Architekt und Hobby-Fotograf:Sieg mit der Sitznummer 66

Lesezeit: 4 min

Mit dem TSV 1860 München kann man nichts gewinnen? Von wegen. Dirk Härle bekommt den Europäischen Architekturfotografie-Preis - unter anderem mit der Aufnahme eines Löwen-Fans im Grünwalder Stadion

Interview von Gerhard Fischer

Böse Menschen sagen ja, mit dem TSV 1860 München könne man nichts gewinnen. Dirk Härle hat den Europäischen Architekturfotografie-Preis 2019 geholt - unter anderem mit einem Bild, auf dem ein Löwenfan im Grünwalder Stadion zu sehen ist. Härle setzte sich gegen knapp 120 andere Bewerber durch und bekam ein Preisgeld von 3000 Euro. Der 47-Jährige ist selbst Löwenfan und arbeitet für ein Münchner Architekturbüro.

SZ: Herr Härle, Sie haben mit vier Fotos gewonnen, eines hat mit dem TSV 1860 zu tun ...

Dirk Härle: Zwei!

Wieso?

Die Sitzschale auf dem Baum in der Schneelandschaft - das ist eine alte Sitzschale aus dem Grünwalder Stadion.

Erzählen Sie bitte.

Als das Grünwalder Stadion 2013 umgebaut worden ist, wurden die Sitzschalen aus der Stehhalle ...

... die aus historischen Gründen so heißt, in der man aber längst sitzen kann.

Diese Sitzschalen wurden also abgeschraubt und verschenkt. Man musste der Stadt München, der das Stadion gehört, aber versichern, sie nicht kommerziell weiter zu veräußern. Ich bekam sie dann geschenkt von jemandem, der sie abgeschraubt hatte. Die Schale hat übrigens die Sitznummer 66 - das Jahr der Meisterschaft.

Und dann?

Lag die Sitzschale einige Jahre in meiner Garage. Eines Tages habe ich sie dann zu einem Winterspaziergang in die Garchinger Heide mitgenommen. Da habe ich den Baum gesehen, die orangefarbene Schale darauf gelegt und fotografiert. Man könnte das Ganze jetzt intellektuell aufpumpen und sagen: Die Garchinger Heide, in der ich meine Sitzschale platziert habe, liegt in der Nähe der Allianz Arena - macht ein Stadion auf der grünen Wiese Sinn?

Für Sie offenbar nicht?

Ich bin ein Fan von Fußballkultur und ich finde das Grünwalder Stadion mitten in der Stadt superattraktiv. Man kann da zu Fuß hingehen. Die ganze Straße ist dann blau, das ist toll. Giesing lebt. Es tut dem Viertel gut, dass Sechzig dort wieder spielt. Und das Ganze hat nicht diesen kommerziellen Stempel. Nostalgie spielt auch eine Rolle, man knüpft dort wieder an eigene Erlebnisse aus der Vergangenheit an - ich war in den Achtzigerjahren oft im Grünwalder Stadion. Ich war auch ein paar Mal in der Allianz Arena, aber das hat mir nicht getaugt. Seit die Löwen wieder in Giesing spielen, habe ich eine Dauerkarte in der Westkurve.

Sie haben für den Fotowettbewerb einen Löwenfan mit Kutte und gefühlt tausend Aufnähern - von hinten - im Grünwalder Stadion fotografiert. Er steht vor einem Gitter.

Ja, und im Hintergrund sieht man die angrenzenden Wohnhäuser an der Grünwalder Straße.

Kennen Sie den Mann?

Nein, und ich habe leider bis heute nicht mit ihm gesprochen. Vielleicht weiß er gar nicht, dass ich mit ihm einen Preis gewonnen habe.

Woher kommt Ihre Liebe zu 1860?

Ich bin in Pasing geboren und in Lohhof aufgewachsen. In den Achtzigerjahren war dort jeder Löwenfan - keine Ahnung, warum. Es gibt ja auch diese Punkband Lustfinger aus Lohhof, die zum Beispiel das Lied "Löwenmut" spielt. 1981 bin ich zum ersten Mal mit Freunden im Grünwalder Stadion gewesen, Sechzig gewann 4:0 gegen Fortuna Köln - mit Wohlers und Strack. Und Zander im Tor.

Zu Ihren Fotos drei und vier: ein futuristisch aussehendes Gebäude an einem Berg und eine grüne Krone auf einem Garagendach vor einer Spenglerei.

Das Gebäude ist die Höhenstrahlmessstation auf der Zugspitze.

Was ist das?

Das Institut für Physik und Astrophysik der Max-Planck-Gesellschaft hat da physikalische Strahlenmessungen vorgenommen. Was genau gemessen wurde, kann ich leider nicht sagen. Diese Messstation gibt es bereits seit 1966, sie steht etwas abseits auf der Zugspitze. Ich habe sie bei einer Wanderung fotografiert. Ich fand, das sei ein interessantes Bild.

Und die grüne Krone?

Die Garage, auf der sie steht, gehört zu einer Spenglerei in der Rothmundstraße. Die grüne Krone - sie dürfte aus Kupfer sein - ist wohl ein Werkstück des Spenglers und dort auf dem Dach eine Eigenwerbung. Mir hat vor allem die Situation gefallen, die Komposition: die Spenglerei, die Garage, die große Krone darauf.

Ihre Fotos sind ein buntes Durcheinander und haben auf den ersten Blick nicht viel mit Architektur zu tun. Was war denn die Begründung der Jury ?

Der Wettbewerb, den die Bundesstiftung Baukultur und das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt ausgeschrieben haben, hatte das Motto "Joyful Architecture". Die Architektur stand da für mich nicht im Vordergrund. Die Jury schreibt in ihrer Begründung: "Dirk Härles Bildserie zeigt das Besondere in scheinbar unspektakulären Situationen. Ist es das farbige Element im blassen Umfeld, der menschliche Gestaltungswille im reizlosen Ambiente oder der Fremdkörper in der Szene? Am Ende ist es die schmunzelnde Erkenntnis, dass es von allem etwas ist. Freudvoll sind fraglos nicht die Architekturelemente, sondern die gezeigten Szenen für denjenigen Betrachter, der mit Gelassenheit und Humor auf unsere Umwelt schaut."

Schön.

Gell ...

Sie sind beruflich Architekt, das Fotografieren ist Ihr Hobby?

Ja, beim Fotografieren kann man schnell seine Kreativität abfeiern. Das ist ein Ausgleich zur Architektur, wo sich die Arbeit ja hinzieht, wenn wir Wohn- und Kommunalgebäude planen. Allerdings wäre ein Stadionumbau, vorzugsweise in Giesing, auch mal eine spannende Aufgabe ... Meine vier Fotos und die Bilder von anderen Bewerbern werden übrigens in einer Ausstellung im Frankfurter Architekturmuseum gezeigt. Danach geht die Ausstellung auf Wanderschaft.

Was haben Sie eigentlich gemacht, als Sie von Ihrem Sieg erfahren haben?

(lacht) Das haben sie mir in einer Mail mitgeteilt - die noch dazu an einem Wochenende gekommen ist. Ich bin dann mit einem Spezl etwas Trinken gegangen.

© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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