavarokratie" mit Problemen zu kämpfen. "Auch dass Otto orthodoxe Klöster auflösen ließ, nahm das Volk ihm übel." Der Monarch konnte die Kredite seines Vaters nicht bedienen, Ludwig hatte zu Hause einen schweren Stand und musste nach der Revolution von 1848 abdanken. Seinem Sohn in Athen klagte er: "Mir geht das Wasser bis an den Kragen."

Dann kam auch noch der Krimkrieg, "ein typischer Stellvertreterkrieg", sagt Schönhärl. Die Krim ist auch heute wieder ein Streitpunkt zwischen Russland und Europa. Damals unterstützten England und Frankreich das Osmanische Reich gegen Russland und sperrten die griechischen Häfen. Das Volk darbte und jagte 1862 schließlich Otto davon.

Das Land vergab neue Staatsanleihen, eine Zeitlang ging es aufwärts, dann kam in der Weltwirtschaftskrise 1893 die erneute Pleite. "Da kam, auf Druck Deutschlands, eine europäische Finanzkommission, um die Bedienung der Auslandsschulden zu organisieren", fährt Schönhärl fort. Wie heute, deshalb zögen griechische Zeitungen diese Parallele immer wieder. Bismarck als Merkels Vorläufer, "das erklärt auch den Widerwillen vieler Griechen, sich von Deutschen Vorschriften machen zu lassen".

Korinna Schönhärl verbrachte zum Quellenstudium viele Wochen im Archiv der Nationalbank von Athen, in Bankhäusern von München bis London. "Nur die Schweizer Banken lassen niemanden rein", sagt sie und lacht.

Dass die Tochter eines Altphilologen am Freisinger Domgymnasium nicht nur ein Griechischabitur hat, sondern auch Neugriechisch beherrscht, kam ihr bei ihren Recherchen zugute. Griechenland ist auch ihr Sehnsuchtsraum, seit sie als Kind mit ihrem Vater das Land bereiste. Er organisierte Schiffs- und Bildungsreisen für mehrere Familien, "das war wunderbar", erzählt sie. Sie hat dann Geschichte und Germanistik in Regensburg studiert, mit einem Auslandssemester an der Aristoteles-Universität Thessaloniki.

Und was ist nun ihr Fazit nach jahrelanger Beschäftigung mit griechischen Finanzen? "Unterm Strich machten die Gläubiger schon damals kein schlechtes Geschäft und beeinflussten immer wieder die Politik. Und während das Deutsche Reich sich 1923 in der Hyperinflation aller Staatsschulden entledigte, zahlte Griechenland noch bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1941 und weiter nach dem Zweiten Weltkrieg zuverlässig Tilgungsraten und Zinsen." Das tiefe Trauma jedenfalls, von fremden Mächten kontrolliert zu werden, hätten die Griechen bis heute nicht überwunden, sagt Schönhärl, aber sie benutzten es auch gerne als Argumentationshilfe. Und noch etwas: "Ich war erstaunt, wie sich gewisse Vorurteile bis heute erhalten haben."

Auch ärgert es sie, wenn Berichte in der Tagesschau über die griechische Finanzkrise immer wieder mit Bildern der Akropolis illustriert werden. "Was hat die Antike damit zu tun?", fragt sie. "Das wäre, als würde man deutsche Finanzpolitik mit Bildern von Arminius illustrieren." Sie hat da bessere Vorschläge: die griechische Nationalbank oder der Hafen von Piräus, der jetzt in chinesischer Hand ist, und weil ihr das wichtig ist, entwickelt sie gerade eine App über "deutsch-griechische Erinnerungsorte".

Korinna Schönhärl will in der Wissenschaft bleiben. Wer allerdings ihrer Geschichtsstunde gelauscht hat, muss es wirklich bedauern, dass sie den ursprünglichen Plan, Lehrerin zu werden, aufgegeben hat. Die Schüler würden ihr bestimmt zuhören.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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