Aufarbeitung:München will seine Rolle in der NS-Zeit erforschen

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München war "Hauptstadt der Bewegung" - nun soll die Rolle der Münchner Stadtverwaltung während der NS-Zeit genau erforscht werden.

Sven Loerzer

Historiker sollen die noch weitgehend unerforschte Rolle der Münchner Stadtverwaltung während der NS-Zeit gründlich und umfassend aufarbeiten. Das Münchner Stadtarchiv veranschlagt dafür einen Zeitraum von rund 15 Jahren und Kosten in Höhe von 152000 Euro jährlich. Die Forschungsarbeiten soll der Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität übernehmen. Am Mittwoch entscheidet der Verwaltungsausschuss über den Start des Vorhabens.

Das Münchner Rathaus im Zentrum der Stadt. Historiker sollen die noch weitgehend unerforschte Rolle der Münchner Stadtverwaltung während der NS-Zeit gründlich und umfassend aufarbeiten. (Foto: Foto: ap)

Nach Wochen teilweise peinlicher Diskussionen haben sich die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen darauf geeinigt, vom Stadtarchiv ein Konzept zur wissenschaftlichen Durchdringung der Rolle der Stadtverwaltung und der städtischen Betriebe erstellen zu lassen. "Abgesehen von einigen wenigen Spezialstudien gibt es für München keine umfassende Forschung zur vielschichtigen Rolle der kommunalen Bürokratie im NS-Staat und zu ihrer tragenden Funktion für das Herrschaftssystem des Nationalsozialismus", fasst OB Christian Ude das Ergebnis zusammen, das er nun vorlegen wird.

Querschnittthemen statt Behördenchroniken

München, von Hitler persönlich zur "Hauptstadt der Bewegung" ernannt, habe für den Nationalsozialismus eine Schlüssel- und Vorreiterrolle gehabt, die nun eingehend untersucht werden soll. Statt zu einzelnen Behördenchroniken rät das Stadtarchiv deshalb zu elf Querschnittsthemen. Der erste Forschungskomplex sollte dabei die städtische Sozialverwaltung und die kommunale Gesundheitspolitik umfassen. Weitere Themen könnten Stadtplanung, Wohnungsbau und architektonische Repräsentation, kommunale Kulturpolitik, sowie Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten, "Gemeinschaftsfremden" und Systemverweigerern sein. Beleuchtet werden sollte die Rolle von Stadtspitze und Ratsherren, der Kriegsalltag, die städtische Personalverwaltung, das Bildungswesen, die Finanz- und Investitionspolitik, Innere Sicherheit und Ordnung sowie die kommunale Infrastruktur.

Mit dem Projekt lässt sich das Vorhaben verbinden, die städtischen Gedenkbücher für Nazi-Opfer weiterzuführen, wie es SPD, CSU und Grüne in einem gemeinsamen Antrag bereits gefordert haben. Das Stadtarchiv hat in zwei Bänden das Leben von 4579 ermordeten Juden dokumentiert. Nun soll das Schicksal weiterer Opfer aus anderen Gruppen in Bücher gefasst werden: "Bislang gibt es keine solide recherchierten Zahlen der Münchner Opfer des Nationalsozialismus", betont das Stadtarchiv.

"Ehrgeiziges Projekt"

Die umfassende Aufarbeitung sei ein "ehrgeiziges Projekt", sagt Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker: "Die stabilisierende Funktion einer Kommunalverwaltung für die NS-Herrschaft ist noch nie genauer untersucht worden." Das Stadtarchiv will mit dem Lehrstuhl von Professor Hans Günter Hockerts kooperieren: "Eine derartige Partnerschaft garantiert für das Gesamtprojekt ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Seriosität, methodischer Aktualität und historischer Erkenntnisqualität."

Das Stadtarchiv rechnet damit, dass 15 Jahre bis zum Abschluss der Forschung vergehen. Ude will dem Stadtrat jetzt vorschlagen, mit dem Lehrstuhl zunächst eine Forschungsvereinbarung zum Thema "Städtische Sozialverwaltung und kommunale Gesundheitspolitik" über drei Jahre abzuschließen und dafür die jährlichen Personal- und Sachkosten in Höhe von 152.000 Euro zu übernehmen.

© SZ vom 09.03.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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