Ausschreibung:Stadion - Ausschreibung ohne Architekten

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Der Neubau des Münchner Fußballstadions wird nicht unter Architekten ausgeschrieben.

Gottfried Knapp

(SZ vom 10.8.2001) - Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland scheint sich zu einem Langzeit-Albtraum für München zu entwickeln.

Mit dem Druckmittel des nach München vergebenen Eröffnungsspiels hat die fatale Große Koalition der Polit-Vereine "FC Stoiber Bayern" und "1860 Ude München" über Jahre hinweg den Umbau des Olympiastadions in eine Fußballarena, also die Zerstörung eines der bedeutendsten Monumente der neueren deutschen Geschichte, vorangetrieben und alle vorgeschlagenen Alternativstandorte mit bestellten amtlichen Schein-Gutachten für unsinnig erklärt.

Leuchtende Orte der Utopie

Erst das fatal verzögerte Eingeständnis der beauftragten Architekten im Stadtrat, dass sich aus der schönen Landschaft des Leichtathletikstadions kein qualmender Fußball-"Hexenkessel" herausmodellieren lässt, hat die geschmähten Alternativgelände über Nacht als leuchtende Orte der Utopie in die Stadion-Diskussion zurückkatapultiert.

Seit ein paar Wochen haben sich die Spitzen von Stadt, Land und Fußball auf den Standort Fröttmaning geeinigt, gegen den wenig einzuwenden ist - allenfalls das eine, dass es ihn vor drei Jahren auch schon gegeben hat und dass man ihn damals sehr viel preiswerter hätte bebauen können, weil man nicht unter katastrophalem Zeitdruck stand, sondern mit der nötigen Sorgfalt hätte planen können.

Für lokalpolitische, räumliche oder gar ästhetisch-künstlerische Überlegungen ist es jetzt zu spät.

Die Bombe tickt

Das Abwicklungsverfahren, das unter der Drohung des heranpreschenden WM-Eröffnungsspiels ohne jede definierende oder klärende Auflage eingeleitet wurde, zeigt alle Merkmale der Panik, offenbart eine planerische Konfusion gespenstischen Ausmaßes und lässt eine architektonische und stadträumliche Katastrophe befürchten, die mit der olympischen Verheerung zwar nicht zu vergleichen, aber in der Wirkung nach außen sehr wohl zu messen ist.

Die Bombe in Fröttmaning hat zu ticken begonnen - doch die Planungsbehörden und die Politiker in der Stadt haben sich rechtzeitig aus der Verantwortung gestohlen, haben sich vorsorglich in Sicherheit gebracht.

Dass das neue Fußballstadion, das ja ausschließlich den Geschäftsunternehmungen zweier privater Vereine dient, weder von der Stadt noch vom Staat bezahlt wird, war eine politisch richtige Entscheidung.

Der Garaus im Norden

Am 21. Oktober sollen nun die Münchner Bürger darüber abstimmen, ob die Stadt wenigstens für die 350 Millionen Mark aufkommen soll, die nötig sind, um die fehlenden Verkehrsanschlüsse und Parkflächen für das Stadion zu bauen.

Bis vor kurzem noch hatte jeder, der weiß, wie kompliziert demokratische Prozesse sind, gehofft, dass die Stadt die Zustimmung der Bevölkerung für diese zwar extrem aufwändigen, aber am Ende auch dem Gemeinwohl nützenden Infrastrukturmaßnahmen bekommt; doch seit bekannt ist, dass die Stadt die gesamte planerische Verantwortung für den beherrschend an der Autobahn stehenden gigantischen Solitär an die Vereine abgetreten hat, also ihr eigenes Gesicht von den Zufälligkeiten eines kommerziellen Verfahrens abhängig macht, regt sich heftiger Widerstand gegen das überhastete Unternehmen.

Sind die Würfel gefallen?

Die Bayerische Architektenkammer etwa weist auf die erbärmliche Nivellierung der Architektur hin, die bei einem "Generalübernehmer-Verfahren" zu erwarten ist, und verlangt, dass für diesen prominenten Ort, an dem die Weichen gestellt werden für die stadträumliche Entwicklung des gesamten Nordens, ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben wird.

Doch die Würfel scheinen schon gefallen zu sein. Im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft haben die beiden Münchner Fußballvereine als Bauherren den Auftrag für "Planung und Bau eines neuen Fußballstadions" - nein, nicht unter Architekten oder Ingenieuren, sondern unter Baufirmen ausgeschrieben.

Auflagen gibt es darin fast überhaupt keine. Die Firmen müssen nur "über Erfahrung in Planung und Bau von Großstadien" verfügen, doch auch das ist nicht so streng gemeint; notfalls genügen schon Erfahrungen mit "vergleichbaren Projekten".

Wenn man sich in Erinnerung ruft, unter welch strengen Qualitätskriterien Wettbewerbe sonst entschieden werden, kommt einem das Vergabeverfahren der Münchner Fußballclubs für das Großstadion wie der blanke Zynismus vor.

Außer dem Hinweis auf frühere Bauaufgaben müssen die künftigen Generalunternehmer nur noch einen "Auszug aus dem Handelsregister" einreichen und die "wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens" darstellen.

Die Entscheidung wird also nicht nach architektonischen oder städtebaulichen, sondern ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien gefällt.

Absolut verantwortungslos ist auch das Tempo, mit dem die Firmen reagieren sollen. Am 12. Juli 2001 erschien die Ausschreibung im Amtsblatt; schon fünf Wochen später sollen die Bewerbungen abgegeben sein; und schon im Januar 2002 soll mit dem Bau begonnen werden.

Alle Planungen für das hochkomplizierte, mit zahllosen Sicherheitsvorschriften belastete Riesenprojekt müssen also innerhalb von vier Monaten geleistet werden. Das ist schlichter Wahnsinn.

Wenn die Stadt also nicht sofort diesem Irrsinn Einhalt gebietet, muss sie tatenlos mitansehen, wie die Fußballvereine und ihre Handlanger dem Münchner Norden den Garaus machen.

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