Ausgehen!:Good bye, Schicki

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In der Münchner Innenstadt ist eine neue Bar-Kultur entstanden, die sich gemütlich und großstädtisch zugleich gibt.

Christian Mayer

Große, dunkle, schmachtende Frauenaugen blicken die Gäste von der Wand an, eine indische Schönheit mit dickem Lidstrich wacht über der derzeit vielleicht populärste Bar der Stadt. Romantische Filmstars aus Bollywood sind momentan eben kaum aufzuhalten, und irgendwie passen die indischen Plakate hervorragend ins "Café am Hochhaus".

Cafe am Hochhaus (Foto: Foto: SZ)

Hier treffen sich Medienleute, Filmstudenten, unrasierte Jungarchitekten und andere selbsternannte Kreative aus dem Glockenbachviertel, die vor allem eines vermeiden wollen: Durchgestylte Räumlichkeiten, in denen durchgestylte Gäste möglichst teure Drinks mit exotischen Namen schlürfen und sich am Mahagoni-Tresen gegenseitig mit Geschäftsproblemen langweilen.

Café am Hochhaus: Tanktop statt Kirschtorte

Im Café am Hochhaus in der Blumenstraße, wo früher ältere Damen Schwarzwälder Kirschtorte verspeisten, ist seit einem Jahr alles ein wenig anders als in den etablierten Treffs der Münchner Gesellschaft: Die Leute lümmeln auf einem schier endlosen Sofa, ineinander verkeilt wegen der Überfüllung; die Mädchen tragen Tanktops unterm Parka, eine Flasche Pils in der Hand; der DJ sitzt sicher in seinem Kasten wie ein Souffleur im Theater, über der Bar leuchten einsame Gestalten auf einer Glasinstallation wie in den Kammerspielen.

Und draußen rauscht lautlos der Verkehr auf dem Altstadtring vor dem altertümlichen Hochhaus der Lokalbaukommission. Längst hat sich eine Schlange vor dem Eingang gebildet, die Spaßwilligen begehren Einlass in ihr Domizil.

So sehen sie also aus, die neuen Münchner Bars, die sich dem Diktat der späten neunziger Jahre verweigern, dass ein Szenelokal vor allem so aussehen muss wie aus der Zeitschrift Wallpaper: mit viel Geld realisierte Designerentwürfe, die bis zum letzten Lampenschirm , bis zum Klodeckel am Computer geplant werden.

Man merkt es, wenn man einen Rundgang durch die neuesten In-Treffs in der Innenstadt macht: Die Betreiber werden jünger, haben offenbar weniger Kapital für Einrichtung und Personal, dafür aber etwas günstigere Mietverträge, weil wieder etwas mehr Vernunft bei den Hausbesitzern eingekehrt ist und die Banken ohnehin nur noch an ausgewählte Gastronomen Kredite vergeben. Dafür glänzen die neuen Lokale eben mit originellen Konzepten, mit selbst gebauten Wanddekorationen, kuriosen Lampen aus zweiter Hand und einer oft heimeligen Wohnzimmer-Atmosphäre.

Das neue Ksar: klarer und gemütlicher

Jüngstes Beispiel ist das "Ksar". Die Bar in der Müllerstraße hat eine ruhmreiche Vergangenheit als düstere Rauch- und Trinkhöhle, lange Zeit kamen Glockenbach-Fans, um sich die besten Plätze direkt an der Fensterscheibe zu sichern, mögliche Flirtpartner zu checken und sich selbst mit Hochprozentigem in Stimmung zu trinken. Langsam zerfiel das Mobiliar ebenso wie die Schar der Stammgäste, der Umsatz ging zurück, bis der Laden leer stand.

Seit wenigen Tagen ist die Bar nun unter neuer Leitung wieder geöffnet: Heller, aufgeräumter, gemütlicher ist das Ksar geworden, vielleicht auch wenig angepasster an den Zeitgeist, der nach Siebziger-Jahre-Retro verlangt. Die Wände zieren lila Blumen, Steinchen-Lampen hängen über der Bar, an der ein gut eingeschenkter Cuba Libre 6,50 Euro kostet. Vorbei die Zeiten, als euphorisierte Barbetreiber, angestachelt vom grassierenden Börsenwahnsinn, Phantasiepreise verlangten und die Champagner-Karte mindestens vier Seiten umfassen musste.

