Badebetrieb:Bitteres Ende

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Andi Munkert, Sohn des Klinikbetreibers Ralph Munkert, in einem Moorbad. Der Kur- und Badebetrieb hat Bad Tölz zur Blüte gebracht. Das ist Geschichte. Seit Jahren versucht die Stadt, sich neu zu orientieren. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Gesundheitsreform von Horst Seehofer machte der Tölzer Kur den Garaus. Von 850000 Übernachtungen sind nur noch 350000 übrig. Die Stadt will sich neu orientieren

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Gäbe es Zeitreisen, wären so manche in Bad Tölz wohl versucht, die Uhren um 40 Jahre zurückzustellen - vom Bürgermeister bis zum Inhaber einer kleinen Pension. Die Siebzigerjahre waren goldene Jahre für die Kurstadt: Die amerikanischen Soldaten aus der General-Patton-Kaserne ließen ihren Sold da, das 1970 eröffnete Spaßbad "Alpamare" mit seinen noch einzigartigen Rutschen lockte Besucher aus ganz Deutschland und darüber hinaus an, vor allem aber schickten die Krankenkassen scharenweise Kurgäste her. Es gab einmal Zeiten, da hatte Bad Tölz um die 850 000 Übernachtungen im Jahr. "Wir haben sogar an der Ein-Millionen-Grenze gekratzt", erinnert sich der ehemalige Kurdirektor Georg Overs.

Das ist längst passé: Die Sozialkur starb 1996 mit der Gesundheitsreform von Horst Seehofer. Overs hatte zuvor zwei Jahre lang in der städtischen Kurverwaltung in Bad Tölz gearbeitet, war dann für ein paar Monate ins Allgäu gegangen und wurde als Kurdirektor an seine alte Wirkungsstätte zurückgerufen - mitten in die Kurkrise hinein. Vorher habe man dort am Telefon noch die Auskunft gegeben, dass mit circa sechs Monaten Wartezeit zu rechnen sei, sagt Overs: "Wir hatten das Problem, dass man Gäste enttäuschen musste."

Dementsprechend befanden sich die Inhaber von Hotels, Pensionen und Gästehäusern in der komfortablen Situation, dass sie sich um die Belegung ihrer Betten nicht sorgen mussten. Mit dem Beitragsentlastungsgesetz von Seehofer - eigene Zuzahlung zur Kur, Anrechnung von Urlaubstagen - änderte sich jedoch alles. Und zwar auf einen Schlag. Overs spricht im Rückblick von einer "überzeichneten Entscheidung" des damaligen Bundesgesundheitsministers und heutigen Ministerpräsidenten Bayerns. Alles sei viel zu schnell gegangen, findet er. Man habe den Unternehmen keine Chance gelassen, sich zum Beispiel mit einer Frist von zwei Jahren auf die neue Situation einzustellen.

Als neuer Kurdirektor musste er 1997 gleich in seiner ersten Statistik ein Minus von 47 Prozent bei den Übernachtungen verkünden. Overs erinnert sich noch an eine Protest-Veranstaltung mit Ärzten, Klinikbetreibern, Gastgebern und Politikern im völlig überfüllten Kurhaus. Mit dabei war Barbara Stamm, damals bayerische Gesundheitsministerin. "Jedes Mal, wenn ich sie danach traf, hat sie sich noch an diese Veranstaltung erinnert", sagt der frühere Kurdirektor. Leider hätten sich später all die negativen Prognosen erfüllt, die Mediziner und Krankenhaus-Vertreter an jenem Abend vortrugen.

Bad Tölz, das fast nur auf Kurgäste und kaum auf Touristen ausgerichtet war, hatte es schwerer als andere Bäder. Das kam auch in Fernsehreportagen zur Sprache. Darin habe Tölz als negatives Beispiel für die Dramatik der Kurkrise gedient, sagt Overs - was die Situation noch verschärfte. Der damalige Kurdirektor erzählt von einem Tölzer Elektriker, der 13 Beschäftige auf einmal entlassen musste, weil ihm der Renovierungsauftrag in einer Klinik über Nacht gestrichen worden war. Oder an das Haus Otto, das an einem Sonntag zumachte. Am Morgen habe man den Anruf erhalten, abends seien alle Patienten in anderen Häusern untergebracht gewesen, so Overs. "Das war eine Riesen-Solidaraktion." Erschwerend kam nach seinen Worten der "immerwährende Konflikt mit der Jodquellen AG" hinzu, die kein Geld mehr für die Jodquellen habe ausgeben wollen - weshalb die Stadt auf Moorheilbad umschwenkte.

Inzwischen hat sich die Zahl der Übernachtungen bei etwa 350 000 pro Jahr stabilisiert. Hotels, Sanatorien und vor allem kleine Gästehäuser sind in vergangenen beiden Jahrzehnten verschwunden und Wohngebäuden gewichen - das Kurviertel hat sein Gesicht beinahe vollkommen verändert. 2011 legte die Stadt das Konzept der "Neuen Tölzer Hotelkultur" mit den Standbeinen Tagungen, Wellness und Gesundheit auf. Gebaut wurde dafür die Villa Riesch am Vitalzentrum und die e-Motion-Base an der Sportjugendherberge, geplant sind das Spa "Natura Tölz" und ein Hotel an der Arzbacher Straße. Overs, der mittlerweile in Villach in Kärnten arbeitet, mag sich dazu nicht äußern. Er hält es prinzipiell allerdings für richtig, dass die ehemalige Kurstadt auf den selbstzahlenden Gesundheitstouristen setzt. "Das ist der einzige Ansatz, die Kompetenz ist noch da." Mit den BKK-Aktivwochen oder einem Billigflugprogramm mit der Deutschen BA hatte er selbst diesen Weg noch eingeschlagen. Die goldenen Jahren konnte er damit freilich nicht zurückbringen. "Der Kuchen war trotzdem zu klein", sagt Overs. "Viele haben mitgegessen, alle sind hungrig aufgestanden."

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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