Ausgehen!:Nebenan in der Fremde

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Diskrete Kellner, beiläufige Musik und das beglückende Gefühl der Anonymität: Nirgendwo kann man besser allein sein als in der Hotelbar.

Tanja Rest

Wer in der eigenen Stadt zum Fremden werden will, muss sich an eine Hotelbar setzen. Es gibt keinen besseren Ort. Es gibt keinen anderen Ort, dem das Fremdsein so vertraut ist.

Ein bisschen morbide, aber prächtig: Falk´s Bar im Bayerischen Hof. (Foto: Foto: Rumpf)

Das Hotelbar-Gefühl fängt bereits beim Öffnen der Hoteltür an, die im Idealfall eine goldene, mit der Patina von hunderttausend Handflächen versiegelte Drehtür ist; auf der einen Seite: die Stadt. Das geschäftige, leutselige, von entschlossenen Tütenträgerinnen und vergnügungstüchtigen Entscheidern durcheilte Innenstadt-München, das bewährte Heimatbühnenstück, jeden Abend dieselbe Besetzung, derselbe Text, dasselbe engumdrängte Setting zwischen Szenetreff im Glockenbach und In-Franzose in Haidhausen; das immer neu zelebrierte Ritual der Selbstvergewisserung: Ich gehöre dazu.

Die Anonymität ist weich wie Watte

Dies alles im Rücken. Und vor Augen, eine andere Realität. Atmosphärisches Rauschen, von gedämpften Höflichkeitsfloskeln gespeist: How do you do, ca va, va bene. Der lautlose Schritt der Kellner, Silbertabletts mit kostbarem Whiskey und feuerrotem Manhattan auf den Fingerkuppen balancierend. Die beiläufigen Plaudereien des Pianos.

Das Kommen und Gehen der Gäste, Auf und Zu der Fahrstuhltüren, die messerscharfe Freundlichkeit der Rezeptionistinnen, "Room three-o-one, third floor to the right, if you have any further wishes, please let us know." Die verschossenen Lampenschirme, immer-noch-dunkler werdenden Holz-Paneele, blinden Kronleuchter, dieses Runtergedimmte, Diskrete, von knöcheltiefen Teppiche Gepolsterte. . . - "Einen Gin Tonic, bitte." Der Gang an die Hotelbar ist immer auch eine Flucht.

Der Gast sitzt auf einem Hocker, der wahrscheinlich mit speckigem Leder bespannt ist; er hat einen Longdrink vor sich, der das beinahe Doppelte des üblichen Preises kostet. Dafür bekommt er als Beigabe einen silbernen Dreifuß dazu, Erdnüsse, Chips, Pistazien. Er trinkt. Er spürt, wie der Lärm des Tages allmählich von ihm abblättert und einer wohligen Leere Platz macht. Die Anonymität ist weich wie Watte.

Der eigenen Identität entronnen

Der Blick über die Schulter erfasst ein internationales Publikum, das so nur der Zufall unter einem Dach zusammengeführt haben kann, jeder Einzelne seinen eigenen Motiven nachhängend. Die beiden asiatischen Geschäftsleute, letzte Details des Big Deal bei einer Flasche "Muscat de beaumes Venise" aushandelnd; das britisch-blauhaarige Damenkränzchen, um eine Porzellankanne Earl Grey gruppiert; die unfassbare Schöne - Haare hüftlang, Kostüm Moschino, Makeup Bardot -, allein und erbittert in einen Kelch Moet & Chandon starrend.

Und es könnte jeder Ort sein. New York, Rio, Tokio, das Mandarin Oriental am großen Fluss von Bangkok. Im behaglichen München ist diese Erkenntnis erst Schock und dann Befreiung. Für die Dauer eines Abends dieser Stadt, den Bekannten, der Enge der eigenen Identität entronnen. . . Nirgendwo kann man besser allein sein als in einer Hotelbar, nirgendwo wird mehr geschwiegen und offener gesprochen.

Ein Gespräch, das sich zufällig ergibt, ist fast immer lohnend. Nicht nur, weil der Hotelbar-Gast weder Musik noch Menschenlärm überschreien muss, nicht nur, weil ihm die Zunge nach einem trockenen Martini locker geworden ist. Sondern wegen der Fremdheit. Wer weiß, dass er dem anderen kein zweites Mal begegnen wird, fängt erst gar nicht an zu heucheln. Und erfährt erstaunliche Dinge.

Cortina: Understatement mit Niveau

Wer in der Cortina-Bar nicht reserviert, findet keinen Tisch. (Foto: Foto: Rumpf)

Von einer Hotelbar-Renaissance ist seit einigen Jahren die Rede, und so haben viele Häuser jüngeren Datums auf diesen Ort ihr besonderes Augenmerk gelegt. Das vielleicht gelungenste Beispiel ist die Bar des Cortina, nahezu versteckt im Sträßchen-Irrgarten der Altstadt gelegen.

