Ateliers für 27 Künstler:Ein Haus voller Bilder

Farbexplosionen, Installationen und Collagen: Ein Werkstattbesuch bei Künstlern im Gärtnerplatzviertel.

Anne Goebel

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An manchen Tagen, sagt Doris Hahlweg, ist es so schön, dass sie es kaum aushält. Wenn das Morgenlicht durch die Wand aus Fenstern fällt und den Raum in eine unwirkliche Atmosphäre taucht. "Ich mache die Tür auf, und alles ist durchflutet von Licht. Man wird klein als Mensch." Vielleicht muss man es sich so ähnlich vorstellen wie in einer Kathedrale, bloß dass Kunst kein Gottesdienst ist, jedenfalls nicht im engeren Sinne, sondern Arbeit. Also zieht Doris Hahlweg den Kittel über, die ausgetretenen Schuhe, und mischt Farbe an. Ob es ihr gelingt, das Leuchten in ein Bild zu übersetzen, ist am Anfang eines solchen Tages nicht sicher.Aber es scheint, als bliebe etwas von dem surrealen Strahlen in ihrem Atelier zurück. Anders lässt sich nicht erklären, warum dieser Ort wie losgelöst wirkt. Rundherum das sehr geschäftige Gärtnerplatzviertel, sehr vernetzte Menschen, aberwitzig teure Mieten. In der Klenzestraße 85, Rückgebäude, kommt davon nichts an. Es gibt ein überwuchertes Fahrradskelett im Hof. Nackte Mädchen in der zweiten Etage, Farbexplosionen im Balkonzimmer, von irgendwoher Musik. Ein Reservat für Selbstvergessene. Womöglich kommt dieser Eindruck aber bloß von dem Bild im Kopf: So muss ein Haus voller Künstler aussehen. Genau so.Alle Fotos: Catherina Hess

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Atelierhaus Baumstraße, ein Werkstattbesuch. 27 Künstler arbeiten auf drei Stockwerken in Räumen, die ihnen die Stadt zu finanzierbaren Preisen überlässt. Acht Euro für den Quadratmeter, das entspricht der üblichen Gewerbemiete, und die ehemalige Strickwarenfabrik, in die man über die Klenzestraße gelangt, bietet ideale Bedingungen: zentrale Lage, hohe Decken, viel Licht. Werkstattbesuch, das gefällt den jungen Malern, Graphikern, Installationsmachern. Es klingt reell, nicht versponnen. "Wir sind Unternehmer, wir müssen uns selbst vermarkten. Das wird draußen oft vergessen. Es ist kein Witzberuf, den wir haben", sagt Alexander Arundell in seinem leicht gebrochenen Deutsch. Der gebürtige Londoner ist mit einigen Kollegen im Atelier von Doris Hahlweg zusammengekommen, man sitzt auf farbfleckigen Schemeln, und keiner will der Bohemien sein.

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Das malende Genie im heizungslosen Kabuff, van Gogh, mittellos, aber selig, solange Farbe in den Tuben war - "das sind Zerrbilder", sagt Horst Kirstein, "unsere Realität sieht anders aus." Weil die Werke in den seltensten Fällen genug abwerfen, braucht ein Künstler im 21.Jahrhundert Nebenjobs. Kellnern, unterrichten, um das kostspielige Leben in München zu bezahlen. Es gibt Kinder, die versorgt werden müssen. Und wenn ein Atelier feuchte Wände hat, ist das kein Bohème-Idyll, sondern schlecht fürs teure Papier.Wenn Arundell von "Draußen" spricht, wo manche seinen Beruf nicht richtig verstehen, meint er auch den einen oder anderen Stadtrat. Die Baumstraßen-Mieter - sie verstehen sich als Gemeinschaft und schütteln beim Stichwort "Konkurrenz" heftig die Köpfe, vielleicht eine Spur zu heftig - wollen kein abgeschotteter Club sein. Sie veranstalten offene Ateliertage, organisieren Benefizaktionen. Aber die Vorstellung vom eigenbrötlerischen Kunstkauz, der keiner richtigen Arbeit nachgeht, sitzt tief, und da kann es manchmal schwer sein, seine Bedürfnisse klar zu machen.