Im Ksar sieht man jetzt klarer und nüchterner, auch was die Optik betrifft, denn die witzigen Lampenschirme an der Fensterfront, die wie Lockenköpfe aussehen, spenden ein warmes Licht, das auch den Enddreißigern beiderlei Geschlechts ein faltenloses, gesundes Aussehen verleiht. "Wir wollten eben etwas mehr Helligkeit", sagt Geschäftsführer Maral Mandlik.

Für Freunde: Oma-Tapete und Haimhausener Bier

Seit ein paar Monaten wird auch die Bar "Für Freunde" in der Reichenbachstraße als Geheimtipp gehandelt. Eigentlich schade, die Adresse dieses intimen Lokals preiszugeben, denn mehr als drei Dutzend Gäste haben sowieso nicht Platz. Betreiberin Layla kommt - woher sonst? - aus der Hauptstadt, und ein wenig wollte sie die Berliner Kneipenkultur nach München bringen, sagt sie.

"Man muss ja nicht alles komplett umbauen, manchmal kann man Relikte des Vorgängerlokals verwenden", sagt Layla. Ihre hübschen Lampen hat sie aus einem Abbruch-Hotel gerettet, die einst grässlichen Wandbilder, die mit der roten Oma-Tapete kollidieren, sind jetzt verfremdet, Porno-Darstellerinnen aus Pappe kleben in einer Urlaubsidylle.

Man muss sich wohl auch nicht mehr wundern, dass bei den Freunden Haimhausener Bier ausgeschenkt wird - eine Familienbrauerei hat den Bierkonzernen, die in ihren eigenen Lokalen nicht selten die Pächter zu absurd hohen Absatzmengen nötigen, den Rang abgelaufen.

Edmoses: Eisbach-Surfer an tiefem Tresen

Nicht minder originell, dafür aber noch etwas mondäner gibt sich das "Edmoses" gegenüber dem Haus der Kunst. Vier Partner haben sich zusammengeschlossen, um im Nebenberuf endlich ihre Vorstellung einer schnöselfreien Spaßzone zu verwirklichen.

Wo früher eine altmodische Galerie um kunstsinnige Kundschaft buhlte, trifft sich jetzt ein modebewusstes Publikum in einer Location, die von erfindungsreichen Leuten mit einfachen Mitteln zur Szene-Bühne umfunktioniert wurde. Anzugträger wie in den etablierten Renommier-Bars Schumann's, Tabacco oder Barista meiden diesen Ort, dafür stehen athletische Eisbach-Surfer und dunkelhaarige Beauties in selbstgeschneiderten Jacken unter einer Licht-Installation aus transparenten Röhren.

Auch im Edmoses, wo der Tresen so tief gelegt ist, dass man bequem drauf sitzen kann, kann man übrigens dem nächtlichen Verkehrsfluss draußen auf der Prinzregentenstraße beiwohnen. Edmoses, der Name erinnert an den Weltklasseläufer mit dem langen Atem, und zumindest bei der Wahl der richtigen Turnschuhe geben sich die Gäste schon sehr stilsicher.

Harlander: Business-Blondinen auf Designer-Sofas

Bleibt noch ein Absacker im Harlander in der Bräuhausstraße. Schließlich sehnt man sich nach so viel Berlin-Flair und Glockenbach-Understatement nach Münchner Tugenden: Designer-Schick, ein wenig Glamour und der Charme von Business-Blondinen. All das findet man in der schön ausgeleuchteten Bar direkt hinterm Hofbräuhaus.

Nach einem harten Arbeitstag kann man sich in einer der vielen Sofas direkt neben dem Bücherregal entspannen, von den ausgesucht freundlichen Barleuten mit Oliven versorgt. Ach ja, der graumelierte Typ mit seinem Gin Tonic sitzt noch immer da, wahrscheinlich ein schwer schuftender Oberarzt. Und er lächelt den Blondinen zu.

© SZ vom 5.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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