Ausgehen!:Disko - mittendrin in der Musik

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Die Rote Sonne ist Münchens neuestes Beispiel für alternative, anspruchsvolle Clubkultur.

Jochen Temsch

Die Rote Sonne scheint im Keller. Hellrot wie Holunder-Bionade im Treppenabgang. Dunkelrot wie schwerer Wein im unterirdischen Partyraum. Hypnotisierende Wellenhologramme flirren im warmen Zwielicht. Vom Bass der Beats zittern die Beine. Das macht der Bodenbelag: Eichenparkett, ein besonders guter Leiter für tiefe Frequenzen, ideal für satte Akustik.

So scheint die Rote Sonne: Im Zwielicht flirren Wellenhologramme aus einem Gucci-Laden. (Foto: Foto: Rumpf)

Ein Tanzboden - die perfekte Grundlage für die Nacht. Dann eine Bar, so lang wie die Wand, der Tresen orange unterlegt und schwarz überpinselt. Eine Einladung an die Gäste: Sie sollen am Lack kratzen und ihre persönlichen Spuren hinterlassen. Die Symbolik ist klar: Hier geht es um Lässigkeit und Wohlfühlen, nicht ums Protzen und Abzocken.

Die Preise sind fair. Das Bier kommt von einer kleinen Brauerei, der Wein aus biologischem Anbau. Auch Kaffee gibt es, aufgebrüht von Federico "Fedi" Sanchez, Sänger der Band Kamerakino. Seine Schänke ist eine verschwiegene Nische in der Form eines Boxrings, mit Seilen, einer Matte und einer Collage der Künstlerin Anna McCarthy, der Schwester von Franz-Ferdinand-Gitarrist Nick. Darin sitzt einer der Chefs der Roten Sonne, Peter Wacha alias DJ Upstart, und sagt über seinen Laden: "Wir sind hier mittendrin in der Musik."

Im wunderbaren Zustand der Unschuld

Seit gerade mal gut 100 Tagen gibt es die Rote Sonne am Maximiliansplatz 5, Münchens jüngsten Club. Hierhin kommen Leute, die beim Begriff Old-School-Acid nicht an Säure denken und bei Detroit-House nicht an die Sehenswürdigkeiten einer nordamerikanischen Stadt. Und wenn doch, dann zumindest Leute, die irgendwie nachfühlen können, was Wacha die "zwei starken Ideen" der Roten Sonne nennt.

Erstens: "Eine richtig gute, klassische Disko zu machen. Mit DJs, die Stil haben, sich nicht als Dienstleister anbiedern, dem Publikum dennoch geben, was es will." Und, zweitens: "An die Aufbruchsstimmung anzuknüpfen, in der gute Musik Anfang der achtziger und neunziger Jahre stehen geblieben ist."

In die Rote Sonne kommt, wer hintereinander weg Hamburger Indie-Rock von Tocotronic, feministischen Punk à la Le Tigre und harten Techno von Jeff Mills verträgt. Leute, die Vielseitigkeit schätzen. Entsprechend gemischt ist das Publikum. Es gibt noch nicht einmal Stammgäste. "Der Club ist noch im wunderbaren Zustand der Unschuld", sagt Wacha.

Zuckerbrot und Peitsche für die Gitarrenfraktion

Sein Konzept versteht er durchaus als politische Haltung: gegen Stillstand, gegen stilistische Verbohrtheit, gegen Genregrenzen. Er könnte sich auch "Flower-Power-Konzerte" in der Roten Sonne vorstellen, sagt er, zum Beispiel linke Gigs im Stil von Ton Steine Scherben. Auftritte von Bands der Konzertagentur Club 2 hat er schon unter seinem Dach. Der "Indie-Geist", sagt Wacha, verbinde ihn mit der Gitarrenfraktion, der Wille zur Unabhängigkeit und das Bekenntnis zum guten Geschmack abseits des Mainstreams. Das Motto: "Zuckerbrot und Peitsche auf gehobenem Niveau für ein anspruchsvolles Publikum."