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In einem Brief haben sich Horst Kirstein und seine Kollegen neulich wieder an die Stadtverwaltung gewandt mit einer Bitte, die sie schon mehrmals vorgebracht haben. Die Mietverträge im Atelierhaus sind auf drei Jahre begrenzt, was in der Szene ungewöhnlich ist. Im Domagk-Areal kann man indes fünf Jahre bleiben, und das macht einen großen Unterschied. Also kämpfen die aus der Baumstraße um Gleichbehandlung, es hat Gespräche gegeben, der Kulturreferent habe Unterstützung versichert, aber entschieden sei nichts. Das bringt Unruhe in die Arbeit, sagt Kirstein. Sollte im April 2010 Schluss sein, müsste jetzt die Suche nach neuen Räumen beginnen. Ob sich etwas findet, hell, trocken, bezahlbar, ob jeder Interessent, der sich auf einer Vernissage mal die aktuelle Adresse aufgekritzelt und eines Tages tatsächlich einen Ankauf im Sinn hat, an die neue Anschrift gelangt - das sind die Unsicherheiten. "Ich hoffe sehr, dass wir die fünf Jahre bekommen", sagt Isabel Haase, eine der Jüngsten in der Runde. "Mit einem festen Atelier stehst du anders da als Künstler."Jadranka Kosorcic, eine hoch aufgeschossene, ernste junge Frau, die mit einem ganz eigentümlichen Portraitstil multiple Figuren entwirft, erzählt, dass in Leipzig oder Berlin drei Euro für den städtischen Atelierquadratmeter üblich sind. "Wenn es hier nicht weiterläuft, gehe ich zurück nach Berlin." So hält man keine jungen Talente in der Stadt.

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Es ist früher Nachmittag, inzwischen haben sich die meisten zurückgezogen an ihre Arbeitstische und Druckerpressen, zu den Kellen, Spachteln, Messern. Kunst ist Handarbeit. Doris Hahlweg hat kräftige Finger und trägt schöne Ringe, sie macht Kaffee. Das Licht ist auch um halbzwei noch besonders, weich und klar. "470 Euro warm", sagt die gebürtige Brasilianerin, "aber der Raum ist eine Sensation". Der Ort hat ihre Arbeit verändert, die Formate vergrößert, die Linien ihrer satten Farbkompositionen verschoben. Wie Horizonte, die sich weiten. 9000 Euro kosten die großen Gemälde, manchmal verkauft sie gut, zum Beispiel an McKinsey, in manchen Jahren fast nichts. Was immer bleibt: Die Suche nach dem eigenen Weg."Das ist es, was wir alle hier tun. Kunst ist nicht planbar. Es sind Entwicklungsprozesse, vieles passiert erst, während wir arbeiten." Doris Hahlweg greift in ihr Bataillon aus Pigmentgläsern, nimmt "Pyramidengelb" und "Zeisiggrün". Und man denkt, auch wenn die Farben früher anders hießen, ist es so wahrscheinlich immer gewesen bei den Malern, ob das in der Renaissance war oder im bürgerlichen Frankreich, als van Gogh der Verstand verloren ging. Auf der einen Seite die Suche nach einer eigenen Bildsprache, die im Durchschnitt ungefähr ein Leben lang dauert. Auf der anderen Seite die Gesetze des Marktes, den früher Fürsten oder Mäzene gemacht haben, heute kann es eine Unternehmensberatung sein.

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Das Atelierhaus ist das Dach, unter dem sie diese Balance versuchen. Dass es Nischen bietet für Besonderheiten, Absonderlichkeiten, macht die spezielle Atmosphäre in der Baumstraße aus. In der obersten Etage zum Beispiel arbeitet Cornelia Eichacker, eine märchenhafte Frau mit blasser Haut, bei der alles ordentlich sein muss. Auf ihren Bildern platzen die Farben wie reife Früchte. Ohne Grün, erzählt sie leise, kann sie nicht leben. "Ich brauch' das ganz dringend." Auf dem Balkon hat sie Tröge bepflanzt, die Feige ist über den Winter gekommen.

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Nebenan Horst Kirstein, der Jazz von Charly Parker einlegt, wenn er seine Fotos von Mädchen aus Stripbars verfremdet. Seine wild bemalten Tüten versteht er als Satire auf den Kunstkommerz. Er hält es für möglich, dass sie in einer Boutique in der Maximilianstraße ausgestellt werden. Isabel Haase, gelernte Schaufensterdekorateurin, macht Installationen über Schwebezustände, bedrohliche Zwischenwelten. Sie will nie wieder zurück in den Job. Zweifelt sie, ob es richtig war, den sicheren Beruf aufzugeben? "Immer." Im Tiefparterre, wo Alexander Arundell Farbdrucke herstellt, sieht seine Frau Kristiane Semar alte Briefe vom Flohmarkt durch für ihre Collagen. Ihre Tochter Amelie, 4, kommt aus der Puppenküche. Zwischen Handpresse und Farbkartuschen ist ihr Zuhause, tagsüber, nach dem Kindergarten.

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Das Atelierhaus steckt voller solcher Geschichten. Ein Bild, das diesen Ort beschreibt, die alte Strickwarenfabrik mit ihren werkelnden Bewohnern, könnte das von der Insel sein. Es passt ganz gut, weil es hier um Dinge geht, die eine Insel ausmachen: Ankommen und aufbrechen. Geborgenheit und Abenteuer. Genau genommen steht das auch im Innenhof. Jemand hat ein Schild an die Mauer geschraubt, "Baden verboten".Text: SZ vom 2.6.2009

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