Bachs Passionen:Kein Leiden in München

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Bachs Matthäus- und Johannespassion in München. Zwei verschiedene Spielorte, zwei Ensembles, zwei Eindrücke. Und eine wichtige Erkenntnis.

Lars Langenau

"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?"

Jesus letztes Aufbäumen am Kreuz ist wohl das Zeichen der Karzeit - und niemand anderes als Johann Sebastian Bach vermochte es vor nun fast 300 Jahren diese tiefe Verzweiflung in zwei ergreifenden musikalischen Passionen umzusetzen. Seither läuft Jahr für Jahr dem Zuhörer ein kalter Schauer den Rücken herunter, wenn der Chor bei der Matthäus-Passion anhebt:

"Wenn ich einmal soll scheiden, So scheide nicht von mir, Wenn ich den Tod soll leiden, So tritt du denn herfür! Wenn mir am allerbängsten Wird um das Herze sein, So reiß mich aus den Ängsten, Kraft deiner Angst und Pein!"

Osterzeit ist Passionszeit. Überall in Deutschland wurden bis Karfreitag und Karsamstag nun die letzten Tage Christi in der Interpretation von Johann Sebastian Bach gespielt. In München gab es diverse Spielorte, Dirigenten, Orchester und Chöre, die sich den beiden einzigen vollständig erhaltenen Passionen von Bach versucht haben.

Was ein Unterschied: Karfreitag, Enoch zu Guttenberg dirigiert in der ausverkauften Philharmonie ein gewaltiges Ensemble mit 170 Mitwirkenden die Matthäus-Passion. Am Samstag dann folgte in der Allerheiligen Hofkirche der Residenz die Johannes-Passion mit einem aufs nötigste reduzierte Ensemble unter der Leitung von Thomas Gropper.

Irgendwie zu perfekt

Und was soll man sagen? Die Philharmonie ist der falsche Ort für ein so wunderbares, sakrales Werk von Tiefe, Trauer und Herzblut: Zu dumpf, zu wenig geistlich, aber irgendwie auch zu perfekt ist die Akustik in diesem Bau.

Aber immerhin: die Musiker, die Chorgemeinschaft Neubeuern und der Tölzer Knabenchor waren erstklassig. Kurzfristig mussten Bernhard Berchtold (Tenor-Arien) und Jochen Kupfer (Bass-Arien) einspringen und absolvierten ihre Rollen meisterhaft. Enoch zu Guttenberg lebt diese Passion mit vollem Körpereinsatz, er tänzelt auf seinem Dirigentenpodest, kriecht fast in die Musiker des höchst konzentrierten Orchesters der KlangVerwaltung und in den von ihm gegründeten Chor hinein. Und es ist ein mehr als erhebender und zugleich bewegender Augenblick als Jochen Kupfer anhebt zu:

"Mach Dich, mein Herze, rein Ich will Jesum selbst begraben. Denn er soll nunmehr in mir Für und für Seine süße Ruhe haben. Welt, geh aus, lass Jesum ein!"

In diesen Momenten kann man nachvollziehen, wie die Zeitgenossen Bachs irritiert waren von seinem musikalischen Quantensprung, der bis heute nichts an seiner Faszination verloren hat.

Wie anders war dagegen die sehr viel kürzere Johannespassion in der wunderschönen, spartanischen Hofkapelle der Residenz. Hier nur ein kleiner Chor, ein deutlich reduziertes Orchester des Seraphin-Ensembles und einem Dirigenten, der selbst die singende Rolle des Christus übernahm. Herausragend hier vor allem neben trotz seiner jungen Jahre imponierenden Tenor Max Kiener, die junge Sopranistin Hanna Herfurtner, die über ein gewaltiges Potential verfügt und eine große Entdeckung ist.

Alles in allem: Zu Ostern und den Kartagen kann man getrost in München bleiben, wenn man Bachs große Werke leibhaftig erleben will. Kein Leiden in München!

Und so schließen wir denn mit dem Chor der Johannes-Passion:

"Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine, Die ich nun weiter nicht beweine, Ruth wohl und bringt auch mich zur Ruh! Das Grab, so euch bestimmet ist Und ferner keine Not umschließt, Macht mir den Himmel auf und schließt die Hölle zu."

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