Ein guter Club ist ein Ort, an dem Gleichgesinnte zusammenkommen, um nach ihrer Art zu feiern. So gesehen zeigt sich an der Roten Sonne als neuestem Beispiel das ganze Spektrum der Münchner Nachtschattenplätze.

Eine Lichterkette erhellt Fedis Kaffeebar-Nische. (Foto: Foto: Rumpf)

Gerade im Vergleich mit ihrem zukünftigen Nachbarn: Direkt neben Wachas Laden, in den Räumen des ehemaligen Nachtcafés, öffnet im Dezember die Filiale des ibizenkischen Hedonistentempels Pacha neu. "Neoliberales Denken trifft alternatives", meint Wacha. So eng liegen die Clubs beieinander, dass sich die jeweiligen Warteschlangen der Gäste wohl zwangsläufig berühren werden. Dann gehen die einen die Treppe hoch, die anderen steigen runter. Die einen folgen dem erotisch aufgeladenen Kirschenlogo. Die anderem gehen in einen Keller, der nach einem Hippie-Filmklassiker von Rudolf Thome benannt ist.

In dessen "Rote Sonne" von 1970 ist unter anderem Uschi Obermeier als Bewohnerin einer Frauen-Kommune zu sehen, deren Mitglieder beschließen, ihre Liebhaber zu töten, falls diese auf eine Beziehung bestehen, die länger als fünf Tage dauert. Die einen erwarten - wenn es so weiter geht wie im alten Pacha an der Rosenheimer Straße - Gogo-Girls und Wodka-Flaschen im Kühler. Die anderen explizit "keine Macho-Kultur", wie Peter Wacha sagt.

Wildwuchs im Kunstpark Ost

Dabei rücken zwei ehemalige Geschäftspartner, zumindest räumlich, wieder zusammen. Das Pacha wird unter anderem von Michi Kern geführt, der Anfang der neunziger Jahre neben Wacha unter den Machern des legendären Clubs Ultraschall war. Die Wege der beiden gingen später auseinander. Kern wurde erfolgreicher Gastronom, Wacha zu einer Größe der elektronischen Musikkultur mit Punk-Attitüde.

Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Dorothea Zenker war er unter den ersten in München, die Technopartys veranstalteten. Es war die Zeit der restriktiven Sperrzeiten und Konzessionsvergaben, die Ära des provinziellen Muffs im Nachtleben, der von vielen Nicht-Münchnern bis heute - zu Unrecht - gewittert wird.

Das Ultraschall lüftete in der alten Küche des Riemer Flughafens mit bislang unerhörtem Technosound durch. Hallenbeleber Wolfgang Nöth finanzierte das zunächst gewagte Unternehmen, das später in den Kunstpark Ost umzog und ein riesiger Erfolg wurde. "Viel ist geschimpft worden über den so genannten Kommerzpark", sagt Wacha, "aber wo sonst hätte so was Wildes wachsen können?"

Nicht aufdrängen, lieber rumsprechen

Außer durch das Ultraschall machte Wacha mit seinen Plattenlabels Disko B und Chicks on Speed Records Furore - international bekannten Plattformen für elektronische Musik mit Kunstanspruch und Abgehgarantie. Für Vinyl-Liebhaber ist Wacha als Mitinhaber des fein sortierten Plattenladens Optimal in der Kolosseumstraße ohnehin eine Institution. Aber alte Erfolge aufwärmen soll die Rote Sonne nicht, sondern etwas völlig Neues erstrahlen lassen. Jedenfalls ist es keine Angeberei, wenn Wacha über die Qualität seines Programms verkündet: "Wir arbeiten hier als Experten."

"Wir", das ist bei der Roten Sonne außer ihm unter anderem auch Richard Rieger vom Label Pastamusik und der Elektronikkünstler Martin Gretschmann - ein Team aus Spezialisten, das weiß, wovon es spricht. Allerdings auch eines, das lieber Inhalte für sich sprechen lässt, als groß Werbung für seine Sache zu machen. Der Club soll sich nicht aufdrängen, er soll sich herumsprechen. Und dann, da ist sich Peter Wacha sicher, wird die Rote Sonne aufgehen.

© SZ vom 12.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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