Ein quadratischer Raum, ganz in Naturtönen gehalten, ganz Design: Parkett, die Bar aus dunkler Eiche, mokkabraune und zartblaue Ledersessel, als Raumtrenner ausgehöhlte afrikanische Baumriesen und als einziger Farbtupfer rote Lilien, in teuren Glasvasen arrangiert. Understatement auf hohem Niveau.

Hinter der Bar steht Benjamin Shaine, wippt ein wenig zur gedämpften Club-Music und empfiehlt auf Anfrage einen "Bombay Mule", der sich aus Gin, Ginger Ale, Cumquats und Gurke zusammensetzt. Wer hier nicht reserviert, findet nach 21 Uhr keinen Tisch mehr unbesetzt.

Hotel Anna: Dem Alltag entkommt man hier nicht

Im Hotel Anna, das in das große V von Schützen- und Bayerstraße wie ein gewaltiger Schiffsbug hineinstößt, wandern alle Neonfarben des Regenbogens im Minutentakt über die Oberflächen: Bar, Säulen, Decken- und Wandbeleuchtung changieren zwischen Orange, Pink und Schummerblau; durch hohe Rundbögen geht der Blick hinaus.

Aber die Menschen, die drinnen an den Tischen sitzen, sind die gleichen, die draußen durch die Straßen hasten.

Die ganze Bar ist vom Hotel so gut wie abgekapselt, und nur wer sich auf dem Hocker weit zurücklehnt, wird im Hintergrund die Rezeption erkennen. Das meistbestellte Getränk ist Bier, der Geräuschpegel unerbittlich. Dem Alltag entkommt man hier nicht.

Mandarin Oriental: traditionsreich und zeitlos schön

Am zeitlos-schönsten sind die Bars der großen, traditionsreichen Häuser, die an keinem anderen Ort denkbar wären als eben hier, im Einzugsbereich livrierter Türöffner, leise parlierender Geschäftsleute und goldener, mit Sahnetörtchen und fragilem Blätterteiggebäck beladener Teewagen. Im Mandarin Oriental quillt goldenes Licht unter pechschwarzen Lampenschirmen hervor, der Mann am Flügel streichelt zärtlich die Tasten.

Der ganze Raum hat etwas Samtiges. In tiefen Ledersesseln sitzen mondäne Damen und Global Players mit gelockerter Krawatte, Feierabendzigarette im Mund. Der Barchef heißt José L. Garcia Fernandez und sieht aus, als sei er im Buena Vista Social Club Mitglied. Aus einer beleuchteten Vitrine blickt das bleiche Rätselgesicht von Kate Moss, Dior-Tasche im Arm. . .

Falk's Bar: Die prächtigste Bar der Stadt

Wer den eleganten Living-Room des Mandarin Oriental verlässt und das Schattenreich des Bayerischen Hofs betritt, wird dies wie eine körperliche Erfahrung wahrnehmen. Falk's Bar. Ein Schlag in die Magengrube. Monumental, kraftvoll, dramatisch. Und ein bisschen morbide. Die prächtigste Bar der Stadt.

Ein Saal wie ein Bassin, bis zum Rand mit schummrigem, aquamarinblauen Zwielicht angefüllt und von dem allerleisesten Geplauder durchflutet. Kaum Publikum. Keine Musik. Unter der sechs Meter hohen, mit feinem Stuck verzierten Decke sitzt der Gast vor seinem Drink und hat spürbar an Statur verloren.

Falk's Bar besucht man nicht einfach. Man ergibt sich ihr. Gesellschaft dabei leistet ein J & B, vom Barmann mit vollendeter Geste auf dem Tresen platziert.

Hotel Vier Jahreszeiten

Und dann natürlich Simon Schott. Der Mann mit dem Hut, Deutschlands ältester Barpianist, 88 mittlerweile. Er sitzt noch immer im Hotel Vier Jahreszeiten, fünf Tage die Woche, liebkost den Kawai-Flügel. Steht ab und zu auf, verschwindet, kommt nach einigen Minuten zurück. Spielt weiter.

Auf den mit grünem Leder gepolsterten Barhockern hängen einander gänzlich unbekannte Menschen Seite an Seite ihren Gedanken nach, während vier Stufen weiter unten in der Lobby die Abendgäste einchecken. Von der Lobby aus betrachtet sieht man von Simon Schott nur den schwarzen Herrenhut, so tief beugt er sich über sein Instrument.

Der Gast trinkt einen Chardonnay. Und mit jedem Schluck rückt die betriebsame Stadt dort draußen ein Stückchen weiter von ihm weg. Er hat das Gefühl, dass das arg strapazierte "As time goes by" noch nie so richtig geklungen hat wie hier.

© SZ vom 17.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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