Ausstellung:Eine Schenkung fürs Depot

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Philip Guston in der Graphischen Sammlung der Pinakothek der Moderne

Von Christoph Wiedemann, München

Wie die Zeit vergeht! Die fast 100 Papierarbeiten, die da derzeit in einer Sonderausstellung der Staatlichen Graphischen Sammlung in der Pinakothek der Moderne präsentiert werden, schicken den Betrachter auf eine Art Zeitreise zurück ins vergangene Jahrhundert. Zwar keine sehr bunte und auch nicht unbedingt eine sehr anregende Zeitreise ist das. Eine eher akademische, in der man sich zurückzuversetzen hat in die Grabenkämpfe zwischen abstrakt und gegenständlich darstellenden Künstlern; in eine Zeit der Neufindung und Neuausrichtung nach dem letzten großen Weltkrieg.

In den USA, die zumindest äußerlich von den Kriegsfolgen mehr verschont geblieben waren als Europa, begann sich die Bebilderung der traumatischen Sprachlosigkeit schon in den 1940er Jahren als "Abstrakter Expressionismus" zu verbreiten. Zu den Galionsfiguren dieser Avantgardebewegung zählten damals der noch immer hinreichend bekannte "Farbtröpfler" Jackson Pollock oder der heute höchst gehandelte Andachtsbild-Maler Mark Rothko. In Europa fand die Stilrichtung dann vermehrt in den 50er Jahren als "Informel" mit Künstlern wie Wols, Karl Otto Götz oder Jean Fautrier ein Echo, das sich dann auf den ersten in Kassel abgehaltenen Weltkunstschauen der neu ins Leben gerufenen Documenta traf. Womit endlich von Philip Guston zu reden wäre, dem die Graphische Sammlung eine erstaunlich umfangreiche Ausstellung seines gesamten druckgrafischen Werkes widmet. Hintergrund der Schau ist die großzügige Schenkung von 59 Lithografien durch die Tochter des Künstlers an die Sammlung.

Der 1980 im Alter von 66 Jahren in New York verstorbene Künstler zählt zu den frühen Protagonisten des abstrakten Expressionismus. Mit Jackson Pollock zusammen wird er 1929 in jungen Jahren noch in Los Angeles von der Manual Arts High School verwiesen, was eine lebenslange Kontaktpflege nach sich zieht. Pollock stirbt allerdings schon 1956. Die intensivste Freundschaft zu einem Künstlerkollegen pflegt Guston mit Willem de Kooning, was in den 1970er Jahren bei den dann ausbrechenden Anfeindungen gegen Guston noch von Bedeutung sein wird. Gustons große Jahre brechen 1957 mit der Teilnahme an der Sao-Paolo-Biennale an. Documenta-Einladung 1959 und Venedig-Biennale folgen. In der Münchner Ausstellung sind dazu einige grafische Blätter aus jener Zeit zu sehen, in denen Guston mit reduzierten Flächengewichtungen in drucktechnisch überaus aufwendigen Grau- bis Schwarzschattierungen experimentiert. Spontan, emotional, vor allem aber ungegenständlich. Guston gehört zur Familie der abstrakten Expressionisten, die zusammenhalten muss gegen eine nachdrängende junge Generation, die wieder gnadenlos zum Gegenstand zurückgekehrt ist. Die Wachablösung der alten Avantgarde durch die Pop-Art beginnt sich abzuzeichnen. Als Guston 1970 erstmals auch wieder figurative Arbeiten zeigt, beginnt die Ächtung.

Diesen Seitenwechsel verzeihen ihm die alten Freunde - mit Ausnahme von de Kooning - nie mehr. Der Lagerwechsel bedeutet andererseits für Guston auch eine neue Freiheit. Seine bis dahin existenzialistisch geprägte Suche nach ungegenständlichen Formen des Ausdrucks, weicht einer verklausulierten Gegenständlichkeit. Seine Bilder sind plötzlich wie Erzählungen, nur dass man die verklausulierte Symbolik nicht versteht. Verschlingungen wie in einem Maschinenraum die Rohrzüge. Andeutungen von Gesichtern, Köpfen und immer wieder Schuhe. Aber dann auch wieder platte Alltagsmotive von der Teekanne bis zum stark vereinfachten Auto. Da spinnt sich einer in eine autistische Welt ein, die als kraftvoll erkennbar scheint, aber sich am Ende doch jeder Deutung entzieht. Guston als Urvater der Postmoderne der Achtziger zu bezeichnen, was manche tun, scheint trotz allem etwas gewagt. Betrachtet man die Münchner Graphische Sammlung als eine Art kunstgeschichtliche Gen-Bank, so ist jetzt durch die Guston-Schenkung ein Reagenzglas für die Kühlkammer hinzugekommen. Vorerst lagert es dort gut.

Philip Guston - Drei Blicke ; Zeichnungen für Dichter; Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, bis 28. Juni, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr

© SZ vom 02.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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